© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/07 24. August 2007

Milchbauern fordern Marktwirtschaft
Landwirtschaft: EU-Milchquoten behindern Produktionsausweitung in Deutschland / Hohe Auslandsnachfrage
Harald Ströhlein

Besonders die Ereignisse in den vergangenen Tagen verdeutlichen, wie stark der Milchmarkt derzeit gebeutelt wird. Unter dem Motto "40 Cent pro Liter müssen her, sonst liefern wir die Milch nicht mehr!" demonstrierten vorige Woche über 10.000 Milchbauern aus dem ganzen Bundesgebiet auf dem Münchner Odeonsplatz. Sogar aus Ostfriesland waren die Landwirte zu der vom Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) initiierten Kundgebung angereist.

Gleichzeitig sahen sich die Verbraucher Anfang August Preissteigerungen von bis zu 40 Prozent für Milchprodukte gegenüber. Dabei scheinen bislang die Molkereien und die marktdominierenden Handelsketten den Löwenanteil dieser Preissprünge zu vereinnahmen. Sie profitieren am meisten von der speziell in Asien gestiegenen Nachfrage - bei weltweit immer knapperem Angebot und steigendem Pro-Kopf-Verbrauch von Milch, Joghurt und Käse. Die Milchbauern hingegen bekommen statt bisher etwa 28 nun bestenfalls 33 Cent, was nicht einmal einer 20prozentigen Erhöhung entspricht.

Die überproportionalen Verbraucherpreiserhöhungen haben daher das Bundeskartellamt hellhörig gemacht. Die Bonner Wettbewerbswächter untersuchten und prüften nun Geschäftsunterlagen in den Büros des Milchindustrie-Verbandes und der Zentralen Markt- und Preisberichtsstelle für Erzeugnisse der Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft auf mögliche wettbewerbswidrige Absprachen in der Branche.

Daß es in der Milchküche momentan derart brodelt, ist im Grunde genommen von hausgemachter Natur. Als Ende der siebziger Jahre die Milcherzeuger aus einer konjunkturellen Hochphase heraus mehr Milch produzierten, als nachgefragt wurde, schien ein marktwirtschaftlicher Kollaps unausweichlich: Die Milchseen wurden immer tiefer, die Butterberge immer höher. In der damaligen EG mußten über zwei Millionen Tonnen Butter und Magermilchpulver vom Markt und in die Intervention genommen werden, um den Kollateralschaden zu vermeiden. Dieses mit hohem finanziellen Aufwand verbundene Agieren konnte jedoch nicht auf Dauer sein. In konsequenter Folge führte Brüssel 1984 die Garantiemengenregelung ein, wonach jeder Mitgliedstaat eine definierte Milchproduktionsquote zugewiesen bekam und diese wiederum auf die einzelnen Milcherzeugerbetriebe verteilt wurde. Mehr noch: Bei zügelloser Überlieferung der zugewiesenen Milchmenge sollten Sanktionen für mehr Disziplin unter den Milcherzeugern sorgen.

Dieser Brocken freilich wollte den Milchbauern so recht nicht schmecken - bis heute nicht. Zwar sind bei einem Selbstversorgungsgrad in Deutschland von nur noch moderat über 100 Prozent die Milchseen längst abgeschöpft und die Butterberge abgebaut, doch eine Stabilisierung des Milchauszahlungspreises - einst hehres Ziel der Quotengründer - ist trotz der angeordneten Marktregulierung nicht eingetreten. Das freilich ist Wasser auf die Mühlen derer, die der Milchkontingentierung eher heute als morgen entsagen wollen.

Angesichts enormer Absatzchancen im In- und vor allem im Ausland wirkt die EU-verordnete Produktionskappung wie ein Klotz am Bein. Von etwas mehr als 540 Millionen Tonnen Kuhmilch, die jährlich auf unserer Erdkugel ermolken werden, nimmt der EU-Anteil mit 142 Millionen Tonnen ein gutes Viertel ein. Etwa 27 Millionen Tonnen wiederum kommen aus den über 100.000 deutschen Milchviehbetrieben -von der mitteldeutschen Agrargenossenschaft bis zum süddeutschen Almbauern. Trotzdem ginge noch viel mehr. Doch unternehmerisch denkende Milcherzeuger können in der EU nur wachsen, wenn sie Milchquoten unter hohem Kapitaleinsatz zukaufen. Das ist eine grundlegende Fehlentwicklung, die mit dem Urgedanken einer Marktregulierung ebensowenig gemein hat wie die Handhabe der Milchkontingentierung innerhalb der EU. Denn die Milchquote wurde bei der EU-Osterweiterung mißbraucht, um potentiellen Mitgliedstaaten den Beitritt schmackhafter zu machen.

Und sie wird heute mißachtet, da immer noch einige Mitgliedstaaten - aus welchen Gründen auch immer - mehr Milch erzeugen, als der Markt aufnimmt, womit der immerhin noch gut zehnprozentige Milchüberschuß innerhalb der EU zu erklären ist. Die Milchkontingentierung ist zu einem Hemmschuh und Kapitalfresser mutiert, als Faustpfand zweckentfremdet und durch die inkonsequente Umsetzung zur Farce geworden.

Wenn derzeit auch die Gespräche in der Welthandelsorganisation (WTO) ins Stocken geraten sind, werden die Kräfte der Liberalisierung weiter an Fahrt gewinnen. Dies gilt um so mehr für die Agrargüter Getreide, Fleisch und Milch, die weltweit reißenden Absatz finden. Seit der Agrarsektor mit dem Start der Uruguay-Runde im Jahre 1994 in die WTO-Verhandlungen aufgenommen wurde, stehen die Zeichen auch in diesem Bereich auf Marktöffnung. In der anschließenden Doha-Runde wurde dies konsequent fortgesetzt und kam unmittelbar in der im Jahre 2003 beschlossenen EU-Agrarreform explizit zum Ausdruck. Zwar wurde einer Verlängerung der Milchquotenregelung bis zum 31. März 2015 zugestimmt, ohne Antrag auf Fortführung wird sie zu diesem Zeitpunkt aber auch enden. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß sich eine dafür ausreichende Mehrheit unter den EU-Staaten finden wird. Eine gewollte Milchmengenbegrenzung nach dieser Zeit käme angesichts fallender Außenschutzmaßnahmen und progressiver Öffnung des Inlandsmarktes nach außen einem Hochverrat an den heimischen Bauern gleich.

Der Deutsche Bauernverband (DBV) hat sich auf seiner diesjährigen Jahrestagung mehrheitlich für den Ausstieg aus der EU-Milchquotenregelung ausgesprochen, aber zugleich von der europäischen wie nationalen Politik ein verläßliches Zukunftsprogramm gefordert: "Im Rahmen der laufenden WTO-Verhandlungen darf es keine weiteren Zugeständnisse beim Außenschutz und der internen Stützung geben!" Daß sich die Bauern nun nach mehr als zwei Jahrzehnten für die freie Marktwirtschaft entschieden haben, ist ein richtiger, wenn auch gewagter Schritt in die Zukunft.


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