© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/07 24. August 2007

Stasi-Skandal im Land der tausend Seen
Finnland: Die "Rosenholz"-Dateien der DDR-Auslandsspionage sorgen im Sommerloch für Unruhe
Anni Mursula

Wenn Politiker in der Öffentlichkeit widersprüchliche Aussagen über ein heikles Thema machen und ihnen der Regierungschef schließlich einen Maulkorb verpaßt, dann riecht das nach Skandal. Und so werden im sonst so kühlen Finnland seit Juli heiße Theorien geschmiedet. Schließlich geht es um Spionage für die ehemalige DDR, einen fälschlich Verdächtigten, der zum Sündenbock gemacht wurde, sowie möglicherweise das Decken der wirklichen Verantwortlichen durch den finnischen Geheimdienst.

Wer kennt die Namen der 20 finnischen Stasi-Agenten?

Das Ministerium für Staatssicherheit (Stasi) verfügte während des Kalten Krieges auch im neutralen Finnland über ein umfangreiches Informantennetz. Das geht aus den "Rosenholz"-Dateien der Stasi-Auslandsabteilung hervor, die in der Wendezeit in die Hände des CIA gelangten (JF 29/03). Angeblich beziehen sich in der Rosenholz-Datei 186 Nummernkodes auf echte oder von der Stasi behauptete Kontakte zu Personen in Finnland - davon sollen sich 18 bis 20 Kodes auf aktive finnische Stasi-Spione beziehen.

Doch der eigentliche Skandal ist nicht die Existenz dieser Dateien, sondern ihre Geheimhaltung: Bislang kennen nur zuständige Minister und Mitarbeiter des finnischen Geheimdienstes Suojelupoliisi (Supo) die Rosenholz-Daten. Diese geben die Unterlagen im Gegensatz zu Deutschland, wo Wissenschaftler, Journalisten und Betroffene Akteneinsicht beantragen können, nicht heraus. Und das, obwohl die finnische Regierung noch im Jahr 2000 beschlossen hatte, die Rosenholz-Dateien zugänglich zu machen. Über die Gründe für die Geheimhaltung wird nun heftig spekuliert: Sollen dadurch womöglich hochrangige Personen aus Politik, Militär oder Wirtschaft geschützt werden?

Weitere Verwirrung stifteten die zuständigen Minister, indem sie in den vergangenen Wochen völlig widersprüchliche Informationen über den Inhalt sowie über die Gründe, warum diese Unterlagen nicht veröffentlicht werden können, an die Presse gegeben haben. Ende Juli verbot Premier Matti Vanhanen Ministern, sich weiter in der Angelegenheit zu äußern. Anschließend betonte der liberale Zentrumspolitiker (Kesk) in einem Fernsehinterview, daß der Staat solche Geheimnisse sogar brauche.

Ebenfalls in Widersprüche verwickelt hat sich die Supo, deren Aufgabe es ist, geheime Informationen zu überprüfen und wenn notwendig, die Fälle an die Staatsanwaltschaft weiterzugeben: Sie hat das bislang nur in einem Fall getan. Geschichtsprofessor Seppo Hentilä vermutet daher, daß - sollte die Supo sich korrekt verhalten haben - die Rosenholz-Akten keine Skandale beinhalteten. Denn andernfalls hätte es zu Prozessen kommen müssen. Doch es könne durchaus auch sein, daß die Supo versucht, jemanden zu decken. Möglich wäre auch, daß der Geheimdienst während der Ermittlungen Fehler begangen hat, die er nun vertuschen will. Um dies zu klären, fordert Hentilä die Offenlegung der Akten für eine unabhängige wissenschaftliche Kommission: "Die Supo muß die Akten offenlegen, um der Atmosphäre der Verheimlichung entgegenzuwirken", sagte er der Tageszeitung Helsingin Sanomat.

Andere Kritiker vermuten, daß durch die Veröffentlichung der Stasi-Akten uralte Leichen aus dem Keller des finnischen Geheimdiensts ans Tageslicht geraten würden. Schließlich mußte das kleine neutrale Finnland während des Kalten Krieges zwischen den beiden Blöcken balancieren und mit dem übermächtigen Osten so manche Kompromisse eingehen. An diese Geschäfte will sich heute kaum einer mehr erinnern.

Neues Feuer in der Gerüchteküche schürte zusätzlich die frühzeitige Pensionierung des Supo-Chefs Seppo Nevala Ende Juli. Offiziell geschah dies aus gesundheitlichen Gründen, aber die Medien vermuten ein anderes Motiv: Die Regierung wünschte sich wohl einen Wechsel an der Spitze des Geheimdienstes, um Gras über den Stasi-Skandal wachsen zu lassen.

Der einzige Prozeß, zu dem es wegen den Rosenholz-Akten in Finnland bislang kam, war 2002 ein voreiliges Ermittlungsverfahren gegen den Balkan-Botschafter Alpo Rusi. Die Supo leitete damals erste Ermittlungen ein, weil sich ein Kode in den Akten auf den Professor für Internationale Beziehungen bezieht. Während die Ermittlungen noch liefen, gelangte diese Information an die Öffentlichkeit. So wurde der Botschafter bereits vor dem Prozeß in den Medien verurteilt. "Diese Information kann nur von einer der zuständigen Behörden stammen - was wiederum auf eine beabsichtigte Schädigung meiner Person deutet", sagte Rusi der JUNGEN FREIHEIT. Später stellte sich heraus, daß er von der Stasi ohne sein Wissen beobachtet worden war. Daraufhin wurde das Verfahren eingestellt. Doch Rusis Ruf war ruiniert. "Der Verdacht liegt nah, daß Supo irgendeinen 'großen Fisch' auf meine Kosten decken wollte", sagte Rusi. 2006 kritisierte Helmut Müller-Enbergs, Mitarbeiter der Birthler-Behörde (BStU), in den finnischen Medien die Vorgehensweise der Supo als "unverständlich". Im Fall Rusi hätte sich der Geheimdienst "den größten Gau in Europa" geleistet und sich damit selbst heillos diskreditiert.

Nun will Rusi Gerechtigkeit: Am 20. August begann sein Prozeß gegen den Staat Finnland, den er auf 500.000 Euro Schadensersatz verklagen will. Im Gerichtsverfahren werden viele hochrangige Politiker aussagen - darunter Ex-Präsident Martti Ahtisaari (Sozialdemokraten/SDP) und die Ex-Premiers Esko Aho (Kesk) und Paavo Lipponen (SDP). Über Lipponen, der von 1995 bis 2003 - also noch während des skandalösen Ermittlungsverfahrens gegen Rusi - Regierungschef war, gibt es ebenfalls einen Rosenholz-Vermerk.

Im Gegensatz zu Rusi aber hatte er als Sozialdemokrat nachweislich ab 1969 regen Kontakt zu DDR-Funktionären in Helsinki. "Lipponen sollte offen über seine Kontakte sprechen und nicht jeden kritisieren, der seine Verbindungen untersuchen will. Seine Regierung beschloß 2000, die Rosenholz-Dateien offenzulegen, gab diese Entscheidung aber erst im Juni 2007 in der Öffentlichkeit zu. Warum eigentlich?" fragt Rusi. Es bleibt also abzuwarten, wer die zwanzig Stasi-Informanten in Wirklichkeit waren. Und wenn schon die kleine DDR so viele Agenten hatte - wie viele vom "benachbarten" sowjetischen KGB waren dann erst in Finnland aktiv?


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