© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/07 24. August 2007

Aus der Bibliothek ins Untersuchungsgefängnis
Linksextremismus: Die Verhaftung eines Berliner Wissenschaftlers als mutmaßliches Mitglied der terroristischen "militanten gruppe" sorgt für Proteste
Ekkehard Schultz

Die Verhaftung von drei mutmaßlichen Mitgliedern der linksterroristischen "militanten gruppe" (mg) sorgt in der linken Szene weiter für Unruhe (JF 33/07). Dabei ist vor allem Andrej H. in den Fokus des Interesses gerückt, der bis zu seiner Inhaftierung als Soziologe an der Berliner Humboldt-Universität beschäftigt war.

"Müssen wir befürchten, daß sich alle Stadtforscher/innen und Aktivist/innen, die sich konsequent und auf hohem intellektuellen Niveau kritisch zur neoliberalen Stadtentwicklung, Privatisierung und Hartz IV äußern, sich dabei als Teil sozialer Bewegung begreifen und ihre Analysen einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, im potentiellen Visier von Polizeifahndern befinden?" Mit solchen und ähnlichen Fragen protestieren seit mittlerweile drei Wochen Linke gegen die Verhaftung von Andrej H., einem promovierten Stadt- und Regionalsoziologen. Unterstützung erhält er auch von linken Medien, die H. als "Opfer" der Bundesanwaltschaft sehen.

Seit Juni 2001 wurde im Berliner Raum eine Serie von rund 25 Brandanschlägen auf Fahrzeuge und Gebäude verübt. Zu mehr als zehn dieser Anschläge hat sich eine sogenannte "militante gruppe" (mg) bekannt, die anderen dieser Taten weisen eine sehr verwandte Handschrift auf. Bereits 2003 wurde die mg daher vom Bundeskriminalamt als "terroristische Vereinigung" eingeschätzt. Am 31. Juli gelang es den Ermittlern schließlich, drei mutmaßliche Mitglieder der mg zu verhaften, als sie versuchten, in Brandenburg drei Fahrzeuge der Bundeswehr anzuzünden. Kurz nach den Festnahmen von Florian L., Oliver R. und Axel H. wurde auch Andrej H. in Haft genommen.

Für seine Mittäterschaft sprechen unter anderem die engen Kontakte mit Florian L. sowie die Teilnahme an zahlreichen nach außen hin strikt geheimgehaltenen Treffen. Zudem stützt sich die Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen gegen H. darauf, daß verschiedene von ihm verfaßte Arbeiten eine auffallende Ähnlichkeit in der Wortwahl und im Hinblick auf einige nur Insidern bekannte Fakten hätten.

Die Begründungen für die Verhaftung H.s seien "empörend" und sprächen "allen rechtsstaatlichen Grundsätzen Hohn", heißt es dagegen in einem Offenen Brief aus der linken Szene an die Generalbundesanwältin Monika Harms: "Wir müssen diesen Haftbefehl nach jetzigem Kenntnisstand als einen Anschlag auf die Freiheit der Meinung und der Forschung begreifen." Menschen, die sich in ihrer Stadt diskutierend auch im linken Milieu bewegten, könne im Zweifel immer vorgeworfen werden, "daß er/sie dabei auch in Kontakt zu 'Militanten' gekommen ist. Potentiell steht damit jede Kommunikation mit 'Radikalen' unter dem Generalverdacht des Terrorismus."

Im ähnlichen Tonfall wurde auch ein weiterer Brief an die Generalbundesanwältin verfaßt, den deutsche und amerikanische Hochschullehrer unterzeichneten: "Wir verwahren uns aufs schärfste gegen den unglaublichen Vorwurf, die wissenschaftliche Tätigkeit und das politische Engagement sei als intellektuelle Mittäterschaft in einer angeblichen terroristischen Vereinigung zu bewerten", heißt es darin.

Auffällig ist freilich bislang, daß sich die Proteste inhaltlich fast ausschließlich auf die Analyse von Begriffen aus H.s Arbeiten stützen. So wird H. darin als reines Opfer seines wissenschaftlichen Forschungsdranges gesehen. Die ausgeprägten und intensiven Kontakte zu den verhafteten mutmaßlichen Brandstiftern und vor allem die vollkommene Distanzlosigkeit zur mg werden dagegen entweder verschwiegen oder im Gegenteil als dringende Voraussetzung zu wissenschaftlichen Recherchen verklärt.

Linksextreme Kreise versuchen darüber hinaus, die Situation dazu zu nutzen, gegen den Strafrechtsparagraphen 129 (Bildung einer terroristischen Vereinigung) zu agitieren. Dieser sei generell als Zeichen staatlicher Repression zu betrachten. So schreibt der Bundessprecher der Linksjugend, der Jugendorganisation der Linkspartei, Felix Pithan, in einer Presseerklärung: "Ich habe mich irgendwann mit Menschen getroffen, bei denen ich nicht ausschließen kann, daß sie Straftaten begehen könnten ... Da dies ... zur Begründung des Terrorismusverdachts ausreicht, bin ich ebenfalls verdächtig."

Und in einem Aufsatz in der aktuellen Ausgabe der Szenezeitschrift Krise und Kritik heißt es: "Wir bedauern sehr im Gegensatz zu unseren journalistischen und wissenschaftlichen KollegInnen, daß wir - obwohl bereits über 30 - immer noch kein §129a-Verfahren am Halse hatten. Dabei haben alle interessanten Leute, Globalisierungskritiker, und überhaupt alle, die irgend etwas zu sagen haben, bereits eines gehabt. ...In unseren dunklen Zeiten, in einer Gesellschaft, wo das Ducken, Arschkriechen und Renegatentum zum Alltag gehören, zählt allein schon das Prestige, ein solches Verfahren gehabt zu haben."


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