© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/07 24. August 2007

Der lange Weg der Erinnerung
Vertriebene: Steinbach erneuert auf dem Tag der Heimat Forderung nach einem Zentrum gegen Vertreibungen / Hessens Ministerpräsident sagt Unterstützung zu
Christian Dorn 

Zu dem seit 1950 begangenen Tag der Heimat hat der Bund der Vertriebenen (BdV) vergangenen Samstag in das Internationale Congress Centrum (ICC) Berlin geladen. Dieses bietet Raum für etwa 1.400 Vertriebene, die mit einer Grußbotschaft von Papst Benedikt XVI. empfangen werden. Über dem Haupteingang spannt sich derweil ein riesiges Werbebanner, auf dessen tiefblauem Grund die Auszeichnung "World Travel Award" prangt - ein zynischer Moment, den keine Kamera einfängt.

Dabei sind zahlreiche Pressevertreter erschienen, aus Polen gar so viele wie nie zuvor. Dem zugrunde liegt nicht zuletzt die jüngste Provokation aus Danzig. Die dort ansässige Polnische Treuhand hatte auf ihrer Internetseite in einer Fotomontage BdV-Präsidentin Erika Steinbach in einer Reihe mit einem Ritter des Deutschen Ordens und einem SS-Mann gezeigt. Untertitelt war die Abbildung mit einem Zitat Adolf Hitlers, wo lediglich ein Wort ersetzt worden war: "Vor uns steht das letzte Problem, das gelöst werden muß und gelöst werden wird. Es sind die letzten Vermögensrückgabeforderungen, die wir in Europa zu stellen haben, aber es sind die Forderungen, von denen wir nicht abgehen."

Gegen die weitere Verbreitung dieser diffamierenden Anzeige hatte der BdV vor dem Landgericht Köln ein Verbot erwirkt. Der betreffende Beschluß wurde "nach europäischem Recht über das zuständige polnische Gericht der Polnischen Treuhand zugestellt", wie der BdV erklärte.

Europa ist es denn auch, das im folgenden eine zentrale Rolle spielt. Erika Steinbach, die zum zehnten Mal als Präsidentin des BdV den Tag der Heimat eröffnet, erklärt in ihrer Rede, daß dieses anstrengende Amt Kräfte in ihr geweckt habe, "von denen ich keine Ahnung hatte".

Ausgehend von der Ausstellung "Erzwungene Wege", die - nach einer ersten Präsentation im Berliner Kronprinzenpalais - nun als Wanderausstellung in der Frankfurter Paulskirche zu sehen ist, kommt sie auf das geplante Zentrum gegen Vertreibungen (ZgV) zu sprechen. Der Erfolg der Stiftungskonzeption "mit ihrem europäischen Ansatz", so Steinbach, habe renommierte Unterstützer überzeugt, etwa Peter Glotz, György Konrád, Imre Kertész, Ralph Giordano, Peter Scholl-Latour oder Arnulf Baring. Sichtlich stolz verkündet sie ein Etappenziel, daß - neben den mehr als 400 deutschen Städten und Gemeinden - jetzt als erstes Bundesland Hessen seine Patenschaft für die Stiftung zugesagt hat. Weitere Länder sollen folgen.

Dabei scheint eine Realisierung des ZgV innerhalb eines europäischen Gedenkprojektes immer wahrscheinlicher. Zumindest weisen die Bemerkungen des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch und des Präsidenten des Europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering (beide CDU), in diese Richtung. Letzterer fabuliert von einem "Haus der europäischen Geschichte", in dem das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen dereinst seinen Ausdruck finden solle. Schließlich hätten diese mit ihrer Integrationsleistung großen Anteil am friedlichen Wachstum der EU.

Koch betont die besondere Verantwortung Hessens, das - wirtschaftlich eines der stärksten Bundesländer und ebenfalls stärker als manches EU-Mitgliedsland - in seiner Bevölkerung etwa zu einem Drittel aus Vertriebenen-Familien besteht. Eine Nebenbemerkung zur Demographie allerdings muß heraus: "Unser Bevölkerungsanteil sinkt, daran arbeiten wir ja aktiv mit."

Letzten Endes zitiert auch Koch das europäische Mantra: "Wir sind ein Kontinent des Friedens geworden." Und fragt: "Wie schaffen wir es, uns zu erinnern?" Er fordert von den Anwesenden eine aktive Dokumentation ihrer Zeitzeugenschaft. Die Deutschen bräuchten "einen unverkrampften Begriff von Heimat". Die diesbezügliche Sonderheit hierzulande verstehe in Europa niemand.

Die Aussicht auf ein vom BdV autonom konzipiertes Zentrum gegen Vertreibungen scheint allerdings in weitere Ferne gerückt zu sein. Womöglich rächt sich hier die frühere Haltung Steinbachs, die eine alternative und kostengünstige Variante, eine Immobilie mit gut 6.000 Quadratmetern unweit des Potsdamer Platzes, in der Vergangenheit nicht weiterverfolgt hatte.

Die hoffnungsvolle Bemerkung Steinbachs indes, als während ihrer Begrüßungsworte ein Baby schrie ("Oh, ich höre, der Nachwuchs ist auch schon da"), scheint angesichts des Durschnitts-alters der BdV-Besucher eher wie ein frommer Wunsch. Das zeigte sich auch beim anschließenden Gottesdienst: Trotz Papst-Wort und Steinbachs Bitte, diesem beizuwohnen, verließen weit über neunzig Prozent den Saal - auf dem Weg zurück in die alte neue Heimat, ohne ein nationales Zentrum, das ihres Schicksals gedenken würde.


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