© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/07 17. August 2007

Der Warner aus Übersee
Sylvia Taschkas Biographie über den Diplomaten Hans-Heinrich Dieckhoff kann sich von moralisierenden Anklagen nicht lösen
Doris Neujahr

In ihrer Biographie über den Diplomaten Hans-Heinrich Dieckhoff (1884-1952), der von 1937/38 als Botschafter in den USA und 1943/44 in Spanien tätig war, hat die Historikerin Sylvia Taschka sich um Objektivität und Sachlichkeit bemüht, teilweise mit Erfolg. Taschka konnte aus reichen Quellen schöpfen, denn Dieckhoffs schriftlicher Nachlaß - Briefe, Tagebücher, Erinnerungen, Manuskripte etc. - hat alle Zeitwirren überstanden.

Dieckhoff wurde im elsässischen Straßburg geboren. Nach dem Jura-studium wurde er 1912 ins Auswärtige Amt übernommen. Er war ein "Schwipp"-Schwager des späteren Außenministers Joachim von Ribbentrop. Der älteste Bruder seiner Frau war mit einer Schwester Ribbentrops verheiratet. Über Dieckhoffs politische Haltung besagt das nichts. Nach der Novemberrevolution wurde er schnell zum Vernunfts-, dann zum Republikaner aus Überzeugung. Außenpolitisch sah er sich als Bismarckianer. Die Geduld und innere Stärke, die Bismarck befähigte, um langfristiger Ziele willen auf kurzatmige Prestigeerfolge zu verzichten, erschienen ihm vorbildlich. Sogar die Erfüllungspolitik nach Versailles versuchte er mit Gelassenheit zu betrachten. Der Katholik wählte die Zentrumspartei, gegen Ende der Weimarer Republik neigte er der SPD zu.

1922 wurde er als Botschaftsrat nach Washington geschickt. Zwei Erfahrungen prägten sich ihm dort ein: Er erkannte das ungeheure Potential und die Dynamik der USA. Ihr Einfluß auf das globale Geschehen würde weiter wachsen. Der Wiederaufstieg Deutschlands konnte nur mit, niemals gegen die USA gelingen. Zweitens nahm er den Einfluß wahr, den die öffentliche Meinung auf die amerikanische Politik ausübte. Deutschland mußte darum ringen, diese für sich zu gewinnen. Die deutschnationale Propaganda, die keine internationalen Zusammenhänge bedachte, wirkte sich nach seiner Meinung verheerend aus. Nach einer dreijährigen Zwischenstation in London kehrte er 1930 ins Auswärtige Amt zurück, als Referatsleiter "England/Amerika", dann als Ministerialdirektor. Taschka stellt ganz klar fest, daß Dieckhoff, der den Aufstieg der NSDAP nie anders als mit Sorge beobachtet hatte, 1933 allein aus Verantwortungsgefühl im Dienst blieb. Er wollte die Irritationen, die Hitlers Machtantritt im Ausland hervorrief, minimieren und die deutsche Außenpolitik in ruhigen Bahnen halten.

1937 wurde er als Botschafter in die USA entsandt. Er war die allererste Wahl. Die amerikanische Öffentlichkeit war dem nationalsozialistischen Deutschland extrem feindlich gesinnt, aber "Everybody likes Dieckhoff", schrieb eine Washingtoner Zeitung. Politisch konnte er kaum mehr als Schadensbegrenzung betreiben. Unter Präsident Roosevelt, das wurde Dieckhoff schnell klar, würde sich an der Feindseligkeit nichts ändern, das maximale Ziel konnte nur sein, die Präsidentschaft mit möglichst geringen Blessuren zu überstehen. In den Berichten nach Berlin mahnte er, auf Roosevelts Provokationen wie die "Quarantäne-Rede" von 1937 gar nicht einzugehen. Er warnte Ribbentrop, der seit April 1938 Außenminister war, ein Akt wie der Anschluß Österreichs wäre für Bismarck Grund gewesen, fünfzig Jahre lang Ruhe zu geben.

Er mahnte, daß die amerikanischen Isolationisten und Pazifisten aus Prinzip, keineswegs aber aus Sympathie für Deutschland gegen Roosevelts Interventionismus eintraten und, sobald eine andere Entscheidung fiele, diese mittragen würden. Die Bindungen zu Großbritannien seien eng, niemals würden die USA eine Niederlage Englands zulassen. Der staatliche Antisemitismus in Deutschland, hob er hervor, löste selbst bei amerikanischen Antisemiten und Deutsch-Amerikanern Widerwillen aus. Als Roosevelt nach dem November-Pogrom 1938 seinen Botschafter aus Berlin abberief, trat Dieckhoff bei Ribbentrop dafür ein, ihn in Washington zu belassen, um die deutschen Einflußmöglichkeiten nicht noch weiter zu verringern. Sein Rat war in den Wind gesprochen.

Als der Kriegseintritt der USA schon unvermeidlich erschien, begann Dieckhoff Aufsätze zur Globalpolitik der USA zu verfassen, die 1942/42 in den Monatsheften für Auswärtige Politik erschienen. Er nennt darin Roosevelt einen Hauptschuldigen an der Eskalation zum Weltkrieg und beschreibt seine Politik als Konsequenz der weltpolitischen Ambitionen, die die USA seit 1896 verfolgten. Laut Taschka ist das "eine höchst einseitige, bewußt lügnerische und auch hetzerische Sicht der Dinge". Untermauern kann sie ihr Urteil nicht. Sie unterläßt es, Dieckhoffs Argumentation nachzuzeichnen, sie moralisiert statt dessen, nennt Dieckhoff plötzlich "antisemitisch", auch "antiamerikanisch". Ihr Buch erreicht hier seinen Tiefpunkt.

Taschka schreibt nichts über die imperiale Politik der USA, nichts über die "polare Verbindung von liberalem Individualismus und völkerrechtlichem Universalismus" (Carl Schmitt) zugunsten amerikanischer Machtinteressen. Als Beleg für Dieckhoffs "Antisemitismus" dient ihr eine polemische Bemerkung über "das jüdische Element" in den USA, welches im 19. Jahrhundert erstmals "seine Krallen" gezeigt habe, sowie seine Empfehlung vom 9. Oktober 1941, in Rundfunksendungen in die USA auf die jüdische Herkunft wichtiger Berater Roosevelts, allen voran des Obersten Bundesrichters Felix Frankfurter, zu verweisen.

Taschka ignoriert, daß Dieckhoff in den Monatsheften keineswegs "die Juden" als "die Hauptvorkämpfer und Haupthetzer gegen Deutschland" benennt, sondern die Engländer, die dafür amerikanische Juden instrumentalisiert hätten. Er argumentiert nicht "rassisch", sondern realpolitisch, wenn er auf die Koinzidenz zwischen dem Kriegseintritt der USA 1917 und der britischen Balfour-Deklaration über einen jüdischen Staat in Palästina verweist. In diesem Zusammenhang fällt auch der Name des einflußreichen Finanziers Bernard Baruch.

Taschka analysiert erst recht nicht die faktischen Sachzwänge, die sich für Dieckhoff aus der damals aktuellen Quellenlage ergaben. So wies er auf das "deutsche Weißbuch über die Polendokumente" hin, die die "Einkreisungspolitik" der USA gegen Deutschland belegten. In dieser 1940 herausgegebenen Publikation aus Papieren des Warschauer Außenministeriums findet sich ein Bericht des polnischen Botschafters in Washington, Graf Jerzy Potocki, vom 12. Januar 1939, in dem von einer künstlich geschaffenen "Kriegspsychose" gegen Deutschland die Rede ist. "Jüdische Intellektuelle" wie Bernard Baruch, Felix Frankfurter, Henry Morgenthau "und andere, die mit dem Präsidenten befreundet sind", seien führend beteiligt. "Sie wollen, daß der Präsident zum Vorkämpfer der Menschenrechte wird (...), und er soll in Zukunft die Unruhestifter bestrafen", womit in vorderster Linie Deutschland gemeint war. Es folgen Sätze, die geeignet sind, das Klischee einer jüdischen Verschwörung bedienen. Im Vergleich dazu sind Dieckhoffs Formulierungen nachgerade diskret. Taschka geht auf solche Zusammenhänge nicht ein und verletzt damit die Regeln seriöser Wissenschaft.

In einem am 1. Januar 1946 erschienenen Aufsatz monierte Dieckhoff die völlige Rechtlosigkeit der Deutschen nach dem Krieg. Sie dürften beraubt, geschlagen, exmittiert werden, über ihre Bodenschätze, ihre Gesetze usw. bestimmten "ausschließlich die Fremden". Taschka fällt dazu nur die rhetorische Frage ein, ob Dieckhoff nicht doch ein "unverbesserlicher Nationalist" gewesen sei. Jedenfalls lasse er "Reue oder Bedauern" über das von "Deutschland begangene Unrecht" vermissen. Die Autorin bekundet damit jenen Zustand bundesdeutscher Glückseligkeit, in dem der Siegerwille zugleich moralisches Gesetz ist. Für eine akademische Karriere ist das die Voraussetzung, doch ihre Dieckhoff-Biographie bleibt eben deshalb ein Fragment.                 

Sylvia Taschka: Diplomat ohne Eigenschaften? Die Karriere des Hans Heinrich Dieckhoff (1884-1952). Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2006, gebunden, 289 Seiten, 45 Euro

Foto: Joachim von Ribbentrop und Hans Heinrich Dieckhoff (Mitte) 1936 in London: Die allererste Wahl


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