© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/07 17. August 2007

"Entschädigung statt Mitleid"
Mauergrundstücke: Politiker gedenken Opfern der deutschen Teilung / Eigentümer hoffen immer noch auf Gerechtigkeit
Anni Mursula

Am Montag versammelte sich zum 46. Jahrestag des Mauerbaus eine Handvoll Politiker an der Mauergedenkstätte in der Bernauer Straße in Berlin-Mitte. An der Kranzniederlegung nahmen neben dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) auch der Präsident des Abgeordnetenhauses, Walter Momper (SPD), CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger und die Chefin der Stasi-Unterlagenbehörde, Marianne Birthler, teil.

In der Mitte eines Pulks aus Journalisten steht Wowereit im strahlenden Sonnenschein. Geschmeidig beantwortet er die Fragen der Reporter zur Geschichtsaufarbeitung. Zum Schießbefehl meint er: "Das hat nur erneut bestätigt, daß das Unrechtsystem vor nichts zurückschreckte." Diese Tatsache sei nicht nur vor dem Hintergrund der momentanen Aktualität wichtig, sondern "jedes Jahr". Doch als er von der Kapelle der Versöhnung zur Gedenkstätte läuft, erklingen aus der Menge weniger versöhnliche Töne: "Was ist mit unseren Mauergrundstücken?" rufen drei Männer. Wowereit geht lächelnd weiter. "Die ganze Gedenkveranstaltung hier ist der Gipfel der Heuchelei", sagt ein Mann. "Die Politiker sollen kein Mitleid mit uns Opfern haben, sondern uns entschädigen."

28 Jahre lang teilte der 43 Kilometer lange "antifaschistische Schutzwall" die Stadt, schnitt Straßen ab und riß Familien auseinander. Das alles ist seit dem Mauerfall Geschichte. Doch auch fast 18 Jahre danach sind viele der Verbrechen des DDR-Regimes noch nicht gesühnt. So sind auch die vielen enteigneten Grundstücke an der ehemaligen Grenze immer noch nicht an die ursprünglichen Eigentümer zurückgegeben worden (JF 45/06). Insgesamt wurden in Berlin über 1.500 Grundstücke gewaltsam geräumt, um die Mauer aus Beton und Stacheldraht errichten zu können. Diese brutale Vorgehensweise des SED-Regimes wurde zwar vor der Wende von westdeutschen Politikern hart angegriffen. Doch nach der Wiedervereinigung empörten sich dieselben Politiker nicht mehr über die Enteignungen. Der Bund sperrte sich, die Mauergrundstücke an die Eigentümer zurückzugeben. Die damalige Regierung aus Union und FDP unter Helmut Kohl eignete sich sämtliche wertvollen Grundstücke für den Staatsbedarf selbst an.

Erst nach Protesten war die Bundesregierung bereit, den Enteigneten entgegenzukommen: 1996 wurde das "Gesetz über den Verkauf von Mauer- und Grenzgrundstücken an die früheren Eigentümer" beschlossen. Danach konnten die Enteigneten ihre Grundstücke gegen ein Viertel des Verkehrswertes, also mit einem Rabatt von 75 Prozent, zurückkaufen - oder erhielten drei Viertel des Verkehrswertes, wenn sie auf ihr Grundstück verzichteten.

"Ich habe das Grundstück meiner Urgroßeltern in der Brunnenstraße vor neun Jahren zurückgekauft. Der Berliner Senat hat für das Grundstück damals einen Wert von 400.000 Euro diktiert. Ich mußte dafür dann einen Viertel, also 100.000 Euro, bezahlen", sagt Sabine Omankowsky der JUNGEN FREIHEIT. "Sonst hätte ich auf das Land für immer verzichten müssen." Aber soviel Geld auf einmal hatte die Berliner Ärztin nicht: Sie mußte dafür einen Kredit aufnehmen. "Bis heute habe ich insgesamt beinahe 200.000 Euro für das Land gezahlt. Denn zu dem Kaufpreis kommen ja neben Zinsen noch Steuern, Vermessungs- und Notargebühren dazu." Aber damit endet die Geschichte nicht. Im Januar erhielt Omankowsky einen Bescheid vom Senat: Sie müsse ihr Grundstück wegen des Baus eines "Mauerparks" zurück an den Senat verkaufen. Doch das Grundstück sei laut Behörden plötzlich nicht mehr 400.000, sondern nur noch 170.000 Euro wert. Damit will sich die Ärztin nicht abfinden, schließlich würde sie damit nun zum zweiten Mal viel Geld verlieren. Doch Hoffnung macht sie sich kaum.

Zurück in der Bernauer Straße: Der68jährige Joachim Hildebrandt steht abseits, hinter dem Getümmel mit dem "harten Kern" seines Vereins Interessengemeinschaft Berliner Mauergrundstücke. Seit dem Mauerfall kämpfen sie für die bedingungslose Rückgabe der Grundstücke im Todesstreifen - mit wenig Erfolg. Und so haben viele der ursprünglichen 140 Mitglieder bereits resigniert. Andere haben wie Sabine Omankowsky entschieden, die 25 Prozent doch zu bezahlen. "Heute sind wir nur noch etwa ein Dutzend Aktive, die für ihre Eigentumsrechte kämpfen", sagt Hildebrand. Zur Demonstration sind lediglich sechs Mitglieder gekommen.

"Natürlich haben wir noch Hoffnung, sonst würden wir nicht hier stehen", sagen Wolfgang und Hanna Herbst. Die Familie besitzt ein Grundstück am Luisenufer - "in bester Lage", wie sie sagen. Das wollen sie nicht aufgeben oder für einen Schleuderpreis an den Senat verkaufen. Von den Politikern hierzulande erwarten sie und ihre Mitstreiter nicht mehr viel, doch auf europäischer Ebene gibt es neue Hoffnung: Im Juli hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Beschwerde gegen die Bundesrepublik wegen der enteigneten Mauergrundstücke angenommen.

Foto: Klaus Wowereit während der Gedenkveranstaltung: "Heuchelei"


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