© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/07 10. August 2007

Träumender Gott und grübelnder Bettler
Johannes Heinrichs analysiert den Philosophen und Dichter der Deutschen, Friedrich Hölderlin, anhand seines Romans "Hyperion"
Daniel Bigalke

Die traditionelle deutsche Philosophie versteht die Welt als gesetzte, hervorgehend nicht aus einem materiellen Antrieb der Extension, sondern aus dem zur Intension, der durch die Materialität zur Idealität und durch die Natur zur Freiheit einer intelligiblen Welt durchbricht.

Der schwäbische Philosoph und Dichter Friedrich Hölderlin (1770-1843) als Vertreter dieser Denkart ist in Deutschland und der Welt mehr durch seinen "Wahnsinn" als durch sein Werk berühmt. Nur so konnte der Erstherausgeber des Hölderlinschen Gesamtwerkes, der 1916 während seiner Herausgebertätigkeit in der berüchtigten Blutmühle vor Verdun gefallene Norbert von Hellingrath, schreiben, daß es das "Fremdartige" an der sich in der kurzen Epoche des deutschen Geistes hervorwagenden Dichtersprache und ihres lebensnahen Themenkreises war, das für "Spuren des Wahnsinns" gehalten wurde.

Hellingrath war es leid, daß viele Deutsche sich am vermeintlichen "Irrsinn" erregten und sich nicht an der Tiefendimension des eigentlichen Werkes und seinem außerordentlichen Standpunkt praktisch orientierten. Sein Zorn darüber gipfelt im ausdrücklichen Eintreten für den besonderen Weg Hölderlins als Dichter der Deutschen. Und so ist es heute an der Zeit, diesen Groll und vor allem Hölderlin ernst zu nehmen. Sein Roman "Hyperion" bietet dafür zahlreiche Anknüpfungspunkte und eröffnet die Dimension deutschen Denkens neu: "Eines zu sein mit Allem, das ist Leben der Gottheit, das ist der Himmel des Menschen." Und so ist der "Hyperion" Träger einer aktuellen Botschaft: Die heutige politische und geistige Erneuerung muß basieren auf einer "Revolution der Gesinnungen und Vorstellungsarten" (Hölderlin). Kurz: Nicht das Geld, sondern der Geist regiert die Welt. 

Johannes Heinrichs liefert jetzt die erste durchgehend textnah kommentierende Interpretation zu diesem Meisterwerk. Handeln und Erleben mit der Natur und gegenüber Menschen, als Liebe und Freundschaft wie als politisches Handeln, als Sprache und Kunst einer Nation gehören - so der Autor - zu den Mächten, welche diesen Roman prägen. Der Text desselben erscheint durch philosophische Interpretationshypothesen ergänzt. Es erschließt sich so die wahre Bedeutung Hölderlins, der als zentrale Gestalt den "realistischen Idealen eines eigentlichen Deutschland mit geistiger Substanz, Wahrheitssinn, Kreativität und Gerechtigkeitssinn" eine nachhaltige Wirkung verlieh und dem politischen Widerstand bis 1945 Leitfigur war.

Selbst Heidegger griff angesichts der deutschen Erniedrigung und Niederlage 1945 ausdrücklich zu Hölderlins Schrift, um den Weg zur Heilung der "Zerrissenheit Deutschlands" zu beschreiten. Die nunmehr vorliegende Annäherung an Hölderlin erscheint zum 200-Jahr-"Jubiläum" der Einlieferung des Dichters in den Tübinger Turm am 3. Mai 1807, worin er ganze 36 Jahre zugebracht hat, mehr denn je geboten. Heute befindet sich dort das von der Hölderlin-Gesellschaft betreute Museum und eine umfangreiche Bibliothek der Werke Hölderlins und seiner Rezipienten. Unverstanden und als "verwirrt" etikettiert, befand er sich dort bis zu seinem Tode 1843. "O, ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt, ein Bettler, wenn er nachdenkt." Hölderlins eigenes Leben war ihm Programm. Deshalb auch zerbrach er an den staatlichen und kirchlichen Verhältnissen seiner Zeit.

Er ist ein tragisches Sinnbild der freien deutschen Denkart und ihres oft nicht nur mit Nietzsche wiederkehrenden Schicksals: Das Scheitern in einer Welt der Mittelmäßigkeit, die von der "Wiederkehr der Götter" in Gestalt erleuchteter Denker, Politiker und Märtyrer nichts wissen möchte. Und zürnte Hellingrath hauptsächlich deshalb, weil dem Werk Hölderlins niemand gerecht werden konnte, so hat Heinrichs hier begonnen, diesen Zorn zu entkräften und Hölderlin auf gleicher Augenhöhe zu begegnen. Das bedeutet unverändert nichts weiter, als jenseits zeitlicher Vorteile und Vorurteile nach jenen ewigen Ordnungen zu streben, die zu allen Zeiten und bei allen Nationen in der Sehnsucht der Erlesenen lebte. 

Johannes Heinrichs: Revolution aus Geist und Liebe. Hölderlins "Hyperion" durchgehend kommentiert. Steno Verlag, München 2007, gebunden, 597 Seiten, 22 Euro

Foto: Georg Schreiner, Friedrich Hölderlin (Kohlezeichnung, 1826): Nicht das Geld, sondern der Geist regiert die Welt


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