LOCKERUNGSÜBUNGEN
Wertschätzung
Karl Heinzen

Der Handel hat zum Monatsbeginn die Preise für zahlreiche Molkereiprodukte drastisch erhöht, ohne daß es darüber zu mehr als bloß verbalen Aufständen in der Bevölkerung gekommen wäre. Dies läßt entgegen allen so häufig zu vernehmenden Unkenrufe auf eine breite Verankerung der marktwirtschaftlichen Weisheitslehre unter den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes schließen. Die Schuld an der Unbill der Verteuerung von Grundnahrungsmitteln trägt nämlich, so ihre Einsicht, in erster Linie das ewige Spiel von Angebot und Nachfrage und damit ein Schicksal, dem niemand zu entrinnen vermag.

Der Versuchung, einen Sündenbock für die Teuerung zu identifizieren, scheint glücklicherweise niemand erliegen zu wollen. Manche ärgern sich zwar ein klein wenig darüber, daß die Chinesen, die ja bereits den Benzinpreis in die Höhe getrieben haben, nun auch noch einen so immensen Durst auf die einst doch unerschöpflich wirkenden Milchseen der Europäer verspüren. Genauso, wie man aber 1,4 Milliarden Menschen das Recht auf Motorisierung nicht einfach streitig machen kann, wird ihnen nun niemand das Bedürfnis nach einer ausgewogenen Ernährung ausreden wollen, bloß weil man dadurch im Supermarkt vielleicht 40 Cent für ein Päckchen Butter sparen könnte.

Wie immer, wenn es um Auswirkungen der Globalisierung geht, sollte man daher auch diese vor allem als Chance begreifen. Die meisten unserer Grundnahrungsmittel sind viel zu lange schon viel zu billig gewesen, so daß wir für sie auch keine angemessene Wertschätzung entwickeln konnten. Der Preisanstieg für Milchprodukte, dem sich schon in Kürze ein vergleichbarer für Getreideerzeugnisse und Fleischwaren anschließen wird, ist spürbar genug, um hier eine überfällige Mentalitätsänderung anzustoßen.

Was begehrt ist, ist nun einmal teurer: Insofern sollte man nicht darüber klagen, wenn die Preise für Produkte, die für eine vernünftige ausgewogene Ernährung von zentraler Bedeutung sind, klettern, wird doch dadurch zum Ausdruck gebracht, daß das Gesundheitsbewußtsein der Verbraucher gewachsen ist. Der optimale Zustand wäre erreicht, wenn der Kunde an der Höhe des Preises ablesen könnte, wie wichtig das jeweilige Lebensmittel für seine Ernährung ist. Besonders gesunde Produkte würden dadurch zugleich zu einer Art Statussymbol. Ihren häufigen Erwerb könnten sich zwar nur mehr Begüterte leisten. Für alle anderen wäre damit aber ein Leitbild gesetzt, das vernünftiger wäre als all die unnützen Luxusspielzeuge der Reichen, die heute die Massen faszinieren.