© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/07 10. August 2007

Bushs gescheiterte Sicherheitsoffensive
Irak: Das Versagen der Regierung Maliki offenbart, daß das Zweistromland in regionale Machtzentren zerfällt
Günther Deschner

Schon als US-Präsident George W. Bush im Januar dieses Jahres seine "neue Irak-Strategie" verkündete, die das Blatt in letzter Minute doch noch wenden sollte, stand für die meisten Beobachter fest, daß die Kernpunkte dieser Strategie etwas Lotteriehaftes an sich hatten: "Bis September", so das Weiße Haus, sollte mit einer "Sicherheitsoffensive" der irakische Hexenkessel befriedet werden, die irakische Armee und Polizei in die Lage versetzt sein, aus eigener Kraft die innere Sicherheit des Landes zu garantieren, die irakische Ölindustrie als der wirtschaftliche Motor des zerstörten Landes auf dem sicheren Fundament eines neuen Ölgesetzes stehen. Und die irakische Regierung sollte konsolidiert sein und ihr Durchsetzungsvermögen beweisen können. Für die Erfüllung dieser Forderungen bleiben jetzt noch vier Wochen Zeit.

Doch die Regierung von Premier Nuri al-Maliki steht schlechter da als je zuvor. Sunnitische Parteien sind aus der Regierungskoalition ausgeschieden, ihre sechs Minister haben das Kabinett verlassen. Weitere sechs Minister, die dem schiitischen Geistlichen Moktada al-Sadr nahestanden, hatten die Maliki-Regierung bereits im April verlassen, weil der Premier sich geweigert hatte, einen Zeitplan für den Abzug der US-Truppen aufzustellen.

Am Dienstag erklärten jetzt auch die fünf Minister der säkularen Irak-Allianz des früheren Übergangspremiers Ayad Allawi, sie würden ab sofort nicht mehr an Kabinettssitzungen teilnehmen. Damit sind es 17 Minister, das halbe Kabinett, die die "Regierung der nationalen Einheit" ganz oder teilweise verlassen haben. Niemand kann mehr übersehen, wie rasant die Maliki-Regierung verfällt.

Auch im Parlament ist alles andere als Elan zu spüren: Obwohl erst knapp ein Viertel des selbstverordneten Quantums zur Vorbereitung dringend notwendiger Gesetze abgearbeitet ist, haben sich die Abgeordneten erst mal einen unplanmäßigen ausgedehnten Urlaub genehmigt. Erst am 4. September werden sie wieder zusammenkommen, und es ist nicht abzusehen, ob dann das umstrittene Ölgesetz (JF 26/07) das Parlament passieren wird.

Um den Vorwurf des "Ausverkaufs der nationalen Reichtümer" ans Ausland zu unterlaufen, hat die Regierung im Gesetzentwurf schon die alten, noch produzierenden 27 Ölfelder von den neuen Regeln ausgenommen. Das Recht zur Ausbeutung der 65 anderen, neuen und bislang unangetasteten Ölfelder hingegen soll weiterhin an internationale Konzerne verkauft werden.

Außerhalb der "Grünen Zone" geht ohnehin alles drunter und drüber. Mit Bombenanschlägen und Selbstmordattentaten dreht sich die Todesspirale weiter. Die allgemeine Sicherheitslage hat sich zwar etwas verändert, aber kaum verbessert. Ein ranghoher Kommandeur der US-Truppen im Irak, Generalleutnant Raymond Odierno, sagte, daß zuletzt Schiiten für rund drei Viertel aller Angriffe auf US-Truppen verantwortlich gewesen seien. Zwar seien viele sunnitische Aufständische durch die Sicherheitsoffensive aus Bagdad in andere Regionen vertrieben worden, ihren Platz hätten dafür jetzt schiitische Kämpfer eingenommen.

Auch mit der Effektivität der irakischen Sicherheitskräfte, die als wesentliche Bedingung für einen Abzug von US-Truppen gilt, ist es nicht zum besten bestellt. Von 200.000 Sturmgewehren und Pistolen, die die USA den irakischen Streitkräften zur Verfügung gestellt haben, fehlt jede Spur. US-Stellen befürchten, daß sie schon längst in den Händen von Aufständischen und Kriminellen sind.

Die Realitäten im Irak, die im Januar die "neue Strategie" Bushs erzwangen, haben sich seither eher verschlimmert: Das Versagen der Regierung Maliki machte erneut offenkundig, daß der Irak in regionale Machtzentren auseinandergebrochen ist. Die politische, sicherheitsmäßige und wirtschaftliche Macht hat sich auf regionale und lokale ethnische, religiöse und stammesmäßig gebundene Gruppen verlagert. Die Bagdader  Regierung ist nur noch einer unter vielen quasistaatlichen Akteuren. Die Kurden im Norden und die Schiiten im Süden konsolidieren ihre Autonomie immer deutlicher.

Aus der Fraktionierung der irakischen Gesellschaft und Politik ergibt sich, daß es nicht nur einen Bürgerkrieg im Irak gibt, sondern viele Bürgerkriege, Aufstände und Machtverteilungskämpfe, die in wechselnden Konstellationen fast alle gesellschaftlichen Kräfte einbeziehen. Der völlige Zusammenbruch eines ohnehin immer nur schwach ausgeprägt gewesenen gesamtirakischen Zusammengehörigkeitsgefühls geht damit einher.

Weitere Faktoren der Destabilisierung des Irak werden bis Ende des Jahres zutage treten: Der Föderalismus erscheint Kurden und immer mehr Schiiten als einziger Ausweg. Die Diskussion über Verteilung und Kontrolle der Öl- und Gasvorkommen und die Statusfrage von Kirkuk (Kerkûk), die laut Verfassung bis Ende 2007 durch eine Volksabstimmung gelöst sein muß, haben zerstörerische Sprengkraft in sich. Auch in diesem Kontext werden die drei mächtigsten Nachbarstaaten des Irak - Iran, Saudi-Arabien und Türkei - aus verschiedenen Gründen eine eher destabilisierende Rolle spielen, und jede wird versuchen, den Lauf der irakischen Dinge in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Eine Studie des britischen Strategie­instituts Chatham House hat sich bereits im Juni detailliert mit diesen harten Wahrheiten auseinandergesetzt. An dem schon damals gezogenen Fazit hat sich durch die geringfügigen Verschiebungen der irakischen Machtbalance, wie sie durch die US-Sicherheitsoffensive zustande gekommen sind, überhaupt nichts geändert: "Die Realitäten lassen - wenn neue Strategien irgendeine Chance für eine politische Lösung schaffen sollen - keinen anderen Weg als den, sich mit den Organisationen an einen Tisch zu setzen, die vom Volkswillen getragen sind, auch wenn sie nicht mit den US-Interessen in der Region im Einklang stehen."

Foto: US-Soldat vor zerstörtem Hotel in Bagdad: Die irakische Armee und Polizei soll aus eigener Kraft die innere Sicherheit garantieren


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