© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/07 10. August 2007

Dienstschluß für die Feierabend-Terroristen
Linksextremismus: Polizei verhaftet vier mutmaßliche Mitglieder der "militanten gruppe" / Zahlreiche Brandanschläge in Berlin und Brandenburg
Peter Freitag

Am Wochenende verübten Unbekannte einen Anschlag auf ein Gebäude der Berliner Justizverwaltung, indem sie Flaschen mit brennbarer Flüssigkeit durch ein offenes Fenster warfen. Weil jedoch die Zünder versagten, schlug der Brandanschlag fehl. Die Polizei schließt einen politischen Hintergrund nicht aus, der Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen.

Möglicherweise steht die Aktion im Zusammenhang mit der in der vergangenen Woche erfolgten Verhaftung von vier Linksextremisten, denen die Mitgliedschaft in der "militanten gruppe" (mg) vorgeworfen wird. Unter dieser Bezeichnung tritt seit 2001 eine Gruppierung auf, der seitdem über zwanzig Anschläge im Raum Berlin-Brandenburg zur Last gelegt werden. Zuletzt bezichtigte sich die Gruppe selbst, am 18. Mai dieses Jahres einen Brandanschlag auf zwei Einsatzfahrzeuge der Berliner Polizei verübt zu haben. Bereits diese Aktion wurde mit Ermittlungsmaßnahmen der Bundesanwaltschaft gegen Beschuldigte aus dem Umfeld der mg begründet.

Ein Merkmal der Gruppierung, das die Ermittlungsarbeit offensichtlich erschwerte, ist ihr streng konspirativer Aufbau sowie die Tatsache, daß ihre Aktivisten nicht dauerhaft im Untergrund agieren, sondern sich lange Zeit hinter einer "bürgerlichen" Fassade verstecken konnten. Da sie offensichtlich abseits ihres kriminellen Treibens einer normalen beruflichen Tätigkeit nachgingen, sprach man in Ermittlerkreisen von sogenannten "Feierabend-Terroristen". Außerdem ließen die der mg zugeschriebenen Positionspapiere oder "Bekennerschreiben" darauf schließen, daß die Mitglieder zum Teil über einen höheren Bildungsgrad verfügen müssen.

Die Gruppe nimmt für sich in Anspruch, der "bewaffneten Propaganda in der Form einer Stadtguerilla" zu dienen: "Wir kämpfen auf der Basis eines sozialrevolutionären und antiimperialistischen Ansatzes perspektivisch für eine klassen- und staatenlose kommunistische Gesellschaftsform". Erstmals bundesweit in Erscheinung trat die mg, als sie im Jahr 2001 an mehrere Repräsentanten der Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft, darunter den Vorsitzenden Otto Graf Lambsdorff, Drohbriefe mit beigefügten scharfen Kleinkaliber-Patronen geschickt hatte, da nach Meinung der Linksextremisten die Entschädigungssumme für ehemalige Zwangsarbeiter zu gering gewesen sei.

Allein im vergangenen Jahr verübte die Gruppe acht Anschläge, was eine deutliche Steigerung gegenüber den Vorjahren bedeutete. Verfassungsschützer gingen davon aus, daß der G8-Gipfel in Heiligendamm einer der Gründe dafür war. Die Ziele ihrer Anschläge hatten dabei stets einen "symbolischen" Wert. Einen Schaden von 100.000 Euro richtete der Anschlag auf Fahrzeuge des Ordnungsamtes Treptow-Köpenick an; die Begründung: "Ordnungsämter sind ein weiterer Teil staatlicher Überwachung und Repression sowie der Militarisierung des Inneren der Gesellschaft. Sie sind ein Kettenglied des staatlichen Gewaltmonopols sowie ein fester Bestandteil der Festigung der kapitalistischen Eigentums- und Gesellschafts(un-)ordnung - und somit eine Facette des derzeitigen Klassenangriffs von oben."

In einer Mitteilung des Bundeskriminalamtes heißt es zur Ideologie der mg, der es auch um eine "Vernetzung" der revolutionären Linken und die Fortführung einer sogenannten "Militanzdebatte" ging (JF 49/06): "Die Gruppe begreift die Veränderung der Gesellschaft hin zum Kommunismus als historische Zwangsläufigkeit und schreibt dabei einer noch aufzubauenden kommunistischen Partei bzw. einer 'revolutionären Organisation, die sich die Struktur einer Partei' gibt, eine zentrale Rolle zu."

Mal galten die Anschläge der "Sozialtechnokratie" und den "antiproletarischen" Urteilen der Sozialrichter, mal den "Menschenjagdabteilungen der Bundespolizei". Trotz solcher Selbstbezichtigungen konnten diese Taten bisher nicht einem bestimmten Personenkreis zugeordnet werden. Jetzt aber wurden drei der Verhafteten am 31. Juli auf frischer Tat festgenommen, als sie auf dem Gelände eines Fahrzeughersteller Bundeswehr-Lastwagen in Brand setzen wollten. Offensichtlich waren die Ermittler den Verdächtigen schon länger auf der Spur. Vor allem die vielkritisierten Razzien in Einrichtungen der linken Szene vor dem G8-Gipfel stehen wohl im Zusammenhang mit den jetzt erfolgten Festnahmen. Allein in Berlin und Umgebung waren 18 Gebäude und Wohnungen durchsucht worden.

Die Vorgehensweise von BKA und Bundesanwaltschaft gegen die Verdächtigen wurde von einem ihrer Verteidiger in der linken Jungen Welt als "unhaltbar und skandalös" bezeichnet. Die Tatsache, daß die Verdächtigen per Hubschrauber nach Karlsruhe gebracht wurden, sei "völlig unverhältnismäßig, reine Propaganda und Abschreckung".

Auch der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Volker Ratzmann, bezeichnete das Vorgehen als überzogen. Die Bundesanwaltschaft wolle augenscheinlich aus einem losen Zusammenschluß von Personen eine terroristische Vereinigung konstruieren, kritisierte der Grünen-Politiker.


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