© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/07 10. August 2007

Knietief im Schlamassel
Zurück zu Kaiser Wilhelm: Auslandseinsätze der Bundeswehr
Paul Rosen

Die deutsche Regierung zappelt hilflos durch die internationalen Gefilde. Nein, man will nicht aus Afghanistan abziehen, tönen Kanzlerin Merkel und Verteidigungsminister Jung, wenn die Taliban deutsche Geiseln nur dann wieder freigeben wollen, falls die Bundeswehr sich aus dem Land zurückzieht. Und man will nicht nach Sudan oder in den Tschad, heißt es aus der Bundesregierung, sobald sich in Europa Bestrebungen zur Bildung einer Einsatztruppe abzeichnen. Was Berlin wirklich will, sagt man nicht. Es gibt auch nichts zu sagen, weil es keine deutsche Afrika- und Asienpolitik gibt.

Die deutsche Außen- und Militäreinsatzpolitik ist von einem allerdings nicht besonders stabilen Eckpfeiler bestimmt: durchlavieren und möglichst alles unverändert lassen. Egal, wie tief der Schlamassel ist: Man bleibt am liebsten knietief drin stecken. Das zeigt sich zuerst im Kosovo. 1999 begann der Einsatz. Noch heute stehen in der serbischen Provinz 3.000 Soldaten der Bundeswehr. Getan hat sich dort wenig. Die Sicherheitslage ist labil, eine wirtschaftliche Entwicklung hat es nicht gegeben, und ob die Provinz ein eigener Staat wie Montenegro wird oder mit Serbien weiter verbunden bleibt, ist auch nach langen Jahren zäher Verhandlungen völlig unklar. Trotz des klaren Mißerfolgs wird an dem Einsatz der Bundeswehr festgehalten.

Aus dem schlechten Beispiel Kosovo werden für Afghanistan keine Konsequenzen gezogen. Die einzige politische Kraft, die im Bundestag die Dinge beim Namen nennt, ist Oskar Lafontaines Linkspartei. Sie fordert den Abzug der Bundeswehr, während Union, SPD, Grüne und FDP mal stärker und mal weniger an dem Einsatz herumnörgeln. Die Wahrheit spricht aber fast niemand aus. Mit den 3.000 Soldaten und sechs Aufklärungsmaschinen läßt sich im Norden von Afghanistan keine Sicherheit herstellen. Die deutschen Stützpunkte sind Hunderte von Kilometern voneinander entfernt. Patrouillen finden nur in einem kleinen Umkreis um diese Lager statt. Von einer Stabilisierung der Lage durch die deutschen Truppen zu sprechen, ist pure Übertreibung. Und Strukturmaßnahmen wie Straßen- und Brückenbau haben bestenfalls den Rauschgifthandel befördert.

Der afghanische Präsident Karsai und seine Minister herrschen gerade über den Bereich der Hauptstadt Kabul und in anderen Regionen nur dort, wo ihnen die Schnellfeuergewehre amerikanischer Truppen Autorität verschaffen. Die Demokratisierung des Landes und die Schaffung westlicher Strukturen zum Beispiel im Bildungssystem sind fehlgeschlagen, vermutlich deshalb, weil die internationalen Planer nie die Frage beantwortet haben, ob die Afghanen überhaupt westliche Strukturen wollen.

In der Berliner Großen Koalition regiert die nackte Hilflosigkeit. Natürlich muß man zugeben, daß die Operation Afghanistan kein Erfolg ist. Es wird also auf Zeit gespielt, die Entsendung von mehr Polizisten angekündigt. Der deutschen Öffentlichkeit soll damit suggeriert werden, es handele sich nicht nur um ein militärisches, sondern auch um ein polizeiliches Problem. Aber Koalitionsexperten wie der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold spielen auch mit dem Gedanken, mehr Soldaten nach Afghanistan zu schicken. Mit den zusätzlichen Truppen könnte die Bundeswehr dann einen weiteren Stützpunkt betreiben, vielleicht sogar im umkämpften Süden des Landes.

Das ist ein durchsichtiges Manöver. Die SPD weiß, daß sie bei der Verlängerung des Mandates "Enduring Freedom", das den Einsatz von bis zu hundert Soldaten der Elitetruppe Kommando Spezialkräfte (KSK) in Afghanistan vorsieht, Probleme mit der Mehrheit hat. Ein Scheitern des Antrags auf Mandatsverlängerung im Bundestag gilt als möglich. Also bietet man mit Blick auf den großen Verbündeten jenseits des Atlantik eine Erhöhung der regulären Truppenzahlen an und verzichtet auf die Spezialkräfte bei Enduring Freedom. Die Frage nach dem Sinn des Afghanistan-Einsatzes wird nicht mehr gestellt.

Auch eine Exit-Strategie gibt es nicht, obwohl man diese angesichts der Erfahrungen britischer Kolonial- und russischer Besatzungstruppen zuerst hätte entwickeln müssen. Wie zu hören ist, geht die Geduld der Afghanen mit den westlichen Truppen - auch den deutschen - zu Ende. Und wenn die Phase der Gastfreundschaft beendet ist, pflegt der Afghane zum Messer zu greifen, wenn der Gast die Abreise-Empfehlungen ignoriert.

Verteidigungsminister, Wehrbeauftragter und Fraktionsexperten werden nicht müde, auf die Überlastung der Bundeswehr hinzuweisen. Daher wird ein Einsatz in der sudanesischen Provinz Darfur abgelehnt. Europäischen Überlegungen, mit einer EU-Truppe im Tschad einzugreifen, stießen in Berlin ebenfalls auf taube Ohren - bisher jedenfalls.

Das Drängen Frankreichs, daß Deutschland sich in Afrika mehr engagiert, wird stärker werden. Der neue Präsident in Paris, Nicolas Sarkozy, richtet die Afrika-Politik seines Landes neu aus. Sein Engagement in Libyen ist ein erstes Zeichen. Sarkozy braucht verbündete Truppensteller, und die will und wird er in Berlin finden. Kanzlerin Merkel wird dem drängelnden Franzosen bald nachgeben, und die Deutschen bekommen eine ständige Garnison Afrika: wie bei Kaiser Wilhelm.                             


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