© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/07 27. Juli / 03. August 2007

Unmoral des Bombenkrieges
Lothar Fritze beurteilt den alliierten Luftkrieg 1939-1945 mit juristischen und philosophischen Maßstäben
Björn Schumacher

Lothar Fritze, Philosoph und Politologe am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung der TU Dresden, ist ein Vertreter des Kritischen Rationalismus (Karl Raimund Popper), der in den 60er und 70er Jahren einflußreichsten Gegenströmung zur Kritischen Theorie der Frankfurter Schule. Er erweist sich als profunder Kenner kriegsgeschichtlicher Abläufe, Ergebnis einer qualitativ wie quantitativ hervorragenden Literaturauswertung. Enorm profitiert Fritze von den akribischen Forschungen der Militärhistoriker Olaf Groehler (DDR) und Horst Boog. Diskussionswürdig sind allerdings zwei Opferzahlangaben: die jeweils 25.000 Bombentoten vom 3. Februar 1945 (Berlin) und 13./14. Februar 1945 (Dresden). Was bei der luftkriegserprobten Reichshauptstadt mit ihrer weiten, massiven, dem Feuer trotzenden Bauweise um eine Zehnerpotenz zu hoch gegriffen sein könnte - meist werden Zahlen von bis zu 3.000 genannt -, ist im Falle Dresdens Gegenstand eines speziellen "Historikerstreits". Es gibt seriöse Hinweise auf eine deutlich höhere Opferzahl, denen nachzugehen lohnend erscheint (zuletzt JF 10/07).

Kundig erläutert der Nichtjurist Fritze die Theorie des ungeschriebenen Luftkriegsgewohnheitsrechts. Dank seiner Problemsensibilität und analytischen Schärfe gelingen ihm beachtliche Vertiefungen. Dagegen fehlt eine systematische Untersuchung des geschriebenen Völkervertragsrechts, etwa der Haager Landkriegsordnung (1907), im Lichte der juristischen Interpretations- und Methodenlehre. Dies freilich ist nicht Aufgabe der Philosophie, sondern der Völkerrechtslehre, die bislang wenig zur Aufarbeitung des "Bombenterrors" beigetragen hat. Eberhard Spetzler, Albert Steinkamm oder der Rechtshistoriker Heinz Marcus Hanke gehören zu den Ausnahmen.

Regalmeter voller juristischer Literatur über Dresden, Pforzheim, Hiroshima oder Nagasaki? Fehlanzeige! Das liegt wohl auch am politisch korrekten Schweigegebot der Politik. Der damalige Bundespräsident Roman Herzog, ein renommierter Rechtslehrer, gab am 13. Februar 1995 die "Steilvorlage", als er seine Kollegen indirekt zur Forschungsabstinenz aufforderte: "Es gibt keinen Sinn, darüber zu richten, ob der Bombenkrieg, an dessen Unmenschlichkeit ohnehin niemand zweifelt, im juristischen Sinne rechtmäßig war oder nicht. Was bringt uns das?"

Hauptthema Fritzes ist aber die Entwicklung einer halbwegs plausiblen Bombenkriegsethik. Ausführlich erörtert er die Theorie des gerechten Krieges, die sich in die Lehre vom gerechten Kriegsentschluß (auch bezüglich der Weiterführung eines Krieges, ius ad bellum) sowie die Lehre von den Mitteln gerechter Kriegführung (ius in bello) gliedern läßt. Vor allem dieser zweite Aspekt bildet den systematischen Standort einer ethischen Luftkriegstheorie. Fritze prüft die Strategie anglo-amerikanischer Flächenangriffe, speziell in ihrer Zielrichtung als "Moral Bombing" (korrekter wäre die Bezeichnung "Morale Bombing"), am Leitfaden des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Es knüpft die Legitimität menschlichen Verhaltens an einen moralisch vernünftigen Zweck sowie an die Tauglichkeit, Erforderlichkeit und Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) der diesen Zweck anstrebenden Mittel. Fritzes Argumente imponieren durch beispielhafte Durchdringungstiefe und analytisch klare, widerspruchsfreie Folgerungen. Sie entlarven die Flächenangriffe des Zweiten Weltkriegs, die in Deutschland über 600.000 unschuldige Zivilisten und weltweit etwa 1,5 Millionen Menschen töteten, als Akte empörender Unmoral und jeden Legitimierungsversuch als Ausdruck hilfloser Rechtfertigungsideologie.

Das gleiche hohe Niveau kennzeichnet Fritzes Ausführungen zum Entschluß der Westmächte, den Krieg gegen  das nationalsozialistisch regierte Deutschland aufzunehmen und ihn unbeschadet wechselnder Kriegsziele und der unvermeidbaren Waffenbruderschaft mit dem verbrecherischen Stalin-Regime fortzuführen. "Der Krieg der Alliierten, insbesondere der Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland", so Fritze, "gilt heute als der Prototyp eines gerechten Krieges. Damit wurde eine Legitimationsressource geschaffen, die sich bei Bedarf scheinbar problemlos abrufen läßt." Wer Bombenkriegsmahnmale oder -gedenkveranstaltungen besucht, wird dem Autor spontan zustimmen. Er erfährt viel vom "Krieg, den die Deutschen losgebrochen haben" (Erinnerungsstätte im Würzburger Rathaus), und ihrer "Befreiung" am 8. Mai 1945, aber kaum etwas über "alliierten Bombenterror". Deutsche Erinnerungskultur funktioniert als nationalneurotischer Zerrspiegel; sie wird darin von der britischen Presse kräftig unterstützt. "Es hilft nichts, die Deutschen haben angefangen", mäkelte der Independent über Jörg Friedrichs "Der Brand", "deshalb müssen wir uns wegen Dresden nicht bei ihnen entschuldigen."  

Allenfalls mag man Fritze vorhalten, seine Auseinandersetzung mit den alliierten Kriegszielen sei etwas zu breit, denn es gibt keine logische Verknüpfung zwischen dem ius ad bellum und dem ius in bello. Insbesondere sind gerechte Kriegsziele keine hinreichende oder notwendige Bedingung einer gerechten (Luft)kriegführung. Wären sie eine hinreichende Bedingung und hätten die Alliierten ausnahmslos gerechte Ziele verfolgt, dann wären auch alle ihre Flächenangriffe gerecht gewesen. Wären gerechte Kriegsziele eine notwendige Bedingung gerechter Luftkriegführung, dann hätten ebenso selbstverständlich alle deutschen Lufteinsätze den Begriff des Kriegsverbrechens erfüllt.

Fritzes Monographie gehört zum Besten, was normative (philosophische und juristische) Bombenkriegstheorie hervorgebracht hat, und hält jeden Vergleich mit Anthony Graylings populärem Werk über "Die toten Städte" (Interview in dieser Ausgabe) aus. Verständnisprobleme drohen aber dem in rechts- und moralphilosophischen Diskursen ungeübten Leser. Dieser könnte wegen des plakativen Buchtitels eine leicht konsumierbare Streitschrift erwarten und von Fritzes hochdifferenzierter Gedankenführung überrascht werden. Der Autor mag vor einer Neuauflage über die eine oder andere Straffung sowie eine stärkere Gliederung seines Buches nachdenken.

Lothar Fritze: Die Moral des Bombenterrors. Alliierte Flächenbombardements im Zweiten Weltkrieg.     Olzog Verlag, München 2007, gebunden, 347 Seiten, 29,90 Euro

Foto: Verbrannte Zivilisten nach dem britischen Bombenangriff auf Hamburg, Juli 1943: Hilflose Rechtfertigungsideologie der Alliierten


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