© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/07 27. Juli / 03. August 2007

Pankraz,
Roland Koch und die Götterdämmerung

Assoziationshaltiger Zufall: Pünktlich zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele, auf denen Christian Thielemann wieder den vollen "Ring des Nibelungen" dirigieren wird, ist in der Berliner Politik ein großes Wehgeschrei über den drohenden Ausverkauf unserer Wirtschaft an internationale Finanzkräfte losgebrochen. "Die Nibelungen kommen", lautete eine Schlagzeile. Bald gäbe es überhaupt keine loyalen einheimischen Kräfte an der Spitze deutscher Unternehmen mehr, nur noch "Nibelungen", vulgo: Nebelheimer, Schemengestalten, auch Heuschrecken genannt, die unter Umständen ganze an sich gesunde nationale Wirtschaften zerstören.

Was man noch vor kurzem mit der Allerweltsvokabel "Globalisierung" zudeckte und beschönigte, steht plötzlich im vollen Licht der Medien: Auch Heuschrecken, also die großen "anonymen" Investoren, kommen irgendwo her, sie sind oft mit ausländischen Regierungen, bzw. einflußreichen Regierungskreisen, eng verflochten und besorgen eindeutig deren Geschäfte - letztlich zum Schaden der deutschen Unternehmen und der deutschen Volkswirtschaft.

Hessens Ministerpräsident Roland Koch warnte soeben speziell vor chinesischen und russischen Staatsfonds, denen man sich nicht auf Gedeih und Verderb ausliefern dürfe. "Wir privatisieren unsere Konzerne", sagte er einer Zeitung, "und wenn diese dann von anderen Staaten gelenkt werden, soll uns das egal sein? So blöd können und dürfen wir doch nicht sein." Das mindeste, woran jetzt zu denken sei, sei die Einrichtung einer nationalen Behörde nach amerikanischem oder französischem Vorbild, die im Falle ausländischer Investitionen über Genehmigung oder Nichtgenehmigung entscheidet. Die Zeit dränge jedenfalls, es sei faktisch bereits  fünf Minuten nach zwölf.

Wenn schon ein CDU-Ministerpräsident so alarmistisch redet, kann man sich vorstellen, wie viel im argen liegt. Deutschlands offizielle Führungskräfte, ob Politiker, Wirtschaftsbosse oder Medienfürsten, haben die letzten Jahre in puncto Wirtschaftspolitik regelrecht verpennt. Manisch fixiert auf die innenpolitische Scheinalternative "Soziale Gerechtigkeit oder kreativer Neoliberalismus", haben sie das Zentralproblem, nämlich die Herstellung wirtschaftsinstitutioneller Waffengleichheit im internationalem Rahmen, sträflich ignoriert.

Warnungen von konservativer Seite wurden einfach in den Wind geschlagen. "Die sprichwörtliche deutsche Tüchtigkeit wird's schon richten", schien man zu glauben, während man gleichzeitig eifrig dabei war, eben diese Tüchtigkeit zu diffamieren und auszuschalten. Einerseits spielte man sich als Gralshüter der reinen marktwirtschaftlichen Lehre auf, andererseits sah man z.B. flott darüber hinweg, daß nach französischem Recht französische Investoren ohne weiteres deutsche Unternehmen aufkaufen dürfen, nicht aber deutsche Investoren französische Unternehmen. All das rächt sich jetzt.

Und noch immer tragen die meisten Akteure Scheuklappen. Voller gespielter Pingeligkeit wird unterschieden zwischen "Hedge-Fonds" (die angeblich harmlos und gut sind) und "Staats-Fonds" (die angeblich als einzige gefährlich und böse sind). Als machte es einen Unterschied, ob eine Volkswirtschaft aus reinem, "allgemein menschlichem" Profitinteresse kaputtgemacht wird oder aus national-egoistischem Konkurrenzkalkül!

Über so etwas extra nachzudenken, ist nichts als eitle ideologische Spiegelfechterei. Es geht in der modernen Wirtschaft nicht ums Zerstören, auch nicht ums "schöpferische Zerstören" im Stile von Schumpeter, sondern einzig ums Wertschöpfen, wobei der "Wert" nicht nur in Geldbeträgen für Aktionäre bestehen darf, sondern auch in der Anhebung nationalen Wohlstands, in Jobvermehrung, Schaffung und Festigung korporativer Identitäten, Verbesserung  öffentlicher Infrastrukturen, Bildung, Landschaftsschutz usw.

Große Investitionen auf solcherlei wohltätige Folgen oder ihr voraussehbares Ausbleiben hin zu prüfen und daraus Schlußfolgerungen zu ziehen, ist das gute, ja notwendige Recht eines jeden funktionierenden Staates, der seinen Namen verdient.  Alle Staatsmänner in aller Welt wissen das und handeln danach; nur in Deutschland scheint dieses Wissen abhanden gekommen zu sein, mit der Folge, daß die hiesige Wirtschaft nun offenbar Gefahr läuft, feindlich übernommen zu werden.

Wie sagte Ministerpräsident Roland Koch, gefragt, warum er denn so heftig gegen eventuelle chinesische und russische Investitionen anwettere, bisher jedoch noch kein einziges Wort gegen real existierende Engagements beispielsweise arabischer Staatsfonds bei DaimlerChrysler gesagt habe? "Wir wollen staatliche Investitionen nicht grundsätzlich verbieten, aber wir wollen wenigstens die Chance haben, überprüfen, abwägen und entscheiden zu können". Die Leute sind bescheiden geworden. Hoffentlich bleibt es nicht beim bloßen Wollen, hoffentlich kommen auch Taten, selbst wenn sie nicht gegen Chinesen gerichtet sein sollten.

Um aber auf Bayreuth zurückzukommen: Vielleicht sollte man unseren Politikern und Managern (soweit sie es nicht ohnehin tun) dringend raten, auf den Grünen Hügel zu wallfahren, um sich den "Ring des Nibelungen" anzuhören und anzusehen. Da könnten sie ausgiebig studieren, wohin es führt, wenn man sich mit dem Gold der Alberiche und anderer Nebelheimer einläßt, ohne ernsthaft die Konsequenzen zu bedenken.

Man glaubt wie Jung-Siegfried, daß die Welt einem zu Füßen liege, hört die Waldvögelein singen, tötet Drachen, durchschreitet unversehrt Feuerkreise, erobert Walküren. Aber in Wahrheit ist man nur Spielball in der Hand höherer Schicksalsmächte, muß dauernd anderen die Kastanien aus dem Feuer holen, und am Ende gibt es sogar noch Götterdämmerung, die Nacht im Tunnel, wo alle Kühe schwarz sind. Dann vielleicht doch lieber entschlossene Industriepolitik à la Sarkozy. Schließlich geht es um Jobs und Wählerstimmen.


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