© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/07 27. Juli / 03. August 2007

Profit mit Schrott
Abwrackindustrie in Indien: Ein Tag, ein Schiff, ein Toter
Michael Howanietz

Der europäischen Öffentlichkeit wird die letzte Reise einst stolzer Kreuzfahrt-, Handels- oder Kriegsschiffe nur in schlagzeilenträchtigen Fällen und auch dann nur bruchstückhaft vermittelt. So das Schicksal der SS Norway. Das einst größte Kreuzfahrtschiff der Welt sollte bereits Anfang des Jahres 2006 verschrottet werden. Doch in Anbetracht der enormen Asbestbelastung des Ozeanriesen wollte selbst das interessierte Bangladesch keine Verschrottung vornehmen.

Nach einigem Hin und Her übernahm ein indischer Abwracker das Schiff und die neue "Blue Lady" machte  sich auf den Weg ins indische Mekka der Schiffsabwrackindustrie - nach Alang an der Küste des indischen Bundesstaates Gujarat. Doch auch die indischen Behörden blockierten - weltweite Umweltschutzbestimmungen im Blick - die Verschrottung. Das Rätselraten um das Schicksal des in die Jahre gekommenen Luxusliners begann und endete dieser Tage im Gästebuch www.lostliners.de. Dort schrieb Stefan: "Ich habe durch einen Bekannten, der seit Jahren bei Greenpeace aktiv ist, gehört, daß die Abwrackung der 'Norway' in Alang begonnen hat."

Doch das Schicksal der Norway ist kein Einzelfall. Insgesamt warten weltweit mehrere hundert asbestbelastete Schiffe auf den Heimgang in Poseidons Reich. Doch auch die Zahl "normaler" schrottreifer Schiffe liegt auf einem hohen Pegel. Spitzenreiter bei der Verwertung ist Indien, das um die sechzig Prozent des Verschrottungsmarktes abdeckt. Und das Kalkül von Werftbetreibern und Politikern liegt auf der Hand. Vom durchschnittlichen Leergewicht der Schrottschiffe, das bei 13.000 Tonnen liegt, entfallen 95 Prozent auf Stahl. Für die rohstoffarmen Schwellenländer bedeutet dessen Wiederaufbereitung wertvolle Ressourcen und zunehmende Unabhängigkeit von teuren Importen. Unter welchen Bedingungen für Arbeiter und Umwelt die Zerlegung der pensionierten Ozeanriesen erfolgt, spielt in dieser Kosten-Nutzen-Rechnung eine untergeordnete Rolle.

Doch auch für die Exportländer der mit bis zu einhundert Tonnen bedenk-licher Anstrichsubstanzen (Blei, Kadmium, Arsen, Zink, Chrom) beschichteten Stahlkolosse ist die Abwrackung an fernen Küsten ein lohnendes Unterfangen. Mit dem mit gefährlichen Baustoffen bestückten Schiffsrumpf wird auch die von ihm ausgehende Umweltgefährdung exportiert. Zudem verkauft der Eigentümer sein Schiff nach Stahlgewicht. Er umgeht nicht nur sämtliche Entsorgungskosten, sondern erzielt pro Tonne Stahl einen ansehnlichen Erlös von seiten des Abbruchunternehmens. Und gerade beim begehrten Stahlschrott hat sich in den letzten fünf Jahren der Preis um 220 Prozent erhöht und liegt derzeit bei 243 Euro pro Tonne. Insbesondere der rapide steigende chinesische Stahlhunger garantiert den Problemstoffabschiebern wachsende Gewinne.

Auf der Strecke bleiben angesichts solch profitabler Geschäfte die Umwelt ganzer Küstenregionen und die von den Unternehmen ausgebeuteten Arbeiter. Alleine in Alang sind es 20.000 vorwiegend junge Männer, die mit bloßen Händen, ohne Schutzbekleidung und ausreichende medizinische Versorgung, für Ausschlachtung und Zerlegung der Wracks zuständig sind.

Fehlende Fachkenntnisse und Sicherheitskonzepte sowie ungenügende Ausrüstung sind hauptverantwortlich für Invalidität und Tod zahlreicher Arbeiter. Für ein bis zwei Dollar Tageslohn nehmen die jungen Männer enorme körperliche Anstrengungen, ständige Unfallgefahren und den unmittelbaren Kontakt mit vielfältigsten Gift- und Schadstoffen auf sich. Sie schlafen in unmittelbarer Nachbarschaft ihres Arbeitsplatzes und atmen auch während der Nacht die giftigen Dämpfe von Blei, Asbeststaub und anderen krankmachenden Substanzen ein. So heißt es dann auch mal: Ein Tag, ein Schiff, ein Toter.

Die Todesursache der meisten Wanderarbeiter, sofern es sich dabei nicht um Brände, Explosionen, Ersticken oder herabfallende Trümmerteile handelt, bleibt aber zumeist unentdeckt. Die Arbeiter werden nicht namentlich registriert und sind damit nicht zu identifizieren. Familienangehörige können deshalb nicht verständigt werden. So werden die Toten direkt an ihrem Arbeitsplatz verbrannt und bleiben anonym. In Alang im indischen Bundesstaat Gujarat, dem weltweit größten Schiffsfriedhof, sind es jährlich knapp 400 Arbeiter, die solcherart in die Küstennebel der Vergessenheit eingehen.

Der Friedhof der Schiffe hat es in sich. Unterschiedlichste Restöle (Treibstoffe, Hydraulik- und Schmieröle), giftige Dichtungsmassen und diverse Asbestsorten gelangen in die Küstengewässer oder werden als Baustoffe für die Häuser der Ärmsten ins Landesinnere verbracht.

Greenpeace konnte anhand von Meerwasser-und Bodenproben das enorme Ausmaß der Verschmutzungen feststellen. Die Umweltschützer fordern daher, im Verein mit der Basler Konvention und mehreren Organisationen der internationalen Schiffahrt, ein Ende der illegalen Gifttransporte. Der Schadstoff-Export aus den reichen OECD-Staaten in Abbruchländer sei zu unterbinden. Die IMO (International Maritime Organization) solle Bestimmungen der Basler Konvention in das internationale Seerecht übernehmen.

Auch seien verbindliche Mindeststandards für Technik, Arbeitssicherheit, Umweltschutz und Arbeiterrechte mit globaler Gültigkeit durchzusetzen. Schiffe seien im Zuge von Reparaturen schrittweise von Schadstoffen zu befreien, um letztlich in möglichst unbelastetem Zustand verschrottet werden zu können. Zu guter Letzt sei im Schiffbau künftig generell auf die Verwendung von Schadstoffen zu verzichten und die leichte Demontierbarkeit zu garantieren.

Die Realität enttarnt diese zukunftsweisenden Ansätze freilich als fromme Wünsche. Unverändert werden jährlich bis zu 700 ausgediente Hochseeschiffe (rund 50.000 befahren derzeit die Ozeane) unter ungenügenden bis katastrophalen Arbeitsbedingungen verschrottet. Die dank Billiglöhnen und wachsendem Auftragsvolumen lukrierbaren Gewinne steigen von Jahr zu Jahr.

In Alang werden in rund sechzig Abwrackwerften bis zu 80 Schiffe gleichzeitig zerstückelt. Noch die kleinste Schraube der einst Stürmen und Wogen trotzenden Ozeanriesen wird verkauft und verarbeitet. Ja selbst das beim Zersägen der Schiffsschrauben anfallende Bronzemehl wird aufgefangen und findet reißenden Absatz.

Der Stahl, der einst auf schlankem Kiel die Meere befuhr, dient als Rohstoff der indischen und chinesischen Eisenindustrie. Die Dieselgeneratoren betreiben kleine Elektrizitätsstationen. Möbel und Textilien aus Kombüsen und Kajüten werden in weit verstreuten Haushalten seßhaft.

Die Opfer, die erbracht wurden, aus Schrottschiffen industriell gefertigte Eisenwaren zu erzeugen, bleiben dessen ungeachtet unbekannt.

Doch bei aller gebotenen Anteilnahme muß abschließend ein Rückblick in die jüngere Geschichte vor der eigenen Haustüre getan werden. Denn erst Anfang der achtziger Jahre schlossen in Deutschland die letzten großen Abwrackwerften.

Die Umstände unter welchen die Schiffsbeerdiger im Nachkriegsdeutschland zu arbeiten hatten, waren um nichts besser als die heutigen in Indien. Auch hierzulande machte sich niemand Gedanken über den Umgang mit Schadstoffen und die möglichen, ja wahrscheinlichen Spätfolgen der schlecht bezahlten Schwerstarbeit.

Schließlich galt es nicht nur die zuhauf an Deutschlands Küsten liegenden zerbombten Schiffe zu entsorgen. Es gab auch zahlreiche Aufträge aus dem Ausland. US-amerikanische Flugzeugträger wurden in Bremerhaven, Wilhelmshaven und Hamburg ebenso verschrottet wie ausgediente Handelsschiffe. Die Abwracker lieferten den Schrott, als einen der wichtigsten Grundstoffe der deutschen Stahlindustrie, an die Hochöfen des Ruhrgebiets.

Die Zeiten sind vorbei - könnte man meinen. Doch Stahl ist begehrt, und so sind Forderungen nach einer "menschen- und umweltfreundlichen Abwrackindustrie" (Rainder Steenblock, Die Grünen) in Deutschland und Europa immer weniger utopisch.

Foto: Abwrackindustrie in Alang: Katastrophale Arbeitsbedingungen


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen