© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/07 20. Juli 2007

Allahs Reich komme
Der britische Historiker Efraim Karsh sieht im Islam eine immanente Bestrebung nach weltweiter Ausbreitung
Fabian Schmidt-Ahmad

Es gehört schon längst zum argumentativen Rüstzeug der westlichen Welt, den in der Gegenwart wütenden islamistischen Terror als eine der Nachwirkungen des amerikanischen und europäischen Imperialismus zu begreifen. So rufe die kulturelle, politische und wirtschaftliche Hegemonie des Westens antagonistische Reaktionen hervor, die sich entweder konkret an der sinnfälligen Machtentfaltung Amerikas entzünden oder aber allgemein aus dem Gefühl einer ungerechtfertigten Ohnmacht des Nahen Ostens speisen: "Jahrhundertelang war der Islam die größte Zivilisation auf Erden", wie der Historiker Bernard Lewis zusammenfaßt. "Doch dann veränderte sich alles, und statt die Christenheit zu erobern und zu beherrschen, wurden die Muslime nun von christlichen Mächten erobert und beherrscht."

Dieser Sichtweise in ihren verschiedenen Ausprägungen ist gemein, die islamische Welt stets auf die Rolle des mehr oder weniger passiven Opfers zu beschränken. Terroristische Gewalt wird hier zu einer Folge westlicher Politik und somit westlicher Verantwortung und Schuld uminterpretiert. Eine letztlich ideologische Sichtweise, die daher wenig Begeisterung für die Thesen des renommierten Historikers Efraim Karsh aufbringt. Denn Karsh, Leiter des Programms für Mittelmeerstudien am King's College der Universität London, weigert sich, den Begriff des Imperialismus auf die westliche Kultur zu beschränken. Ganz im Gegenteil zeigt er nun in seinem umfangreichen Werk "Imperialismus im Namen Allahs" dezidiert auf, daß islamische Reiche sich in der Geschichte als Imperien schlechthin verstanden. So behandelt Karsh in dreizehn, recht eigenständigen Kapiteln die islamische Geschichte, beginnend mit "dem kriegerischen Propheten" Mohammed bis hin zum "Heiligen Krieg des Osama bin Laden". Schon an dieser Gliederung ist eine wesentliche Überzeugung des 1953 in Israel geborenen Nahost-Experten ersichtlich: den gegenwärtig grassierenden Islamismus nicht als einen "Bruch" mit der Geschichte des Islams zu verstehen, sondern als einen Bestandteil imperialen Denkens von Beginn an. So habe Mohammed mit der Etablierung der "Umma" - der Gemeinschaft der Gläubigen - das überkommene Geflecht blutsgebundener Stammesbeziehungen in einem radikalen Antagonismus von Muslimen und "Ungläubigen" aufgelöst.

Einerseits zur gegenseitigen Solidarität, andererseits zum prinzipiellen Kriegszustand mit denjenigen verpflichtet, welche sich nicht den Gesetzen des Propheten unterwerfen - Karsh spricht von einer "absolutistischen Herrschaft" Mohammeds -,  konnten Kräfte mobilisiert und gebündelt werden, die zur Gründung eines Imperiums notwendig waren, ja geradezu ein solches erzwangen: "Diese militärische Doktrin hatte auch einen wichtigen materiellen Aspekt. Indem er Kampf und Raub innerhalb der Umma verbot, nahm Muhammad den arabischen Stämmen eine traditionelle Einkommensquelle und drängte sie unerbittlich zur imperialen Expansion". Ein Imperium freilich, dessen zentrifugalen Tendenzen Mohammeds Nachfolger nicht mehr Herr werden konnten. Die sich in der Folgezeit etablierenden Reiche konnten nie wieder die Gemeinschaft der Gläubigen unter eine einzige Gewalt bringen. 

Allerdings war auch die Vorstellung einer umfassenden Umma bei weitem nicht so präsent. Anhand der Kreuzfahrerzeit, auf die Karsh einen weiteren Schwerpunkt setzt, wird nachgewiesen, daß die christlichen Eroberer keineswegs als Einheit wahrgenommen wurden, ebensowenig wie man sich selbst als muslimische Einheit betrachtete. Saladin, bis heute häufig zum frommen Kämpfer wider die Kreuzzügler stilisiert, war tatsächlich an der Gründung und Sicherung eines eigenen Imperiums interessiert, folgt man Karsh. So weist dieser nach, daß Saladin bei weitem die heftigsten und langwierigsten militärischen Auseinandersetzungen mit muslimischen Konkurrenten um die Vorherrschaft im Nahen Osten führte. Eine Argumentation wohl nicht ohne Hintergedanken, hat Saladin nach Ansicht Karshs doch eine ganz reale Vorbildfunktion: "In der historischen Vorstellung vieler Muslime und Araber ist (Osama) bin Laden kein Geringerer als die neue Inkarnation Saladins. Der Krieg des Hauses des Islam um die Weltherrschaft ist ein traditionelles, ja sogar ehrwürdiges Bestreben, das keineswegs vorüber ist."

In der Tat ist der Islamismus nach Karsh nicht Reaktion auf einen fremden Imperialismus, sondern der nie zu Ende geträumte imperiale Traum der Muslime selbst: "Das letzte große muslimische Reich mag zerstört und das Kalifat verwaist sein, doch der islamische Imperialtraum von der Weltherrschaft ist in den Herzen und Köpfen vieler Muslime höchst lebendig geblieben (...). Bis heute sehnen sich viele Araber und Muslime ganz offen nach einer Zurückgewinnung Spaniens. (...) Selbst Länder, die nie zum Imperium des Islam gehörten, sind legitime Ziele islamischer Vorherrschaft geworden." Ausdruck einer Überzeugung, "wonach der Islam letztlich über den Westen triumphieren" werde.

Efraim Karsh: Imperialismus im Namen Allahs. Von Muhammad bis Osama Bin Laden. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2007, gebunden, 399 Seiten, 24,95 Euro

Foto: Uhren in einer Moschee in Malaysia: Der Traum von der Weltherrschaft ist höchst lebendig


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