© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/07 20. Juli 2007

Makabres Nachtprogramm
Kino: "Motel" bietet ein packendes Katz-Maus-Spiel
Michael Insel

So klaustrophobisch wie die U-Bahn-Schächte von Budapest, in denen Nimród Antals Leinwanddebüt "Kontroll" (2003) spielte, kann kein Fremdenzimmer sein. Für eine Übernachtung im Pinewood Motel mit seinem schäbigen Empfang und unsympathischen Manager Mason (Frank Whaley) würde man sich indes nur aus Dummheit oder Verzweiflung entscheiden. Amy (Kate Beckinsale) und Dave Fox (Luke Wilson) bleibt keine andere Wahl, nachdem ihr Auto irgendwo auf einer gottverlassenen Nebenstraße liegengeblieben ist - dumm jedenfalls sind sie nicht, und das ist gut so. Schön zu sehen, wie ein junges Paar dem unvorstellbaren Grauen zur Abwechslung einmal mit einem Minimum an Intelligenz begegnet!

Das Drehbuch von Mark L. Smith gestattet den beiden, bis zum unvermeidlichen Ende die unzähligen idiotischen Fehler zu vermeiden, die die Opfer im Horror-Genre gewöhnlich begehen. Und im wohltuenden Gegensatz zu anderen einschlägigen Streifen der letzten Jahre verzichtet "Motel" auf postmoderne Sperenzchen. Statt dessen nutzt der ungarische Regisseur die Rückkehr in seine Geburtsstadt Los Angeles zu einem altmodischen Schocker, der eine tausendmal erzählte Geschichte zeitgenössisch aufbereitet.

Erste Huldigungen an Al-fred Hitchcocks "Psycho" erfolgen bereits im beeindruckenden Vorspann. Freilich strahlte Norman Bates' Herberge verglichen mit dem Motel, in dem Amy und Dave absteigen, geradezu Gemütlichkeit aus. Die giftigen Wortwechsel, mit denen sich das Paar auf der Rückfahrt von einem recht unerfreulichen Familientreffen die Zeit vertreibt, zeigen nicht nur, wie beide mit der Trauer um ihren verstorbenen Sohn umgehen, sondern verleiten auch zu Spekulationen, wie sie sich in dem Gruselkabinett bewähren werden, das Antal so offensichtlich für sie bereithält.

Es kommt, wie es kommen muß: Neben einem Fernseher ohne Empfang erwartet sie in der Honeymoon-Suite ein Haufen Videokassetten. Dave hofft auf Pornographie, Amy zumindest auf Ablenkung, doch spätestens beim Abspielen des dritten Films ist beiden klar, welch makabres Nachtprogramm hier tatsächlich geboten wird. Es folgt ein packendes Katz-und-Maus-Spiel mit einem Trio skrupelloser Mörder, wobei Andrzej Sekula, der zuvor unter anderem bei Quentin Tarantinos "Pulp Fiction" die Kamera führte, durch ungewöhnliche Winkel und meisterhafte Bildausschnitte für kaum erträgliche Spannung sorgt, ohne daß der Regisseur in die Trickkiste greifen und viel rote Flüssigkeit vergießen müßte.

Leider gibt es dennoch einige Momente, in denen der Film Antals sicherer Hand entgleitet. So hält er es für nötig, den voyeuristischen Aspekt seines bevorzugten Genres anhand der überall in Amys und Daves Zimmer versteckten Kameras zu thematisieren. Als wäre es nicht ermüdend genug, daß dank der allgegenwärtigen Überwachungstechnologie die Schaulustigen ihrerseits zum Schauspiel werden, muß sich sogar der Zuschauer einen Anpfiff gefallen lassen. Auf Amys Frage, warum irgend jemand sich derartigen Schund ansehen wollte, blickt Dave direkt in die Kamera und erwidert: "Sie haben Spaß dran."

Ein derart plumper Versuch, den Publikumsgeschmack kulturkritisch zu analysieren, steht einem Film schlecht zu Gesicht, der ebendiesen Geschmack bedient. Zum Glück ist dies nur ein bedauerlicher Ausrutscher in einem ansonsten gelungenen und überaus unterhaltsamen Streifen, der einige der schaurigsten Szenen der jüngeren Filmgeschichte aufbietet.


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