© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/07 20. Juli 2007

Fördern und Fordern auf dänisch
Sozialpolitik: Die bei den nördlichen Nachbarn praktizierte "Flexicurity" ist kaum auf Deutschland übertragbar
Jens Jessen

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat kürzlich die in Dänemark praktizierte "Flexicurity" kritisch analysiert. Denn bei unseren nördlichen Nachbarn gilt im Prinzip "Hire & Fire". Doch zugleich kann auch der Arbeitnehmer ohne Verzögerung kündigen und sofort bei einem anderen Arbeitgeber neu anheuern. Einen nennenswerten Kündigungsschutz gibt es dort nicht - es herrscht "Flexibilität". Dafür gibt es aber kein "Hartz IV": Ein Arbeitsloser erhält bis zu vier Jahre lang bis zu 90 Prozent des letzten Bruttogehaltes als Arbeitslosenunterstützung - es herrscht "Sicherheit". Der dänische Arbeitsmarkt gilt daher als einer der flexibelsten unter allen OECD-Ländern.

Ob das ein Grund für die Senkung der Arbeitslosenquote war - sie sank von 13 Prozent (1993) auf vier Prozent (2006) -, sei dahingestellt. Aber das dänische System der Arbeitslosenversicherung beruht, wie in Schweden, Finnland und Belgien, auf Freiwilligkeit. Im Unterschied zur deutschen Arbeitslosenversicherung ist die Beitragshöhe einkommensunabhängig, jedoch nach  Erwerbsstatus gestaffelt. Die Beiträge für Arbeitslose oder Teilzeitbeschäftigte sind niedriger als für Vollbeschäftigte.

Ab 1993 wurde die Richtung der dänischen Arbeitsmarktpolitik radikal verändert. Vor der Richtungsänderung stand die passive Unterhaltszahlung an die Arbeitslosen und ihr Rückzug vom Arbeitsmarkt im Vordergrund. Inzwischen wird sehr viel mehr Gewicht auf den aktiven Arbeitsmarkteinsatz gelegt. Das aber bedeutete eine Umorientierung der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zugunsten der individuellen Verantwortung des einzelnen und einer Betonung seiner Pflichten.

Der Erfolg soll unter anderem durch den Einsatz individueller Handlungspläne, die von den regionalen Arbeitsverwaltungen oder kommunalen Arbeitsbehörden in Zusammenarbeit mit den Arbeitslosen gemeinsam schriftlich erstellt und unterzeichnet werden, aber auch durch die Dezentralisierung der Arbeitsmarktpolitik gesichert werden. Neben der Ausweitung der Angebote an Arbeitslose wurden auch die Sanktionen gegenüber denen verschärft, die ein Aktivierungs- oder ein Stellenangebot ablehnen. Die Rechte zum Bezug von staatlichen Leistungen werden weitgehend in den Pflichten widergespiegelt.

Die aktive Arbeitsmarktpolitik soll den Arbeitgebern die Möglichkeit geben, ausgebildete Arbeitskräfte einzustellen und Arbeitlosen kurzfristig zu ermöglichen, sich wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Beschäftigungsquote beträgt in Dänemark 80 Prozent. Wenn dieser Prozentsatz in Deutschland erreicht würde, gäbe es keine unbesetzten Arbeitsplätze.

Dänemark hat sich in den vergangenen 25 Jahren vom wirtschaftlichen "Klippenrand" fortbewegt. Stichworte sind eine stabilitätsorientierte Wirtschaftspolitik, die Kontrolle der Inflation und der Zinsentwicklung, Reformen des Steuersystems und der öffentlichen Ausgaben, die zur Dämpfung der Verbrauchsentwicklung führten und Zahlungsbilanz und öffentliche Finanzen wieder vorzeigbar machten. Zugleich wurde das Zuwanderungs- und Integrationsrecht zu einem der strengsten in ganz Europa umgebaut.

All diese Maßnahmen haben die Grundlage dafür geschaffen, daß die Arbeitslosigkeit mit einer Nachfragestimulierung und einer aktiven Arbeitsmarktpolitik, die auf Rechten und Pflichten basiert, eingedämmt werden konnte. Als die dänische Konjunktur ansprang, haben die Unternehmen nicht gezögert, die Mitarbeiterzahl zu erhöhen, da sie wußten, daß sie sich bei Nachlassen der Konjunktur von den neuen Mitarbeitern wieder ohne größere Mühe trennen könnten. Die Gewerkschaften akzeptierten die liberalen Kündigungsregeln, weil sich die Arbeitnehmer einerseits auf das soziale Sicherungsnetz verlassen konnten und andererseits leicht den Arbeitsplatz wechseln konnten, wenn sie dadurch den Aufschwung für sich nutzen wollten.

Das ist sicher nur möglich gewesen, weil die Tarifparteien einander grundsätzlich vertrauen und sich einig darüber waren, daß im Hinblick auf Löhne und Arbeitszeit möglichst viele Entscheidungen auf die einzelnen Betriebe zu verlagern sind. Das dänische Modell zeigt Erfolg, weil in ihm ein hohes Maß an Freiheit herrscht, die es ermöglicht, Lösungen zu finden, die am besten zu dem jeweiligen Betrieb passen.

"Die finanzielle Arbeitslosenunterstützung ist hoch - bis 90 Prozent des letzten Einkommens. Dies gilt in der Praxis aber nur für die untersten Lohngruppen; alle anderen durchstoßen die Obergrenze, die den maximalen Umfang des Arbeitslosengeldes festlegt", klärt das dänische Arbeitsministerium ausländische Besucher auf. Mit anderen Worten: je höher das Einkommen vor der Arbeitslosigkeit ist, desto geringer ist der Prozentsatz des erstatteten Arbeitslosengeldes vom Einkommen. Für einen gut verdienenden Facharbeiter kann das bedeuten, daß die Lohnersatzleistung nur noch 63 Prozent seines bisherigen Gehalts ausmacht. Bei einem angestellten Arzt im Krankenhaus fällt der Lohnersatz eventuell auf 37 Prozent ab. Daher kommen in Dänemark maximal 15 Prozent der Arbeitslosen auf den Höchstsatz.

Der Jahresbeitrag in die Arbeitslosenversicherung beträgt rund 430 Euro pro Jahr plus Verwaltungsgebühr. Damit wird der Lohnersatz nur für rund sieben Tage gedeckt. Das aber auch nur, weil der Arbeitgeber die Kosten für die beiden ersten Arbeitslosigkeitstage übernimmt. Die Restfinanzierung erfolgt aus dem Steueraufkommen, wobei ein Teil davon auch aus den eingenommenen Steuern auf das Arbeitslosengeld stammt. Das ist auch der Grund, daß laut IW die 90 Prozent Lohnersatz eine Schimäre sind. "Im Schnitt bleiben den meisten nach Abzug von Steuern nur noch rund 63 Prozent ihres früheren Gehalts", schreibt das IW.

Die dänische Steuerlast beträgt bis zu 53,8 Prozent, die Mehrwertsteuer 25 Prozent. 40 Prozent der Vollzeitarbeitnehmer zahlen den höchsten Steuersatz - trotz rechtsliberal-konservativer Regierung. Und die Dänen sind dennoch zufrieden. Aber ihre Wertvorstellungen lassen sich wohl nicht mit denen der Deutschen über einen Kamm scheren: Laut einer Umfrage des World Value Survey halten 85 Prozent der Dänen es für völlig ungerechtfertigt, Sozialleistungen zu beantragen, auf die man keinen Anspruch hat. In Deutschland schließen nur 63 Prozent der Befragten eine derartige Mitnahmementalität für sich aus. Das sagt alles. Das dänische Modell wäre allein aus diesem Grund in Deutschland nicht umsetzbar.

Die Studie und weitere Informationen finden sich im IW-Infodienst "iwd" Nr. 26 vom 28. Juni 2007 und in "IW-Trends" 2/2007.

Im Internet unter www.iw-koeln.de

Foto: Dänische Stellenvermittlung: Die finanzielle Arbeitlosenunterstützung ist hoch - teilweise bis 90 Prozent des letzten Einkommens


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen