© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/07 20. Juli 2007

Auf den Fuchs gekommen
Polen: Regierungskoalition auf tönernen Füßen / Leppers Parteigründungs-Schachzug verschafft etwas Luft
Andrzej Madela

Dieser Schuß ging für Premier Jarosław Kaczyński gewaltig nach hinten los. Das von ihm kontrollierte Zentrale Antikorruptionsbüro (CBA) inszenierte - ungewollt - ein politisches Martyrium für einen, der doch als korruptes Großmaul dastehen sollte: Andrzej Lepper. Der am Montag als Vizepremier und Landwirtschaftsminister entlassene Chef der kleinbäuerlich-populistischen Samoobrona (Selbstverteidigung) stand noch unter Schock, als er am Abend in die ihm entgegengestreckten Mikrophone trotzig das Ende der Regierungskoalition mit der sozialkonservativen PiS (Recht und Gerechtigkeit) verkündet hatte. Zu diesem Zeitpunkt schien vieles für Ministerpräsident Kaczyński (PiS) zu sprechen. Feuerte er doch einen Politiker, auf dem der Vorwurf lastete, er lasse in seinem Ministerium Acker- in Bauland umwidmen und sich die Wertsteigerung der künftigen Bauflächen mit Millionenbeträgen aus der Tasche interessierter Investoren vergolden.

 Allerdings sah der Vorgang Mitte der Woche bereits gänzlich anders aus, als die Tageszeitung Dziennik einem Hinweis von Lepper nachging und die Identität eines Kronzeugen sowie die Echtheit der in der Affäre verwendeten Dokumente überprüft hatte. Da gelangte plötzlich ein mittelschwerer Skandal ans Tageslicht: Die zur Umwidmung notwendigen Papiere waren allesamt getürkt und stammten aus der Fälscherei des CBA; die angeblichen Investoren entpuppten sich bald als CBA-Strohmänner; zu unguter Letzt war der betreffende Kronzeuge einige Zeit Offizier des Ministeriums des Innern, und seine Vergangenheit legte nahe, daß die angebliche Korruptionsaffäre in Wirklichkeit eine sei, die das - vom Parlament nicht kontrollierte und dem Ministerpräsidenten unmittelbar unterstellte - CBA unprofessionell in Szene gesetzt habe, abgesehen davon, daß dessen Kompetenz auf die Verfolgung existierender Korruptionsfälle beschränkt zu bleiben hat, nicht hingegen auf deren Erfindung.

Über alle Auseinandersetzungen hinweg scheint aber das Wort "Regierungskrise" unzutreffend. Die Regierungskoalition aus PiS, kriselnder Samoobrona und der schwachen nationalistischen LPR (Liga polnischer Familien) funktioniert, sie ist auch keineswegs erfolglos geblieben in den knapp zwei Jahren ihres Bestehens. Die gegenwärtige Krise erfaßt auch keineswegs die gesamte Regierung, sie betrifft noch nicht einmal ihre Bestandteile PiS und Samoobrona. Sie bleibt beschränkt auf die Hauptakteure Jarosław Kaczyński und Andrzej Lepper, deswegen ist es zutreffender, von einer Personenkrise zu sprechen.

Daß der Ministerpräsident und sein erster Stellvertreter nicht sehr gut miteinander konnten, war lange bekannt. Beide sind Machtmenschen, beide führen ein autoritativ angelegtes Regiment in ihren Parteien, beide gehen Konflikten nicht aus dem Wege. Lepper hatte als frischgekürter Landwirtschaftsminister kein Bauchgrimmen, dem Haushaltbudget seines Chefs zu widersprechen - und wurde nach etwas mehr als einem Vierteljahr aus seinem Amt zum ersten Mal gefeuert. Allerdings brauchte ihn Kaczyński damals noch wirklich, die Koalition war gerade zusammengezimmert worden und die 46 Abgeordneten der Samoobrona im Sejm bedeuteten bei Abstimmungen eine sichere Bank.

 Was im wesentlichen nicht funktioniert, ist nicht die Regierung selbst, sondern die Chemie zwischen Kaczyński und Lepper. Ersterer mußte - aus Koalitionsgründen - mehrfach nachgeben: zum einen bei der Aufstellung des zugunsten der Landwirtschaft modifizierten Budgets, zum anderen bei der Auswahl des führenden Personals bei der Agentur für landwirtschaftliche Entwicklung (die Lepper vorrangig mit nicht immer qualifiziertem, aber parteitreuem Samoobrona-Personal besetzt); zum dritten bei der Postenverteilung bei den öffentlich-rechtlichen  Medienaufsichtsgremien.

 Kaczyński selbst bleibt ebenfalls nicht untätig: Seine PiS ist als Volkspartei angelegt, in der Tendenz also darauf aus, Randerscheinungen wie die LPR, aber auch größere Brocken wie die Samoobrona sich eines Tages einzuverleiben. Die Perspektive hieße dann eine große Partei rechts der Mitte, die zwar viele Interessengruppen und Strömungen kennt, sie aber letztlich unter einen Hut zu bringen weiß. Das spüren seine Koalitionäre deutlich. Allerdings geht ein solcher Prozeß nicht von heute auf morgen, die Besitzstandswahrung hat folglich Vorrang, daher ist es wahrscheinlich, daß die Regierungskoalition selbst überlebt, ohne daß Neuwahlen ausgeschrieben werden. Darauf deuten auch die Reaktionen von Lepper und seinen Getreuen vom Wochenende: "unter bestimmten Bedingungen" könne die Koalition fortgesetzt werden, auch wenn er, Lepper, nicht mehr Minister bleibe.

Gesagt, getan. Am Montag traten Lepper und Vizepremier Roman Giertych (LPR) die Flucht nach vorn an und gründeten die neue Partei "Liga und Samoobrona" - kurz LiS (poln. Fuchs). Mit ihr will man der Partei von Jarosław Kaczyński vereint entgegentreten. Ein geschickter Zug. Denn zusammen haben beide eine Stärke von ca. 75 Stimmen, folglich die Häfte dessen, worüber die PiS selbst verfügt. Geschickt? Mag man meinen. Denn die eigentliche Nagelprobe kommt am 22. August. Dann beendet der Sejm seine Sommerpause. Just dann wird vor allem die liberal-bürgerliche Bürgerplattform (PO) darum  bemüht sein, einen Mißtrauensantrag gegen das Kabinett Kaczyński durchzusetzen (dafür hat ihr allein das CBA Stoff genug geliefert). Dann wird sich zeigen, ob die Regierungskoalition noch über eine Mehrheit verfügt.

Foto: Neu-Parteifreunde Roman Giertych und Andrzej Lepper: Jarosław Kaczynskis PiS Paroli bieten


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