© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/07 13. Juli 2007

Die Stadt der brennenden Autos
Extremismus: Seit Anfang des Jahres sind in Berlin mehr als 70 Fahrzeuge angezündet worden / Internetseite dokumentiert die Tatorte
Marcus Schleusener

Auf den ersten Blick erscheinen die beiden Pressemeldungen der Berliner Polizei wenig spektakulär. Die erste, veröffentlicht Ende Juni, berichtet unter der Überschrift "PKW in Brand gesetzt" von einem Fahrzeugbrand in Marzahn-Hellersdorf: "Vermutlich vorsätzlich haben Unbekannte gestern nacht einen 'Opel Astra' in Brand gesetzt. Kurz vor Mitternacht bemerkten Passanten in der Bergedorfer Straße in Kaulsdorf den brennenden Wagen und alarmierten die Feuerwehr, die das Feuer löschte. Bei dem Brand wurde niemand verletzt. Da ein politischer Hintergrund nicht zu erkennen ist, hat ein Brandkommissariat des Landeskriminalamtes die weiteren Ermittlungen übernommen."

Auch die in der vergangenen Woche veröffentlichte zweite Meldung der Polizei berichtet von einem Fahrzeugbrand. Diesmal im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. "Unbekannte haben heute früh auf einem Parkplatz am Paul-Lincke-Ufer in Kreuzberg zwei Fahrzeuge der Deutschen Bahn in Brand gesetzt. Eine Anwohnerin hatte die beiden brennenden 'Ford Fusion' kurz nach 3 Uhr bemerkt und die Feuerwehr alarmiert. Beide Fahrzeuge wurden stark beschädigt. Durch die Hitze wurde auch ein nebenstehender Pkw 'VW' in Mitleidenschaft gezogen. Da ein politischer Hintergrund nicht ausgeschlossen werden kann, hat der polizeiliche Staatsschutz die Ermittlungen aufgenommen."

Zweimal brennen nachts Autos mitten in Berlin, und die Polizei hat keine heiße Spur. Trotzdem scheint sofort eines festzustehen: Im einen Fall ist ein "politisches Motiv" ausgeschlossen, im anderen nicht. Woher kommt das? Einerseits gehörten die beiden Wagen der Marke Ford der Deutschen Bahn, einem Staatsbetrieb, dessen anstehende Privatisierung vielen linken Gruppen ein Dorn im Auge ist. Zum anderen - und das dürfte der entscheidende Grund sein - fand der zweite Anschlag in Kreuzberg statt.

Der erste Vorfall ereignete sich dagegen in einem Ostberliner Außenbezirk. Dort ist die Linke zwar auch stark, aber sie ist dort von einem Mangel an jeglicher Jugendfrische und Modernität geprägt. Statt dessen erscheint sie im silbergrauen Gewand des angegrauten Ex-SED-Funktionärs. So einer würde niemals die Autos des "Klassenfeindes" anzünden, um seine Ziele zu erreichen.

In Berliner Innenstadtbezirken zeigt dagegen die gewaltbereite Linke ihre Krallen. Vor dem G8-Gipfel begann die unheimliche Serie von Brandanschlägen, vor allem auf "Bonzenwagen" - die szenetypische Bezeichnung für Oberklassefahrzeuge. Zeitgleich kam es auch in Hamburg zu Anschlägen, denen unter anderem der Wagen von Bild-Chef­- ­redakteur Kai Diekmann zum Opfer fiel. Einige Monate zuvor hatte Wirtschaftsstaatssekretär Thomas Mirow (SPD) zusehen müssen, wie der Wagen seiner Frau in Flammen aufging. Zwischen den Linksradikalen in Berlin und Hamburg war zwischenzeitlich ein regelrechter Wettstreit darum ausgebrochen, wer es schafft, mehr Fahrzeuge "abzufackeln".

Nach dem G8-Gipfel riß die Welle von Brandstiftungen wider Erwarten nicht ab. Im Gegenteil: Sie ging munter weiter. Inzwischen hat es in Berlin über siebzig Brandanschläge mit einem vermuteten politischen Hintergrund gegeben. "Das hat es letztes Jahr in dem Ausmaß nicht gegeben", sagt der Sprecher der Berliner Polizei, Klaus Schubert. Die Ordnungshüter versuchen derweil mit vermehrten Zivilstreifen, der Lage Herr zu werden. Einer der vermuteten Gründe für die Gewaltwelle ist die Räumung eines  besetzten Hauses in der Köpenicker Straße in Kreuzberg, die den Zorn des linken Lagers angeheizt hat. Dennoch: Die Ermittlungsbehörden tappen im dunkeln.

"Ich habe den Eindruck, die Täter sind selbst in der militanten linken Szene nicht bekannt. Zumindest werden dort keine Anschläge besprochen", sagte Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) gegenüber Spiegel online. Offenbar ist der Senator über seine Zuträger vom Verfassungsschutz über das informiert, was in der "militanten linken Szene besprochen" wird. In einem Flugblatt aus dem Täter­umfeld heißt es, der "Kiez" solle für "Reiche" unattraktiv gemacht werden. Unter der Überschrift "Warum brennen eigentlich so viele Autos?" heißt es da wörtlich: "Auch um die Gegend für Spekulanten und Investoren zum Risikokapital zu machen, werden teure Autos verbrannt." Und dann entschuldigen sich die Autoren noch für eventuelle Schäden an Kleinwagen von vermeintlich "normalen" Anwohnern.

Mittlerweile gibt es sogar eine Internetseite, die genaue Auskunft über die Anschlagswelle liefert. Auf der von der Firma Trips by Tips GmbH betriebenen Seite www.brennende-autos.de sind die Tatorte der Anschläge vermerkt. Auf einer Karte kann der Nutzer die
Tatorte anklicken und erfährt, was für ein Wagen genau dort angezündet worden ist. Der Schwerpunkt aller Anschläge liegt in Friedrichshain-Kreuzberg.
In Marzahn dagegen haben die Brandstifter der Karte zufolge nur ein einziges Mal zugeschlagen.

Foto: Ein brennender Oberklassewagen in Berlin. Mittlerweile wird im Internet dokumentiert, wo die Brandstifter zugeschlagen haben (oben): Auch nach dem G8-Gipfel geht die Brandserie weiter. Die Ermittler der Polizei tappen derweil nach wie vor im dunkeln.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen