© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/07 13. Juli 2007

"Integration - was ist das?"
Reportage: Während die Politiker über die Eingliederung der Ausländer diskutieren, gleicht der Alltag im Berliner Stadtteil Neukölln einer Parallelgesellschaft
Anni Mursula

Türkische und arabische Leuchtreklame, Männer mit Vollbärten, Jugendliche mit schiefaufgesetzten Baseballmützen, schweren Goldketten und tiefsitzenden Hosen und verhüllte Frauen mit Kopftuch, umringt von kleinen Kindern. Aus den Kaffeehäusern in der Sonnenallee in Berlin-Neukölln erklingt arabische Musik, aus den Läden und Restaurants dringt der Duft fremder Gewürze auf die Straße. Als Deutscher fühlt man sich hier ein wenig fremd - quasi als Gast, Besucher oder Eindringling in eine keineswegs bloß theoretische Parallelgesellschaft. Von Integration ist hier kaum etwas zu merken.

Doch was aus der Froschperspektive nicht integrierbar erscheint, sieht aus der Vogelperspektive offenbar vollkommen anders aus. Die Integration von 15 Millionen Menschen in Deutschland mit Migrationshintergrund bereitet der Regierung zwar Kopfschmerzen, dennoch ist man optimistisch: Am Donnerstag treffen sich Regierungs- und Wirtschaftsvertreter, Migrantenverbände und andere Organisationen im Kanzleramt zum zweiten Integrationsgipfel (siehe den Artikel auf dieser Seite).

In Neukölln hat man von einem solchen Gipfel noch nichts gehört. "Integration - was ist das?" fragt die 29jährige Zenaib F., die einen Kinderwagen schiebt und gerade ein älteres Kind aus der Schule holen will. Sie ist mit zwölf Jahren aus dem Libanon nach Deutschland gekommen, spricht aber auch nach 17 Jahren immer noch nur spärlich Deutsch. Es ist ihr offenbar unangenehm. "Man lebt hier unter sich. Deutsch braucht man kaum", sagt sie. In der Dönerbude nebenan wird nur türkisch gesprochen. Der 35jährige Besitzer Mustafa Ö. kann zwar Deutsch, vom Integrationsgipfel hat aber auch er nichts gehört. "Ich bin seit 15 Jahren in Deutschland und fühle mich hier sehr wohl. Ich habe mit Deutschen nie schlechte Erfahrungen gemacht", sagt der Unternehmer. "Sie lassen uns doch in Ruhe. Deshalb verstehe ich gar nicht, wofür so ein Gipfel gut sein soll."

Hier im Bezirk Neukölln lebt man tatsächlich "unter sich". Von den gut 300.000 Einwohnern Neuköllns haben etwa ein Drittel ihre Wurzeln nicht  in Deutschland. Doch wenn es um die Altersklasse der Jugendlichen und Kinder geht, sind die Deutschen hier bereits in der Minderheit. In Neukölln und Kreuzberg gibt es Grund- und Hauptschulen, die nur noch von einer Handvoll Deutschen besucht werden - an der Eberhard-Klein-Schule gibt es gar keine deutschen Schüler mehr. Jugendkriminalität und Gewalt, wie im vergangenen Jahr an der Neuköllner Rütli-Schule, sind hier an der Tagesordnung. Und das ist heute in vielen deutschen Großstädten nicht anders. Neben den Berliner Problembezirken, in denen der Ausländeranteil weit höher liegt als im deutschen Durchschnitt, gelten auch Stadtteile wie Hamburg-Wilhelmsburg, Duisburg-Marxlohe, Köln-Kalk, München-Hasenbergl und Nürnberg-Gostenhofen als kulturelle und soziale Brennpunkte.

Vedat K. arbeitet aushilfsweise im Internetcafé eines Freundes in der Karl-Marx-Straße. Er würde seinen Kiez in Neukölln nicht als "Problembezirk" bezeichnen. "Ich fühle mich hier gut und sicher. Hier kennt jeder jeden", sagt der dreißigjährige Türke, der vor fünf Jahren nach Deutschland eingewandert ist. In Neukölln seien Deutsche in der Minderheit. Aber mit ihnen habe er sowieso nie Probleme gehabt. "Deutsche sind sehr nett zu Ausländern. Bei uns geht man mit Fremden anders um", sagt er. Er versuche sich zu integrieren, so gut es geht: "Erst habe ich ein bißchen Deutsch gelernt. Jetzt mache ich einen Taxischein, um später richtig arbeiten zu können. Und ich kenne mich eigentlich ganz gut mit den deutschen Gesetzen aus: Ich weiß, welche Konsequenzen auf mich warten, wenn ich einen Fehler mache", sagt er.

In einer türkischen Metzgerei in der Sonnenallee wird abwechselnd sowohl auf deutsch als auch auf türkisch bedient. Der 32jährige Besitzer legt darauf großen Wert: "Als Ausländer muß man sich doch integrieren und Interesse für das Land, die Sprache und die hiesigen Sitten zeigen", sagt er in makellosem Deutsch. Aber das sei auch normal, sagt er. "Ich bin doch hier geboren." Seine Eltern haben einen Supermarkt betrieben, jetzt habe er eine Fleischerei. "Wenn die Ausländer nicht arbeiten und selber für ihren Unterhalt sorgen, sollen sie gnadenlos abgeschoben werden", sagt er. "Ich weiß, ich bin etwas hart und es klingt komisch, wenn ich das so sage. Aber anders scheint es nicht zu funktionieren. Ich wäre auch bereit die Konsequenzen selber zu tragen, wenn ich hier in Deutschland Mist bauen würde", sagt er und bedient eine ältere deutsche Dame, die zwei Schweineschnitzel kauft.

"15 bis 20 Millionen Einwanderer soll es hier bereits geben - das sind eindeutig zu viele. Langsam geht es hier alles den Bach runter", sagt der Unternehmer. "Früher, als es weniger Ausländer gab, hat es auch mit der Integration besser geklappt. Damals haben wir uns hier im Kiez mit den Deutschen gegenseitig integriert. Heute leben hier keine Deutschen mehr." Er verstehe einfach nicht, warum die Politiker nicht härter durchgreifen. "Irgendwas muß bald geschehen, denn so geht es hier nicht weiter."                     


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