© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/07 13. Juli 2007

Angst vor der fünften Kolonne
Extremismus: Anders als der Islamismus stellen politische Randgruppen nach Ansicht des Politologen Michael Wolffsohn keine Gefahr für den Staat dar
Fabian Schmidt-Ahmad

Der Historiker und Politologe Michael Wolffsohn, der Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr lehrt, ist nicht nur seit seinen Äußerungen bezüglich einer legitimen Anwendung von Folter bekannt für unkonventionelles Denken (JF 22/04). Aber nicht nur intellektuell, auch persönlich verfügt Wolffsohn über eine schillernde Biographie.

So nahm der 1947 als Sohn einer angesehenen Berliner Familie in Tel Aviv geborene Wolffsohn beispielsweise als Soldat am Sechstagekrieg teil. Damit dürfte Wolffsohn einer der wenigen Hochschullehrer in Deutschland mit Fronterfahrung sein. Wer allerdings vergangene Woche einen exaltierten Redner zum Thema "Die extremistische Gefahr - jenseits der Phrasen" erwartete, der wurde positiv überrascht. In der vom Verein "Initiative Hauptstadt Berlin" organisierten Veranstaltung erlebte das Publikum einen sachlichen Analytiker extremistischer Gefahr in Deutschland.

Wolffsohn geht von einem seit Jahrzehnten stabilen, rund 15 Prozent umfassenden Teil der Bevölkerung aus, den man "ziemlich bedenkenlos" als rechtsextremistisches Potential einordnen könne. Damit folgt er zwar der gängigen politikwissenschaftlichen These, die dieses Potential weitaus größer schätzt, als es entsprechende Wahlerfolge vermuten lassen. Eine aktuelle Gefahr sieht er jedoch nicht: "Die rechtsextremen Gruppierungen, mögen sie DVU oder NPD heißen, haben nicht die geringste Chance, an Stadtregierungen oder Länderregierungen, geschweige denn der Bundesregierung, beteiligt zu werden." Auch sieht Wolffsohn diesen potentiell rechtsextremen Bevölkerungsteil nicht als ideologisch gefestigt an. Den Reiz extremistischer Parolen betrachtet er vielmehr im Zusammenhang mit der "absoluten Tabuisierung" - die Wolffsohn befürwortet - und damit verbundenen Möglichkeit zur Provokation.

Wolfssohn weist hier auf die teilweise hohe Wählerfluktuation zwischen NPD und Linkspartei hin. Tatsächlich sei für die rechtsextremistische Anziehungskraft weniger die ideologische Ausrichtung, als vielmehr das Gefühl der eigenen Wahrnehmung als Randgruppe verantwortlich: "Es gibt einen Bodensatz in unserer Gesellschaft in Höhe von 10 bis 15 Prozent, der aufgrund seiner Vorbildung, seiner Ausbildung, überhaupt nicht in unser Gesellschaftssystem integrierbar ist."

Entsprechend skeptisch betrachtet Wolffsohn daher auch den einst von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ausgerufenen "Kampf gegen Rechts": "Das ist kein ideologisches Problem, wo sie sagen können, ich lege jetzt ein 'Programm gegen Rechts' auf." Auch der anderen "vermeintlichen Gefahr" der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, dem Linksextremismus, spricht Wolffsohn die Möglichkeit einer ernsthaften Bedrohung des politischen Systems in der Bundesrepublik ab: "Der linksextremistische Terror ist vorhanden, aber genausowenig in der Lage wie der rechtsextremistische Terror, die Macht in diesem Staate zu erringen", sagte er.

Dennoch sieht Wolffsohn die deutsche Gesellschaft einer massiven Bedrohung ausgesetzt, die in ihrer tatsächlichen Gefahr noch wenig erkannt wird - dem Islamismus. Dabei komme es zu einer punktuellen Zusammenarbeit mit rechts- wie auch linksextremistischen Gruppen. Er weist hier auf gemeinsame Verbindungslinien dieser so unterschiedlichen politischen Gruppen hin, wie beispielsweise die Vorstellung einer "zionistischen Weltverschwörung", deren Ausdruck die Außenpolitik der Vereinigten Staaten sei: "Antiamerikanismus ist ein klassisches Merkmal der Rechtsextremen, der Islamisten und auch der extremen Linken." Wolffsohn sprach in diesem Zusammenhang die Kooperationen des Nationalsozialismus mit muslimischen Strömungen an, auch die spätere Funktion als Auffangbecken für Ehemalige der SS, die der Panarabismus Gamal Abdel Nassers einnahm.

Auch die Ausbildung von RAF-Terroristen in palästinensischen Ausbildungslagern gehört in diese Traditionslinie "antagonistischer Kooperationen", wie Wolffsohn diese Allianzen bezeichnet.

Zweifelsohne hat Wolffsohn mit seiner Einschätzung des Islamismus als eigentlicher Gefahr recht. Warum er aber in der Zusammenarbeit der verschiedenen extremistischen Gruppierungen eine so große Bedeutung sieht, bleibt unklar. Schließlich dienten die vergangenen "antagonistischen Kooperationen" der gegenseitigen Ergänzung und internationalen Vernetzung. Der Islamismus der Gegenwart ist aber selbst bereits längst international geworden. In der Tat dürften die gegenwärtig festzustellenden Kontaktversuche von Rechtsextremen und Islamisten doch eher nur der Versuch ersterer darstellen, als Trittbrettfahrer der eigenen Marginalisierung und Ausgrenzung zu entkommen.

Denn Islamisten verfügen in Deutschland über Bedingungen, von denen andere gewaltbereite Ideologen nur träumen können: Spendable Organisationen und Staaten als sichere Rückzugsgebiete im Hintergrund. In jeder deutschen Großstadt Enklaven, die auf der Landkarte der Islamisten als Fünfte Kolonne betrachtet werden. Und nicht zuletzt dasjenige, was wohl am meisten die Eifersucht von Rechtsextremisten erregen dürfte: einen Staat, der wegschaut und eine Gesellschaft, die toleriert. Was kann der Rechtsextremismus in Deutschland da schon noch bieten?


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