© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/07 06. Juli 2007

Notizen aus zwei verschiedenen Welten
Der Briefwechsel zwischen den Schriftstellern Ernst Jünger und Stefan Andres eröffnet Einblicke in die Zeit des Nationalsozialismus und der Nachkriegsjahre
Manfred Müller

Prominentester Premierengast im Düsseldorfer Schauspielhaus war am 16. September 1950 Ernst Jünger. An diesem Abend wurde dort das Theaterstück "Gottes Utopie" von Stefan Andres uraufgeführt. Das bundesdeutsche Feuilleton nahm mit Erstaunen zur Kenntnis, daß es eine freundschaftliche Beziehung zwischen dem moselländischen Schriftsteller Andres (1906-1970), der aus dem italienischen Exil zurückgekehrt war, und dem von Teilen des literarischen Establishments der jungen Bundesrepublik angefeindeten Ernst Jünger (1895-1998) gab.

Nun ist der Briefwechsel der beiden Autoren aus der Zeit von 1937 bis 1970 erschienen und ermöglicht Einblicke in die Freundschaft zweier Menschen, die aus verschiedenen Welten kamen, recht unterschiedliche Naturen waren und teils andersgeartete Lebenswege gingen. Am 12. August 1937 hatte der 31jährige Andres den Briefverkehr mit einem eigenwilligen Schreiben begonnen. Grund: Andres steckte seit längerem in einer Krise. Da er - der einmal katholischer Ordensgeistlicher hatte werden wollen - mit seiner vulkanischen Natur die Abneigung gegen das Dritte Reich nicht verbergen konnte und da er mit einer "Halbjüdin" verheiratet war, verlor er beim Reichssender Köln seine Stelle als freier Mitarbeiter. Nun war es noch schwieriger als bisher, mit schriftstellerischer Tätigkeit das Existenzminimum für die Familie mit zwei Kindern hereinzubekommen.

Die weitgehende gesellschaftliche Isolierung verstärkte bei Andres das Gefühl, dem "seelischen Erstickungstod" nahe zu sein. Jünger antwortete Andres, da ihm an der zugesandten Novelle "El Greco malt den Großinquisitor" sowohl die Sprachkunst als auch die Art gefiel, wie Andres "manche der diskreteren Fragen, die heute den Geist bewegen", in den Text eingewoben hatte. Darüber, das heißt über die Möglichkeiten, wie man in einem totalitär werdenden Gemeinwesen überleben kann, wollte sich Jünger gerne einmal mit Andres austauschen.

Die Verbindung der beiden Schriftsteller hielt über die Jahre hinweg, die Andres ab September 1937 als literarischer Emigrant in Süditalien mit Entbehrungen, Nöten und Gefährdungen aller Art verbrachte. Das menschlich "Einigende" blieb für das Verhältnis der beiden Autoren grundlegend. Mit der Politik der Besatzungsmächte und ihrer deutschen Helfer machten beide nach 1945 ungute Erfahrungen. 1947 ging Andres scharf ins Gericht mit dem internationalen PEN-Club, der keine deutschen Schriftsteller aufnehmen wollte, die nach 1933 nicht ins Exil gegangen waren: "Deutschland ist bereits eine einzige politische Besserungsanstalt, will man nun gar eine Aussätzigeninsel daraus machen?"

Im Gegensatz zu Jünger engagierte sich Andres in der bundesdeutschen Tagespolitik. So war er einer der führenden Köpfe in der Anti-Atom-Bewegung und trat für die Entspannungspolitik ein. 1968 zerbrachen mit der brutalen Beendigung des Prager Frühlings seine Illusionen: "Nun sind wir alle, die wir für Frieden und Ausgleich und Verständnis mit den Sowjets eingetreten sind, von diesen Herren selbst schmählich desavouiert worden."

 Wer die Zeugnisse der langjährigen Freundschaft beider Autoren studieren möchte, findet in der gut kommentierten, schön ausgestatteten Briefedition einen leichten Zugang zu dem, was die beiden Freunde in ihren Briefen und bei ihren Treffen erörterten: künstlerische und familiäre Fragen, Reiseerfahrungen und politisch-kulturelle Probleme.

Ernst Jünger, Stefan Andres: Briefe 1937-   1970, herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Günther Nicolin. Verlag Klett Cotta, Stuttgart 2007, gebunden, 192 Seiten, 21,50 Euro


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