© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/07 06. Juli 2007

Preußischer als Schinkel
Berliner Museumsinsel: Chipperfields neues Konzept umwirbt den konservativen Betrachter
Wolfgang Saur

Im Berliner Museumskrieg wurde vergangene Woche ein konstruktiver Punkt erreicht. Am 27. Juni präsentierte David Chipperfield seinen Entwurf fürs zentrale Eingangsgebäude der Museumsinsel. Der britische Architekt spielt eine Hauptrolle im Rahmen des Masterplans, ist doch seit 1997 der Wiederaufbau des Neuen Museums in seine Verantwortung gestellt. Gleichzeitig wurde er beauftragt, westlich davon einen zusätzlichen Komplex zu errichten. Doch der erbitterte Kampf gegen sein Projekt seit 2000 hat ihn gezwungen, das alte Konzept umzustoßen und neue Ideen zu entwickeln.

Diese kommen nicht nur "seinen Kritikern ein Stück entgegen", wie die Welt meinte, sondern stellen, wie die FAZ zu Recht schreibt, ein "radikal verändertes Konzept" dar: "Alles wird nun anders: die Grundidee des zentralen Foyers für die Schatzhäuser Preußens, die Wegführung darin, die Raumfolge, die Materialität." So zeigt auch die seit Jahren engagierte Gesellschaft für das Historische Berlin (GHB) Erleichterung und spricht mit Genugtuung aus, der Kampf habe sich gelohnt.

Das aktuelle Ergebnis erweist sich glücklich als ästhetisch am besten gelungenes Konzept im Debatten- und Planungsmarathon seit 1993. Vor allem, weil Stiftung und Architekt ihre Position von 1997 prinzipiell revidierten. Damals wurde zwar ein differenzierter Rückbau für die Ruine des Neuen Museums gewählt, für die neu zu schaffende Eingangssituation westlich davon jedoch modernistisch eine "kontrastierende Glasarchitektur". Chipperfields ineinander geschobene, gläserne Kuben mochten sein Ungetüm von 1993 verbessern, aber ein "Glasmonstrum" blieb es doch.

Diese Polarisierung ist jetzt verschwunden: Das neue Modell besticht, indem es sich formal und programmatisch der Einrichtung, dem Ort, der Historie und dem borussischen Umfeld harmonisch einfügt und mit seiner Formensprache taktvoll positioniert zwischen Tradition und Moderne.

Nicht unerheblich erscheint, daß Chipperfield Miene macht, Hoheit und Würde des Orts nicht zu "dekonstruieren", diese vielmehr unterstreicht. Er inszeniert das über das klassische Tempelmodell, das er auf die geometrische Grundform von Säule und Gebälk zurückführt. So gewinnt er ideell eine symbolische Chiffre und gestalterisch ein bauliches Raster, das sich rekombinieren läßt. Dessen Potential entfaltet er nun. Eine monumentale Säulengalerie auf hohem Sockel soll uferseitig Pergamonmuseum und Bodestraße verbinden. In der Frontalansicht erhebt sich darüber die Westseite des Neuen Museums. Der transparente Loggiencharakter der filigranen Bauweise entspricht Stülers Architektur womöglich sogar besser als bis 1939 das südseitig exponierte Direktionshaus des Schinkelschen Packhofs.

Ebendort entwickelt der projektierte Komplex jetzt die zentrale Eingangslage für die Museumsinsel. Sie stellt sich als dreigliedrige Baugruppe dar, die das zur Pfeilerordnung umgedeutete Säulenschema dreifach variiert - flächenhaft-plastisch, konvex-konkav, vertikal-horizontal - und dabei drei Hauptmotive der Insel verarbeitet: Sockel, Prunktreppe und Kolonnade. Schiebt sich linkerhand die Galerie blockhaft hervor, führt mittig eine gewaltige Freitreppe in die Tiefe nach oben, während ein planer Kolonnadenprospekt rechts zum Neuen Museum hofbildend anschließt. Dieser moderne Klassizismus entspricht der Insel als humanistischem Forum vorzüglich. Erstaunlich, wie die Gestaltung sich preußischem Baudenken einfügt und auch mit der Potsdamer Kulturlandschaft harmoniert, die Galerien, Loggien, Pergolen zahlreich variierte. Sie umwirbt den konservativen Beobachter. So zeigt sich die prominent unterstützte Bürgerinitiative "Rettet die Museumsinsel!" beeindruckt. Es gehe nun "in die richtige Richtung". Schon diese Woche will man sich beraten, ob die seit März laufende Unterschriftenaktion fortgesetzt wird.

Freilich sind für die energischen Kritiker noch längst nicht alle Einwände vom Tisch, betrifft der Streit doch nach wie vor sehr grundsätzliche Fragen über Form und Ort, Alt- und Neubau. Dessen funktionale Notwendigkeit stellt indes kaum einer in Abrede. 73 Millionen Euro wurden 2006 für den neuen Komplex bewilligt. Er soll die Insel infrastrukturell erschließen und die vier Solitäre des Bode-, Pergamon-, Neuen- und Alten Museums, die untereinander die "archäologische Promenade" verbindet, zur Einheit integrieren. Bei Fortbestand der alten Zugänge soll - nach dem Vorbild von British Museum und Louvre - der Neubau Besucherströme lenken und zusätzlichen Funktionen dienen mit Ausstellungs-, Besucher-, Medienräumen, Garderoben, Toiletten, Cafés und Shops. Die lassen sich im Neuen Museum nicht realisieren und werden deshalb schon kompensatorisch benötigt. Unterbringen will der Architekt sie im Sockel seiner Galerie.

Perspektivisch orientiert sich die Stiftung an den Besucherzahlen des Louvre. Die belaufen sich auf acht Millionen im Jahr. Kamen auf die Museumsinsel bisher 1,5 Millionen Gäste, so erwartet man ab 2008 zunächst drei, mittelfristig fünf bis sechs Millionen. Klar, daß für ein touristisches Millionenpublikum andere Kapazitäten gefragt sind als vor der Wende.

Bis Spätsommer wird der Entwurf komplettiert, worauf man gespannt sein darf. Inzwischen wird die Debatte nicht verstummen. Stein des Anstoßes bleibt der Rückbau des Neuen Museums, darin vor allem das unverputzte Treppenhaus, die Betonstiege, der nicht rekonstruierte ägyptische Hof und der zum Prinzip stilisierte Verfremdungseffekt von Alt und Neu - was Kritiker monieren als "künstliche Brutalisierung". Hatte Chipperfield ursprünglich zugesagt, "so vollständig und authentisch wie möglich" zu sanieren, scheint er sukzessiv von diesem Punkt abzurücken. Daß er und der Bauherr sich andererseits weigern, etwa die schwülstigen Fresken Kaulbachs zu imitieren, ist nachvollziehbar. Diese überreichen Dekorationen des 19. Jahrhunderts, die Sammlungen vielfach dominierten, sind auch anderswo, so in München, nach 1945 nicht wieder hergestellt worden.

In der langen, konfliktreichen Chronologie der Planung mit den Etappen 1993/94 -1997-2000 bis zur Eingabe der GHB an den Petitionsausschuß des Bundestags 2006 scheint endlich tragfähiger Grund erreicht. Der aktuelle Entwurf stellt dabei dem Architekten ein günstiges Zeugnis der Wandlungsfähigkeit aus, betrachtet man den Autismus seiner Kollegen von Mies van der Rohe bis Gehry: jener, der die Neue Nationalgalerie hinklotzte, sich aber der Ausstellungsfunktion brutal verweigerte, und dieser, der Form und Material schlicht vergewaltigt. Sollte das neue Modell 2009 bis 2012 tatsächlich realisiert werden, würde das Bauherrn, Kritiker, Denkmalschützer und Icomos (Unesco) zusammenführen.        

Foto: Entwurf der James Simon-Galerie von Architekt David Chipperfield für die Berliner Museumsinsel: Zeugnis von Wandlungsfähigkeit


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