© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/07 06. Juli 2007

Pankraz,
D. Hildebrandt und die skeptische Welle

Neues von der Flakhelfergeneration-Entlarvungsfront: Das Magazin Focus meldet, daß auch die Schriftsteller Siegfried Lenz und Martin Walser sowie der Kabarettist Dieter Hildebrandt Mitglieder der NSDAP gewesen seien. Irgendwelche Archivwürmer in irgendwelchen Karteikästen hätten das zweifelsfrei ans Licht gebracht. Es folgt nun das in solchen Fällen Übliche: Die "Beschuldigten" erinnern sich nicht genau an die Aufnahmeformalitäten (warum sollten sie auch?), es setzt Hohn und Häme, Hildebrandts soeben gelandeter autobiographischer Bestseller "Nie wieder achtzig" "erscheint in neuem Licht". Alles wie gehabt.

Der Vorgang ist ekelhaft, jämmerlich, verachtungswürdig. Es geht nicht um Geschichtserhellung, sondern um Denunziation. Natürlich will man den Denunzierten auch persönlich eins auswischen, doch im Mittelpunkt des denunziatorischen Interesses stehen gar nicht die "Beschuldigten" selbst, sondern die Generation und das Volk, denen sie angehören, ja, letztlich die Menschennatur insgesamt, jugendliche Begeisterung und jugendlicher Einsatzwille beispielsweise, welche leicht zu wecken sind, verhaltensleitende Anpassungsinstinkte, spontane Verteidigungsreflexe.

Da die deutsche "Vätergeneration", die das NS-Regime und den Zweiten Weltkrieg angeblich voll und exklusiv zu verantworten hatte, inzwischen faktisch ausgestorben ist und da man im Augenblick doch noch davor zurückschreckt, eine "untilgbare Kollektivschuld" zu propagieren, der alle Deutschen für immer und ewig verfallen seien, stürzt man sich mit Vehemenz auf die sogenannte Flakhelfergeneration der Jahrgänge 1927 bis 1929. Die kann man gerade noch biologisch konkret verantwortlich machen,  deren Lebensläufe lassen sich noch stigmatisieren.

Zwar sind die "Flakhelfer" alle auch schon an die achtzig, aber es gibt unter ihnen viele zähe Brocken, die sich nach wie vor wichtig machen, voller Schaffenskraft und voller medialer Einfälle stecken und Jüngere angeblich nicht nach oben kommen lassen. Denen also geht es nun ans Leder, gegen die wird die berüchtigte Antifa-Keule geschwungen, die möchte man gern, stellvertretend für alle Deutschen, zu schlotternden und jederzeit erpreßbaren  Schuldturminsassen erniedrigen, die nur noch weinerlich um Verzeihung flehen.

Verzeihung wofür? Sie waren in den letzten Kriegsmonaten noch nicht einmal zum Manne gereift, allenfalls halbwegs "sozialisiert", aufgewachsen in einer Zeit des Krieges, der Bombennächte, der permanenten Ausnahmesituation. Ihre notwendigerweise begrenzte eigene Lebenserfahrung widersprach  dem, was ihnen offiziell beigebracht wurde, nicht oder nur momentweise. Das Vaterland war in Gefahr und mußte verteidigt werden - das schien ihnen so offensichtlich und so zentral, daß ihr jugendlicher Idealismus, ihre Keckheit und ihr Kampfgeist voll darin aufgingen. Was soll daran schuldhaft sein?

Wenn man ernsthaft ein Schuldkonto der Flakhelfergeneration aufmachen will, liefert allein die Nachkriegszeit Material. Man könnte es so sagen: Während die wirklich erwachsenen Soldaten des Großen Krieges nach der Niederlage mit größter Sachlichkeit und Umsicht den Wiederaufbau anpackten, geistespolitisch dabei jedoch weitgehend abschalteten (sich freilich auch nicht von den Sieger-Ideologen und Rache-Aposteln sonderlich beeindrucken ließen, denn sie kannten das Leben ja und wußten recht gut, was auf beiden Seiten so alles passiert war), neigten die Flakhelfer von Anfang an zum Ideologisieren und Büßen.

Speziell diejenigen, die sich hatten verführen lassen (im allgemeinen durchaus nicht immer die Schlechtesten), waren nun unendlich enttäuscht, ja, geradezu existentiell verstört. So suchten sie nach Erklärungen, die scheinbar aus dem erlebten Absurdistan herausführten. Und da die Väter und älteren Brüder, mit dem Wiederaufbau beschäftigt, sie nicht ordentlich belehrten und in die Tradition einwiesen, fielen sie eben in die Hände der "Umerzieher" - und gaben deren "Lehren" dann an die 68er weiter. Darin und in nichts anderem besteht ihre "Schuld".

Im Grunde hat es nie ein törichteres Buch gegeben als "Die skeptische Genera-  tion" von Helmut Schelsky, das bekanntlich der Mentalität der Flakhelfer gewidmet ist. Denn skeptisch waren diese Flakhelfer gerade nicht. Sie zogen nichts in Zweifel und machten hinter nichts ein Fragezeichen, sie tauschten - in Ost wie in West - lediglich eine Theorie durch die andere aus. Ihr Grundantrieb war nicht abwartende Distanz zu dem, was einem erzählt wird, sondern Panik, panisches Sich-aneignen-Wollen, Grundkurseifer.

Keine einzige Überlegenheitsgeste der führenden Flakhelfer kann über diesen trostlosen Tatbestand hinwegtäuschen, nicht das pfadfinderhafte Aufbegehren eines Günter Grass gegen "Fünfzigerjahremuff" und "Restauration", nicht das penetrante Pädagogentum eines Siegfried Lenz in seiner "Deutschstunde", nicht die bemüht kritische Kabarettelei eines Dieter Hildebrandt. Es war alles bloß Panik, und die nachfolgenden 68er spürten das und setzten die Leute schon mal fürsorglich auf ihre Entlarvungsliste. Früher oder spät würden auch sie drankommen. Und heute sind sie dran.

Hier und da heißt es schadenfroh, die Flakhelfer seien genau in die Grube gefallen, die sie anderen, nämlich den Vätern, gegraben hätten. Ihr "unerträgliches Moralisieren unter Aussparung der eigenen Taten" sei der eigentliche Skandal, der nun endlich ans Licht der Öffentlichkeit gezogen werde. Dabei war alles viel harmloser. Die Flakhelfer waren keine Heuchler, sie haben nach '45 alles genauso gemeint, wie sie es gesagt haben, und sie haben es genauso gesagt, wie man es ihnen in Parteilehrgängen und Umerziehungsseminaren beigebracht hat.

Die einst von Schelsky registrierte "skeptische Welle" in der Geschichtswissenschaft und in der Erinnerungspolitik steht erst noch bevor, und sie wird wahrscheinlich gar nicht mehr die heute Achtzigjährigen erreichen. Aber sie könnte Tsunamiformat haben, und das sollte sie auch.


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