© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/07 29. Juni 2007

Hoffnungsschimmer oder Tücke der Statistik
Abtreibungen: Lebensschützer bezweifeln, daß der leichte Rückgang der in Deutschland registrierten Schwangerschaftsabbrüche auf einen Wertewandel hindeutet
Anni Mursula

Als das Statistische Bundesamt Anfang Juni bekanntgab, daß die Abtreibungszahlen in den ersten vier Monaten des Jahres gesunken sind, war das Medienecho groß. Schnell spekulierten Zeitungen und Ärzte über die Gründe für die erfreulichen Zahlen: bessere Konfliktberatung und Aufklärung über Verhütungsmethoden, die neue Familienpolitik der Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) und letztendlich wohl auch ein "geändertes Wertebewußtsein". Das Phänomen hat "vielleicht was mit dem Zeitgeist zu tun", sagte der Gynäkologe und Vorsitzende des Bayerischen Landesverbandes der Frauenärzte, Peter Hausser, der Süddeutschen Zeitung.

Im ersten Quartal 2007 wurden den Statistikern rund 31.400 Schwangerschaftsabbrüche gemeldet - was etwa 1.400 (4,4 Prozent) weniger vorgeburtliche Kindestötungen im Vergleich zum Vorjahr bedeutet.

So positiv diese Zahlen auch erscheinen mögen, täuschen sie doch über die wahre Situation hinweg, warnen Lebensrechtler. Das Statistische Bundesamt stelle nämlich die Abtreibungszahlen nicht in den richtigen Kontext und vergleiche die Abbrüche nicht mit der allgemeinen Geburtenzahl. "Es ist falsch, wenn durch die Abtreibungsstatistik der Eindruck entsteht, in Deutschland werde immer seltener abgetrieben. Das Gegenteil ist er Fall: Es wird immer häufiger abgetrieben", sagt die Vorsitzende des Bundesverbandes Lebensrecht, Claudia Kaminski.

Die Zahlen würden deshalb leicht falsch verstanden, weil der Anteil der vorgeburtlich getöteten Kinder nicht mit dem der Lebendgeborenen verglichen werde. Die Lebensschützer weisen auf die demographische Entwicklung hin: "Weil in einer stark schrumpfenden Bevölkerung auch die Zahl der Lebendgeburten massiv zurückgeht, ist es falsch, anzunehmen, mittlerweile entschieden sich mehr Paare bei einer ungewollten Schwangerschaft für ihr Kind", sagt Kaminski.

Elterngeld scheint für Geburtenanstieg zu sorgen

Denn in Wirklichkeit entschieden sich die wenigen Frauen, die schwanger werden, immer häufiger für eine Abtreibung, sagen die Lebensschützer. Daß es insgesamt zu weniger vorgeburtlichen Kindstötungen kommt, liege schlicht und einfach daran, daß es von vornherein weniger Frauen und auch weniger Schwangerschaften gibt. Somit steige die Abtreibungsquote prozentual gegenüber den Lebendgeborenen. Das belegen die Lebensschützer nun durch Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Demnach sank die Zahl der gemeldeten jährlichen Abtreibungen von 130.899 (1996) auf 124.034 (2005). Im gleichen Zeitraum seien jedoch auch die Lebendgeburten von 796.013 (1996) auf 685.795 (2005) zurückgegangen. Folglich stieg der Anteil der Abtreibungen an den Lebendgeburten in den zehn Jahren zwischen 1996 und 2005 von 16,4 Prozent auf 18,1 Prozent - was einen Anstieg von 1,7 Prozent bedeutet.

Seit das neue Elterngeld in diesem Jahr bezahlt wird, steigen offenbar auch die Geburtenzahlen leicht an. Die vorläufigen Daten für das erste Quartal 2007, die die Statistiker allerdings noch für ziemlich ungenau halten, deuten zumindest auf einen kurzfristigen Anstieg der Geburtenrate: In Düsseldorf erhöhte sich die Geburtenzahl im ersten Viertel dieses Jahres sogar um ganze 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Eine endgültige Aussage wagt das Statistische Bundesamt allerdings noch nicht, da die dort vorliegenden Daten nicht komplett sind.

Doch die Lebensrechtler sind pessimistisch. Sie fürchten, daß der Anteil der Abtreibungen an den Lebendgeburten auch 2007 weiter ansteigen wird. "Obwohl noch keine jüngsten Zahlen vorliegen, muß davon ausgegangen werden, daß der Trend sich auch 2007 fortsetzt", sagt Kaminski. "Da Bundesregierung und Parlament nicht willens scheinen, die Abtreibungsproblematik ernsthaft anzugehen, ist die Krippenplatzdiskussion schon jetzt anachronistisch. Allen Einlassungen zum Trotz scheinen die politischen Parteien warten zu wollen, bis sich der Bedarf dem derzeitigen Angebot angepaßt hat."


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