© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/07 22. Juni 2007

Eine Stadt des Menschen bauen
Das jüngste "Kompendium der Soziallehre der Kirche" bietet Einblicke in aktuelle gesellschaftliche Entwürfe inklusive eines Wertekanons
Friedrich Romig

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit und ihren Medien ist eines der wichtigsten Dokumente des Vatikans, das "Kompendium der Soziallehre der Kirche", zuerst 2004 in italienischer und endlich 2006 auch in deutscher Sprache erschienen. Es bildet gewissermaßen das Pendant zum "Katechismus der katholischen Kirche" und faßt, jedenfalls seinem Anspruch nach, in knapper, aber umfassender und systematischer Weise alles zusammen, was die Kirche zur Gestaltung der Gesellschaft vorzubringen hat. Es enthält die Ziele, Prinzipien, allgemeinen Normen und Urteilskriterien für alle Bereiche, Einrichtungen und Gebilde des gesellschaftlichen Lebens und für die auf sie gerichtete Politik, welche nicht nur von Katholiken zu beachten sind, sondern wegen ihres universalen Charakters von allen Menschen guten Willens angenommen werden können. Das "Kompendium" ist jedenfalls für Katholiken der Maßstab, nach dem Politiker und ihre Handlungen beurteilt werden können und sollen.

Eingerahmt von einer Einleitung und einem Schlußwort wird das theoretische "Corpus" der kirchlichen Soziallehre in zwölf Kapiteln ausgefaltet, welche es ermöglichen, die heute und in Zukunft sich konkret stellenden gesellschaftlichen Fragen in ihrer Gesamtschau zu betrachten und auf sie Antworten zu finden, welche der Komplexität und Interdependenz der gesellschaftlichen Gegebenheiten in "organischer" Weise gerecht werden. Der Kirche geht es dabei nicht allein darum, dem einzelnen Menschen das Evangelium zu verkünden, "sondern die Gesellschaft selbst mit dem Evangelium (...) zu durchsäuern", sind doch für die Kirche "die Gesellschaft und mit ihr die Politik, die Wirtschaft, die Arbeit, die Rechtsordnung und die Kultur (...) keine rein säkulare und weltliche Wirklichkeit, für die deshalb die Botschaft und Ökonomie des Heils unbedeutend und fremd wäre".

Weder "die vielschichtige Welt der Produktion, der Arbeit, des Unternehmertums, der Finanzen, des Handels, der Politik, der Rechtsprechung, der Kultur und sozialen Kommunikation" noch überhaupt irgendwelche Gegenstände der natürlichen Ordnung sind von der übernatürlichen und göttlichen Ordnung des Glaubens und der Gnade ausgeschlossen, sondern sie werden vielmehr von ihr erkannt, aufgenommen und emporgehoben und in den Dienst des Aufbaus und der Festigung des göttlichen Reiches als letztem und ultimativem Ziel der Gesellschaft gestellt. Der kirchlichen Soziallehre geht es letztlich darum, dabei behilflich zu sein, "eine Stadt des Menschen zu bauen, die menschlicher ist, weil sie dem Reich Gottes mehr entspricht".

Wer sich nicht mit der religiösen, theologischen, philosophischen und moralischen Grundlegung der kirchlichen Soziallehre aufhalten will, dem sei geraten, sich wenigstens die Kapitel fünf bis acht über Familie, Arbeit, Wirtschaft und Politik anzusehen. Mancher wird überrascht sein, wie sehr die Kirche gegen den Wertekanon der Political Correctness verstößt. Auf der anderen Seite wird eine kritische Würdigung ihr Bedauern nicht verhehlen, daß die Kirche auch mit diesem Kompendium es nicht geschafft hat - und wohl auch nicht willens war -, ein wissenschaftlich-theoretischem Standard entsprechendes Werk der katholischen Gesellschaftslehre vorzulegen, welches "pastorales Geräusch" (Herwig Büchele SJ.) weitgehend vermeidet. Schuld daran ist wohl der verfehlte anthropologische Ausgangspunkt, welcher der individualistischen Gesellschaftsauffassung Tür und Tor öffnet und in der Gesellschaft schließlich nur noch ein "Netzwerk von einzelmenschlichen Beziehungen" sieht. Der Vorrang des Gemeinwohls vor dem Einzelwohl, der Gemeinschaft vor dem Individuum bleibt dabei auf der Strecke. Richtigerweise hätte für eine katholische Gesellschaftslehre der Ausgangspunkt die Kirche selbst zu sein, welche als societas perfecta nicht nur das Modell einer "vollkommenen Gesellschaft" abgibt, sondern das Reich Gottes hier auf Erden vergegenwärtigt oder "repräsentiert". Sie ist, wie Pius XI. immer wieder betonte, "das Lebensprinzip der Gesellschaft". Nur wer sehr feine Antennen hat, wird diesen logischen Ausgangspunkt der katholischen Gesellschaftslehre auch noch in manchen Aussagen des Kompendiums entdecken.

Unbeschadet dieser kritischen Anmerkungen wäre die Verwendung des Kompendiums an Schulen höchst wünschenswert. Es ist den üblichen, meist aus linken Ecken stammenden Lehrbehelfen auch rein sachlich um Längen überlegen.

Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden: Kompendium der Soziallehre der Kirche. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2006, broschiert 543 Seiten, 15,32 Euro


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