© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/07 22. Juni 2007

Freispruch gefordert
Die Inquisition in kirchenhistorischer Reflexion
Peter Lebitsch

Gütig lächelt "Benedetto" auf die jubelnde Schar der Gläubigen herab. Heute wirken katholische Patriarchen harmlos, viele Christen kennen jedoch kaum die Vergangenheit der Institution. Walter Brandmüller lehrte an der Universität Augsburg Kirchengeschichte. Seit 1998 ist er Präsident des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaften und gilt als "Chefhistoriker des Vatikans". Katholische Blutspuren will er reinwaschen.

"Es ist die ganze Kirchengeschichte Mischmasch von Irrtum und Gewalt", meinte Goethe. Den Kritikern der Kirche wirft Brandmüller schändliche Parteilichkeit vor. Freilich ergreift er selbst Partei, daß der stärkste Balken bricht. Die Papstkirche verkünde "niemals einen Glaubensirrtum" und müsse ihre hierarchische Struktur konservieren. "Gottes Offenbarung" könne nur der Papst richtig auslegen.

Das katholische Glaubensdogma bedingte die Ketzerverfolgung, blutigster Kern des Mittelalters, den Brandmüller thematisiert, vergißt aber, Religionskriege und Hexenverfolgung zu erwähnen. Feuerrot wie die Kutten der Inquisitoren leuchtet der Bucheinband. "Christliche, kirchliche Kultur", konstituiert durch die "Einheit des Glaubens", gestaltete das Abendland. Häretiker waren "gemeingefährlich" und verbreiteten geistige "Seuchen". Katharer und Waldenser, die keinen Lehnseid leisteten, repräsentierten "heidnische Zuchtlosigkeit". "Griff jemand ein Dogma an, so attackierte er zugleich die Fundamente der gesellschaftlichen Ordnung."

Da er die damalige Tyrannei der Kirche rechtfertigen will, erfindet Brandmüller einen simplen Taschenspielertrick. Nur im "historischen Kontext" sei die Ketzerverfolgung zu beurteilen, und daher mißt der Vatikan-Ideologe die heilige Inquisition nach "Maßstäben der Vergangenheit". Somit kann Brandmüller jede Grausamkeit "erklären" und rechtfertigen. Allerdings darf der Historiker frühere Normen nicht anwenden, sondern muß sie kritisch interpretieren.

Konsequent rechtfertigt Brandmüller die Bekämpfung der Abweichler. Denn sündige Häretiker mußten, getötet werden, wie Thomas von Aquin forderte. "Wo die Inquisition zum Tode verurteilte, richtete sie das Vergängliche hin, um das Unvergängliche zu retten", schreibt der Autor ungeniert. Moderne Diktatoren dagegen hätten den ganzen Menschen vernichtet.

Dieser Logik folgend, scheint die Inquisition zahlreiche Menschen aus Barmherzigkeit ins Feuer geschickt zu haben. Von "relativistischer" Denkweise blockiert, mißverstehen wir die "objektive Glaubenswahrheit" des Mittelalters. Damals herrschte die "grandiose Idee", daß Gott im Mittelpunkt der Welt ruhe, eine Sichtweise, welche auch die Kreuzzüge anregte.

Fast allen Trägern der roten Kutte attestiert er "gewissenhafte Amtsführung" und lobt "das Wahre" ihrer Motive. Sogar Luther habe Ketzer bekämpft. Herz, was willst du mehr? Allerdings sähe Brandmüller gern auch Luther brennen, weil der "Umstürzler" die kirchliche Hierarchie gefährdete, als er individuelle Gewissensfreiheit verkündete. Selbst unfähigen Päpsten hat sich das Christenschaf zu beugen. Allein die katholische Kirche besitze die göttliche Heilsbotschaft und sei "menschlicher Verfügung entzogen". Brandmüller wünscht alle "Versuchungen des Rationalismus" zum Teufel.

Der habilitierte "Chefhistoriker" weiß, wovon er spricht. Inquisition, Kreuzzüge, Religionskriege widersprechen keineswegs der "guten" christlichen Lehre. Sie resultieren, wie Brandmüller selbst zeigt, logisch aus der Doktrin. Verkörpern Scheiterhaufen die innerste katholische Wahrheit?

Das "Licht" ist der "Schatten" der Kirche. "Benedetto" leitete früher die Glaubenskongregation des Vatikans, steht in der Tradition der heiligen Inquisition früherer Zeitalter. Das Werk Brandmüllers ist zumindest ein entlarvender Beleg dafür, daß dieser Traditionsstrang keineswegs einen wesentlichen Bruch aufweist, der vergangenes Unrecht reflektiert oder gar verurteilt.

Walter Brandmüller: Licht und Schatten. Kirchengeschichte zwischen Glaube, Fakten und Legenden. Sankt Ulrich Verlag, Augsburg 2007, gebunden, 222 Seiten, 16,90 Euro

Foto: Pedro Berruguete (1450-1504), Die spanische Inquisition unter St. Dominic beaufsichtigt die Verbrennung von Häretikern, Prado-Museum: Das Vergängliche hingerichtet


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