© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/07 22. Juni 2007

"Blanker Unsinn"
Rußland: Das EU-Russia-Center tagte erstmals in Deutschland
Christian Dorn

Im ostsibirischen Jakutien soll kürzlich die etwa 300köpfige Einwohnerschaft des Dorfes Bedime (Teilrepublik Sacha) nahezu geschlossen der Kreml-Partei Einiges Rußland beigetreten sein. Selbst das knappe Dutzend an KP-Mitgliedern ordnete sich sogleich dem an das Sowjetsystem erinnernde Einparteisystem unter. Solche Verhältnisse befürchten Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin künftig für ganz Rußland.

Um einer solchen Entwicklung entgegenzuwirken, hatte das im Mai 2006 ins Leben gerufene EU-Russia Centre (ERC) vorige Woche in Berlin zu einer internationalen Konferenz eingeladen. Das sich in seiner Außendarstellung als "unabhängige" pan-europäische Organisation vorstellende Zentrum wirkt durch Namensgebung und Anleihen beim EU-Sternenbanner wie eine offizielle Einrichtung. Erst auf Nachfrage erfährt man, daß das ERC eine Nichtregierungsorganisation (NGO) sei, finanziert bislang einzig von den Mäzenen George Soros und Michail Chodorkowski. Soros, 1930 als György Schwartz in Budapest geboren, ist ein linksliberaler US-Milliardär, der sein Vermögen zur Förderung "offener Gesellschaften" in Südosteuropa und Ex-Sowjetrepubliken einsetzt. Chodorkowski, Gründer des Ölkonzerns Jukos, wurde 2005 in einem umstrittenen Verfahren wegen Steuerhinterziehung und Betrugs zu acht Jahren Haft verurteilt.

ERC-Gründungsmitglieder sind Politiker wie der britische Liberale Lord Ashdown, der Ire Pat Cox oder die finnische Grüne Heidi Hautala. In Berlin wurde die ERC-Veranstaltung von Andreas Schockenhoff, dem Vizechef der Unionsfraktion, eröffnet. Dieser zeigte sich besorgt angesichts der "Rückschläge bei Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und Meinungsfreiheit". Wenn Rußland vom Rohstoffexporteur zu einer modernen Wirtschaftsmacht werden wolle, sei es unweigerlich auf freie Medien und eine unabhängige Zivilgesellschaft angewiesen.

Die in der Podiumsdiskussion gestellte Frage, ob die EU und Rußland eine Rechts- und Wertegemeinschaft bildeten, verneinte Eckart von Klaeden, außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, vehement. Gerade von einer Rußlandreise zurückgekehrt, konstatierte er eine "besorgniserregende innen- wie außenpolitische Entwicklung". Die demokratischen Institutionen - Parlamentarismus, Parteienlandschaft, Presse - seien mittlerweile nur noch "Imitationen": eine Sicht, der Barbara von Ow-Freytag, Vorstandsmitglied des Deutsch-Russischen Austauschs, beipflichtete. Aber auch die westliche Presse sei zu blauäugig, kritisierte der Rußlandexperte Jochen Thies vom Deutschlandradio: "Wir Deutschen neigen in der Außenpolitik zum Romantizismus - und die Russen wissen das." Seit der Münchner Sicherheitskonferenz in diesem Februar arbeiteten die Russen mittels "Überrumpelungstaktik".

Der Putin-Vorschlag zur US-Raketenabwehr in Aserbaidschan sei ein "Propagandacoup", bei dem es die Pflicht eines jeden Journalisten gewesen wäre, das Angebot als das bloßzustellen, was es sei: "Blanker Unsinn!"

Im Internet: www.eu-russiacentre.org


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen