© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/07 15. Juni 2007

Die Kriegskunst der Täuschung anwenden
Der Konvertit und frühere islamische Gelehrte Mark A. Gabriel über die Strategien fundamentalistischer Moslems in Minderheitengesellschaften
Klaus Hornung

Angesichts der Fülle an Literatur über Islam, Islamismus und den von ihm geprägten Terrorismus, die heute den Buchmarkt überschwemmt, ist es nötig, die Spreu vom Weizen zu trennen und eine kluge Auswahl zu treffen. Wer zu den Büchern von Mark A. Gabriel greift, zu dem bereits in dritter Auflage vorliegenden Band "lslam und Terrorismus" sowie zu dem hier anzuzeigenden Buch über die "Motive islamischer Terroristen", kann sich auf der sicheren Seite sehen.

Der Autor ist ein Insider, ein Ägypter, der an der ehrwürdigen Al Azhar Universität in Kairo studierte, diplomierte und einer ihrer jüngsten Dozenten sowie Imam einer Moschee war. Durch den Kontakt mit der Minderheit der christlichen Kopten in seiner Heimat geriet er in Distanz und Kritik zur Religion seiner Eltern und Vorfahren und lernte dadurch auch die ägyptischen Gefängnisse und ihre Folterpraxis kennen. Er konnte nach Südafrika auswandern und konvertierte zum Christentum. Heute lebt er in den USA als Dozent für christliche Pädagogik. Der Autorenname ist ein Pseudonym, das dem Schutz seiner in Kairo lebenden Familie dienen soll. Die "Journey into the Mind of an Islamic Terrorist" (so der Titel der amerikanischen Originalausgabe) beginnt mit dem Rückblick auf die Schüler- und Studentenzeit des Autors in den sechziger und siebziger Jahren, als die islamische Welt im Zeichen einer großen islamischen "Erweckung" stand.

Der Autor macht uns mit den Namen der Vorkämpfer dieser islamischen Renaissance bekannt: Hassan al-Banna (geboren 1906, 1949 von der ägyptischen Geheimpolizei ermordet), dem Gründer der bis heute einflußreichen Moslem-Liga, dem Schriftsteller Sayyid Qutb (geboren 1906, 1966 vom Nasser-Regime hingerichtet) und Abul ala Maududi (1903 in Indien geborener Moslem, gestorben 1979), dem Gründer der vor allem unter den Intellektuellen wirkenden Untergrundorganisation Jamaat-e-Islami, die für die Ermordung des ägyptischen Präsidenten Anwar al-Sadat (1981) verantwortlich war. Diese drei Vorkämpfer wirken mit ihren revolutionären Ideen bis heute nachhaltig auf die junge Generation der islamischen Welt in Nordafrika ebenso wie in Arabien, Pakistan und Indonesien.

Später kamen die Schlüsselfiguren des Terrorismus hinzu, insbesondere Osama bin Laden, Jahrgang 1957, aus einer jemenitischen Familie, die in Saudi-Arabien durch lukrative Bauaufträge reich geworden ist. Bin Laden studierte zunächst an der saudischen Universität Jeddah und gründete dann die Organisation al-Qaida ("die Basis") zur Anwerbung von Kämpfern und Sponsoren für den Kampf gegen die Sowjettruppen in Afghanistan, zunächst in Verbindung mit den USA. Schon 1988 verbreitete bin Laden dann jedoch eine Fatwa (Aufruf, Gerichtsurteil) zum Kampf gegen "Juden und Kreuzzügler" und im Jahr 2000 einen "Brief an Amerika", in denen er seine antiwestlichen Ideen bekanntmachte. Ayman al-Sawahiri, geboren 1951 in Kairo und ausgebildeter Arzt, wurde zum zweiten Mann von al-Qaida und zum eigentlichen Strategen des revolutionären Kampfes mit den Mitteln der Selbstmordattentate.

Die Kernkapitel des Buches sind diejenigen über die "fünf Säulen der radikalislamischen Philosophie" und die Strategie der Täuschung der Feinde im Dschihad, die den Fußstapfen Mohammeds und des Koran folgt. Die Islamisten kämpfen für die weltweite Ausbreitung des islamischen Rechts der Scharia gegen die Welt der Ungläubigen und ihre "gottlosen Regierungen". Der Dschihad muß bis zum siegreichen Ende und zur Wiedererrichtung eines weltweiten islamischen Kalifats geführt werden. Kenntnisreich berichtet der Autor über die islamische Lehre vom Paradies als Belohnung Allahs für alle diejenigen, die sich seinem Dienst weihen, insbesondere als Märtyrer.

Ausführlich informiert er auch über Quellen, die im Westen weithin unbekannt sind, so über al-Sawahiris Anweisung "Verdeckte Operationen", die die Strategie der Täuschung im Dschihad gegen die Ungläubigen entwickelt. Es handelt sich um die besonders bei den Schiiten verbreitete Taktik des Abschirmens und Verhüllens der eigenen Pläne gegen die ungläubigen Feinde, eine Strategie, die an den einstigen revolutionären Partisanenkrieg Mao Tsetungs erinnert, hier indessen aus den authentischen Quellen des Koran und der Berichte über das Wirken Mohammeds (Hadith) abgeleitet wird. Die Kriegskunst der Täuschung soll insbesondere überall dort angewendet werden, wo die Muslime noch machtlos und in der Minderheit sind. Der in der islamischen Geschichte berühmte Scheich Ibn Taimiya hat die Lehre Mohammeds zu diesem Punkt in den Sätzen zusammengefaßt: "Wenn ein Gläubiger (Muslim) in einem Land wohnt, in dem er schwächer ist, oder zu einer Zeit lebt, in der er schwächer ist, dann soll er gemäß der Tugend der Geduld handeln, indem er den Juden und Christen vergibt und verzeiht, die Allah und seinen Gesandten (Mohammed) verletzten, und er soll ihnen gegenüber lügen, wenn das die Art ist, wie er sein Leben und seine Religion schützen kann."

Mark Gabriel möchte dem Westen empfehlen, die authentische Welt der islamistischen und terroristischen Gegner ohne die heute häufige Schönfärberei im Namen der Toleranz und des Dialogs nüchtern zur Kenntnis zu nehmen. Der konvertierte Christ ist gleichwohl kein Scharfmacher, der von Haß auf seine früheren Glaubensgenossen bestimmt wird. Er weist darauf hin, daß nur eine Minderheit - vor allem in der Jugend - fundamentalistisch gesinnt ist, wobei die fundamentalistischen Überzeugungen und Gruppen freilich die Rekrutierungsbasis für die Terroristen bilden. Die Hoffnung für die Zukunft sieht er darin, daß auch der Islam auf die Dauer nicht an der Welt des 21. Jahrhunderts vorbeigehen kann und daß seine Anhänger und Wortführer erkennen, daß ihre Lehre nicht mit Gewalt und Schwert ausgebreitet werden kann, daß ihre Prediger nicht Richter über Gläubige und Ungläubige sein sollen und daß nur ein gemäßigter Islam eine Zukunft haben wird. Insbesondere die Haltung gegenüber den Frauen werde sich als seine Nagelprobe erweisen.

Der Autor schließt mit dem Hinweis auf eine Konferenz islamischer Spitzenvertreter in London am Tag vor den Anschlägen in der britischen Hauptstadt im Juli 2005, darunter so angesehene Autoritäten wie das Oberhaupt der Al Azhar-Universität in Kairo, Muhammad Sayyid Tantawi, der schiitische Großayatollah des Irak Ali Sistani und der einflußreiche Scheich des arabischen Fernsehsenders Al Dschasira, Yusuf al Qaradawi. Die Konferenz verbot ausdrücklich, einen Moslem kurzerhand zum ungläubigen Apostaten (takfir) zu erklären, wie es bei al-Qaida üblich geworden ist, um Gewaltanwendung zu legitimieren.

Ebenfalls gegen al-Qaida gerichtet beschloß die Konferenz, daß das Recht zum Erlaß einer Fatwa, eines Rechtsgutachtens, das auch die Todesstrafe einbeziehen kann, ausschließlich den dazu qualifizierten islamischen Rechtsgelehrten vorbehalten ist.

Der Autor knüpft an solche innerislamische Entwicklungen die Hoffnung, daß die terroristische Gewalt, die sich mit der Berufung auf die Autorität des Koran und des Propheten zu legitimieren versucht, früher oder später überwunden werden kann. Bis dahin empfiehlt er der westlichen und außerislamischen Welt jedoch, den islamistischen Terroristen illusionsfrei und entschieden zu begegnen und sich nicht zuletzt ausreichende Kenntnisse über ihre vor allem in ihrer religiös-fundamentalistischen Gedankenwelt wurzelnden Motive zu verschaffen, wie er sie selbst mit dem vorliegenden Buch kenntnisreich und überzeugend zugänglich macht.

Mark A. Gabriel: Motive islamischer Terroristen. Eine Reise in ihre religiöse Gedankenwelt. Resch Verlag Resch, Gräfelfing 2006, broschiert, 301 Seiten, 16,90 Euro


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