Ein Schicksal von Tausenden
DVD: Frank Wisbars "Nacht fiel über Gotenhafen" zeigt realistisch Leid und Liebe
Werner Olles

Ende der fünfziger Jahre drehte der aus Tilsit stammende, 1938 aus Deutschland in die USA emigrierte Regisseur Frank Wisbar drei erfolgreiche Kriegsfilme. In "Haie und kleine Fische" kommen vier junge Seekadetten auf ein U-Boot, das von neuen britischen Radargeräten geortet und dann versenkt wird, während "Hunde, wollt ihr ewig leben?" (1958) der mit Spielfilmmitteln unternommene Versuch eines Gesamtbildes der Katastrophe von Stalingrad ist. "Nacht fiel über Gotenhafen" setzt sich mit dem Untergang des KdF-Transportschiffs "Wilhelm Gustloff" am 30. Januar 1945 auseinander, das nach dem Torpedoangriff eines sowjetischen U-Bootes vor der pommerschen Küste sank. Über 9.000 Menschen, darunter Tausende Kinder, Flüchtlinge und verwundete Soldaten von der zusammenbrechenden Ostfront, fanden den Tod in den eisigen Fluten der Ostsee. Es war der verlustreichste Schiffsuntergang der Weltgeschichte.

Seinen Ausgang nimmt der Film noch vor Beginn des Krieges. Auf einer Kreuzfahrt des Passagierschiffs "Wilhelm Gustloff" der NS-Organisation "Kraft durch Freude" lernt Maria Reiser (Sonja Ziemann) den Marineoffizier Hans Schott (Erik Schumann) kennen. Doch ihr kleiner Flirt wird durch Marias eifersüchtigen Ehemann Kurt (Gunnar Möller) schnell beendet. In den Bombennächten von 1944 kreuzen sich in Berlin ihre Wege wieder. Während ihr Mann an der Ostfront kämpft, findet Maria Trost in den Armen des jungen Oberleutnants. Vor den ständigen Bombenangriffen sucht sie schließlich Schutz bei ihrer Freundin Edith (Mady Rahl) in Ostpreußen.

Als die Ostfront zusammenbricht, flüchtet sie vor der anrückenden Roten Armee mit einem Treck Frauen Richtung Westen. Unterwegs stößt auch ihr schwerverwundeter Mann zu ihnen. Gemeinsam gelangen sie an die Ostseeküste nach Gotenhafen. Hier liegt die "Wilhelm Gustloff" schon mit mehr als 6.000 Flüchtlingen und Verletzten an Bord zum Auslaufen bereit. In letzter Minute gelingt es Maria, die von Schott ein Kind erwartet, mit seiner Hilfe für sich und ihren Mann noch einen Platz auf dem Schiff zu bekommen. Als die völlig überbelegte "Wilhelm Gustloff" endlich ablegt und sich auf die Fahrt nach Westen macht, wähnen sie sich schon in Sicherheit. Niemand ahnt, daß auf der Höhe von Stolpmünde ein sowjetisches U-Boot lauert und mit ihm der Tod ...

"Nacht fiel über Gotenhafen" - basierend auf dem 1952 erschienenen Buch "Der Untergang der Wilhelm Gustloff" des Zeitzeugen Heinz Schön - war einer der ersten Spielfilme, der sich mit dem Drama der Flucht und Vertreibung Millionen Deutscher aus den Ostgebieten auseinandersetzte und zugleich eines der schrecklichsten alliierten Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkrieges thematisierte. Dennoch ist er alles andere als ein antirussischer Propagandafilm, sondern antitotalitär im besten Sinne und zudem - was fast noch wichtiger ist - ein bewegender Appell an die Menschlichkeit. Selbst wenn viele der Tricksequenzen heute etwas antiquiert wirken, ist Frank Wisbars Film überzeugend wirklichkeitsnah gestaltet und gerade vor dem Hintergrund der inzwischen stattfindenden Debatte um die Themen Flucht und Vertreibung durchaus aktuell und sehenswert.

Zudem liefern die Schauspieler, allen voran Sonja Ziemann in der Rolle der zwischen Liebe, Leid und Loyalität hin- und hergerissenen Maria, eine beeindruckende Leistung. Mit Edith Schultze-Westrum, Wolfgang Preiss, Carl Lange, Günther Pfitzmann und Dietmar Schönherr sind auch die Nebenrollen erstklassig besetzt. Sehr gut zur Geltung kommt auf der bei Kinowelt erschienenen DVD auch die Musik von Hans-Martin Majewski, während die Ausstattungsextras mit einigen Darstellerbiographien, Fotogalerie und Trailer doch sehr dürftig ausfallen.

Fotos: Flüchtlinge aus Ostpreußen gehen in Gotenhafen an Bord der "Wilhelm Gustloff": Letzte Hoffnung; Untergang der "Wilhelm Gustloff": So antiquiert die Tricksequenzen, so aktuell das Thema