© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/07 15. Juni 2007

"Historische Chance"
Kirchenbesetzung in Bielefeld: Der Kampf geht weiter
Christian Vollradt

Die Auseinandersetzungen um den Erhalt oder Verkauf der Paul-Gerhardt-Kirche in Bielefeld gehen unvermindert weiter. Seit dem 25. März halten sich Mitglieder der Gemeinde, die sich in einer Bürgerinitiative zusammengeschlossen haben, abwechselnd rund um die Uhr in diesem evangelischen Gotteshaus auf, das nach dem Willen der Amtskirche an die jüdische Kultusgemeinde verkauft und zu einer Synagoge umgewidmet werden soll (JF 16/07). Während offizielle kirchliche Stellen von einer widerrechtlichen Besetzung sprechen und Anzeige gegen die Initiatoren der Aktion erstattet haben, werfen diese wiederum der Kirche vor, sie sei bei der Entscheidung für den Verauf über das mehrheitlich ablehnende Votum der Gemeinde, die zuvor mit der benachbarten Mariengemeinde fusioniert war, hinweggegangen.

Zwischenzeitlich hatte ein Kirchenvorsteher der Mariengemeinde, die seit der Fusion Eigentümerin der Paul-Gerhardt-Kirche ist, die Schlösser dort austauschen und das Gotteshaus durch einen privaten Sicherheitsdienst bewachen lassen: Wer jetzt die Kirche, in der es mittlerweile weder Strom noch funktionierende Toiletten gibt, verlassen wollte, mußte dies durch Klopfzeichen anmelden; hineingelassen wurde dagegen niemand mehr. Als die Lokalpresse darüber berichtete, war die Empörung so groß, daß der Wachdienst schließlich abgezogen wurde und der für dieses Vorgehen verantwortliche Kirchenvorsteher zurücktrat.

Mittlerweile hat sich auch der oberste Theologe der westfälischen Landeskirche mit einem eindringlichen Appell für den Verkauf der Kirche ausgesprochen. Präses Alfred Buß nannte die geplante Umwandlung zur Synagoge eine "historische Chance" und wandte sich in einem Schreiben an Verantwortliche von Kultur, Wirtschaft und Politik mit der Bitte um Unterstützung dieses Vorhabens; zu den Empfängern seines Schreibens gehören auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) und mehrere Kabinettsmitglieder. Notwendig sei, so Buß, "ein gemeinsames Engagement der Zivilgesellschaft (und eine) Parteinahme der Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt für eine neue Synagoge". Die Landeskirche habe sich von Anfang an hinter dieses Vorhaben gestellt, nicht zuletzt aufgrund der "Verantwortung für ihre eigene antijudaistische Tradition", so der leitende Theologe. "Alle Voraussetzungen für den Verkauf der früheren Paul-Gerhardt-Kirche sind inzwischen erfüllt. Die Zusagen des Landes Nordrhein-Westfalen zur finanziellen Förderung liegen vor, die kirchenaufsichtliche Genehmigung zum Verkauf ist erteilt." Allein die widerrechtliche Besetzung des Gebäudes verhindere jetzt noch den Vertragsabschluß, bedauerte Buß in einer Pressemitteilung. Dennoch schloß er eine gewaltsame Räumung aus.

Die Bürgerinitiative betonte dagegen nochmals, daß sie nichts gegen den Bau einer Synagoge habe und für den Neubau einer solchen auch einen ungenutzten Teil des Grundstücks der Paul-Gerhardt-Kirche zur Verfügung stellen würde. Der Vorsitzende Herman Geller betont in einer Erwiderung auf den Appell des Präses, er und seine Mitstreiter wehrten sich "lediglich gegen den Verkauf und Umbau ihrer Kirche, in der bis jetzt ein lebendiges Gottesdienst- und Gemeindeleben stattfindet". Es gehe "nicht um die Ablehnung eines bestimmten Käufers, sondern um den Erhalt der Kirche für das Gemeindeleben". Außerdem sei bei den Fusionsverhandlungen mit der Mariengemeinde zugesagt worden war, "ein Verkauf der Paul-Gerhardt-Kirche wäre erst dann notwendig, wenn die Gemeinde die Unterhaltskosten nicht mehr aufbringen könne", was laut Geller aber nicht der Fall sei.

Eine von der FDP-Bundestagsabgeordneten Gudrun Kopp angeregte Mediation wurde unterdessen von den kirchlichen Stellen abgelehnt. Sie machen zur Bedingung, daß vorher die Besetzung der Kirche aufgegeben werden müsse.

Die schrillsten Töne im Bielefelder "Kirchenkampf" kommen jedoch von unbeteiligter Seite. So warf der Soziologe Heinz Gess, Professor an der Fachhochschule Bielefeld, den Mitgliedern der Bürgerinitiative vor, sie hielten "um ihres bornierten kleinbürgerlichen Egoismus willen" an etwas fest, das überwunden werden müsse, "wenn man die Voraussetzungen aus der Welt schaffen will, die ermöglichen, daß sich Auschwitz wiederholen oder etwas ähnliches geschehen kann". Gegen den Professor wurde mittlerweile eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingeleitet.

 

Weitere Informationen: Bürgerinitiative Paul-Gerhardt-Kirche e.V., c/o Hermann E. Geller, Andreas-Lamey-Str. 7a, 33604 Bielefeld, Tel.: 05 21 / 42 52 14, Internet: www.paul-gerhardt-kirche-bielefeld.de

Foto: Hermann Geller vor der Paul-Gerhardt-Kirche: Widerstand


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