© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/07 15. Juni 2007

CD: Deutschrock
Gnadenlos
Claus-Georg Pleyer

In dem eigenwilligen, aber intelligenten Reclam-Band "Basis-Diskothek Rock und Pop" von Uwe Schütte über die 100 besten Rockplatten aller Zeiten finden sich als deutschsprachige Gruppen neben Kraftwerk und den Einstürzenden Neubauten nur noch die 1979 gegründeten Fehlfarben. Diese haben nun kürzlich nach viereinhalb Jahren ihre neue CD "Handbuch für die Welt" veröffentlicht, die bei V2 Records erschienen ist und mit der sie gerade auch auf Tournee waren.

Die Welt ist für Fehlfarben keine behagliche One World, sondern eher ein kommerzielles öffentliches Netzwerk, in dem sich der Einzelne verheddert, wenn er nicht noch schnell das fehlende Handbuch nachbestellt. "Beherrscht vom Zwang zur Zukunft", ist keine Zeit da "zum richtig Gutsein", heißt es in dem Stück "Politdisko". Obwohl "jetzt schon Frau Pastor predigt" ("Morgengrauen"). Doch das meiste ist "nichts als Show" ("Sprachlos"). Und "während du noch nachdenkst, teilen andere die Welt". Dabei "bauen wir Häuser aus Stahl und Beton doch leben im Kartenhaus" ("Geteilte Welt").

Zwischen Titeln mit ätzendem politischem Spott reihen Fehlfarben wie immer sensibel erzählte Lieder, in denen es um (verhinderte) persönliche Beziehungen, um Liebe und Tod geht. So auch schon auf ihrer ersten LP "Monarchie und Alltag", die wie keine zweite das Anfang der 1980er vom Punk und der frühen Neuen Deutschen Welle geprägte Lebensgefühl in Rockmusik mit deutschen Texten goß, als wäre Deutsch schon immer selbstverständliche Rocksprache gewesen.

Dazwischen hat die Band aus dem kunststudentisch geprägten NDW-Zentrum Düsseldorf eine Geschichte hinter sich gebracht, die genauso sperrig ist wie viele ihrer Songs. Sänger Peter Hein geht bereits 1981, noch vor dem einzigen Verkaufserfolg ausgerechnet ihres damals langweiligsten Stückes "Ein Jahr (Es geht voran)". Der Gitarrist, Thomas Schwebel, übernimmt von nun an auch den Gesang; die Musik wird sanfter. 1989 kommt Hein zurück. Die darauf folgenden Aufnahmen für die "Platte des Himmlischen Friedens" beginnen an dem Tag, an dem in Peking Panzer auf freiheitssuchende Studenten schießen.

Gnadenlos realistisch wie die meisten ihrer Texte, dient auch nach einer weiteren längeren Pause 2002 anscheinend ihre damalige Lebenssituation als Titel der CD "Knietief im Dispo". Diese ist etwas eingängiger als das "Handbuch", das recht düster klingt. Selbst "Das schöne Herz", mit einem Text von Heinrich Heine, bleibt in der immer etwas melancholischen Stimmung der Fehlfarben-Lieder. Leicht ins Ohr geht fast nur der melodische Refrain des Titels "Morgengrauen".

Fehlfarben bleiben ihrer Symbiose aus Punk, Ska, Funk und elektronischem Rock leider etwas zu treu. Die zwölf neuen Songs sind aber dennoch abwechslungsreich, detailverliebt und flott genug, um nicht nur textlich zu fesseln. Wenn auch der wütend-zerbrechliche Sprechgesang nicht dem Wohlklang à la DSDS (Fehlfarben: "Wegwerfstars") entspricht, sondern gerade so weh tut, wie es ehrlicher Rockmusik nun mal zu eigen ist. Sich dem Massengeschmack zu entziehen, das erwartet auch der Klappentext der CD-Hülle, in dem die Fehlfarben punkig-pessimistisch und selbstironisch über den Hörer mutmaßen: "Wahrscheinlich ist er mit seiner Ansicht, die ihn zum Kauf des Produktes veranlaßt hat, ziemlich allein."


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