© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/07 15. Juni 2007

Still und heimlich entsorgt
Der 17. Juni 1953 und das Gedenken: Kein Ruhmesblatt für die Erinnerungskultur in Deutschland
Curd-Torsten Weick

Was auf dem Bild interessierte Nähe suggeriert, ist in Wirklichkeit keine besondere Erfolgsgeschichte. Wenn es um das Interesse Jugendlicher an den Ereignissen des 17. Juni 1953 geht, herrscht zumeist Ahnungslosigkeit vor. Entsprechend ermittelte eine Emnid-Umfrage im Jahr 2003, daß 82 Prozent der jungen Bundesbürger im Alter bis zu 29 Jahren nichts von den Ereignissen in Ost-Berlin, geschweige denn in Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, in Sachsen-Anhalt oder Brandenburg wissen.

Für den Großteil der Schüler ist der 17. Juni 1953 "so fern wie Troja", erklärte der Zeitgeschichtler Edgar Wolfrum und weiß auch warum: "Geschichtsdidaktiker verwiesen darauf, daß der 17. Juni 1953 nur noch in etwa jedem dritten schulischen Lehrplan auftauche. Viele Jugendliche verließen die Schule, ohne jemals vom Aufstand in der DDR gehört zu haben."

Doch auch bei den älteren Deutschen sieht es nicht besser aus. Umfragen zufolge können weniger als die Hälfte der Deutschen den 17. Juni historisch zuordnen. Der Rest dachte - wenn überhaupt - an den Tag des Mauerbaus oder an die Einführung der D-Mark.

Der Volksaufstand in der DDR und das Gedenken daran? Eine Geschichte, die keiner kennt. Selbst Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) zeigt sich ob der rudimentären Kenntnisse entsetzt: "Der Flächenbrand, der sich in alle Regionen der DDR ausbreitete, ist bislang kaum bekannt. Das ist kein Ruhmesblatt - weder für die Geschichtsforschung, der seit 1990 die Quellen aus DDR und Sowjetunion zugänglich geworden sind, noch für die politische Bildungsarbeit und auch nicht für die politische Erinnerungskultur in Deutschland."

Da half es nicht viel, daß im Jahr 2003 die 50. Wiederkehr der Ereignisse besondere Aufmerksamkeit erfuhr. Viele Festreden wurden gehalten, mahnende Worte fielen, und auch die Medien sahen sich bemüßigt, den Jubiläumszug zu bedienen. Doch all die gutgemeinten Dokumentationen und Diskussionsrunden erwiesen sich als Strohfeuer. Selbst das eigens inszenierte ZDF-Dokudrama "Der Aufstand" unter der Regie von Hans Christoph Blumenberg ("Die letzte Schlacht", 2004; "Die Kinder der Flucht", 2006) zog nur 2,4 Millionen Zuschauer in seinen Bann.

Nichtsdestotrotz wertete Thomas Rogalla den Jahrestag in der Berliner Zeitung als Erfolg und stellte unmißverständlich klar: "Es war höchste Zeit, sich auf die Männer und Frauen des 17. Juni zu besinnen, ihnen damit auch ihre Würde zurückzugeben, die ihnen durch Schweigen und Verfolgung genommen war." Und hellsichtig fügte er hinzu: "Das sollte nicht abbrechen. (...) Gehen die Lehrer am 18. Juni wieder zur Routine ihrer Geschichtsrahmenpläne zurück, dann wäre der 50. Jahrestag doch nur ein rundes, folgenloses Jubiläum gewesen."

Was es dann auch war. Die Mahnrufe verhallten. Das Gedenken an den 17. Juni geriet schnell wieder in Vergessenheit. Schlimmer noch, auf Veranlassung des Bundesvermögensamtes wurden die Fotos vom Volksaufstand von der Fassade des Bundesfinanzministeriums in Berlin abmontiert. Da half auch der Hungerstreik des Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft des 17. Juni, Carl-Wolfgang Holzapfel (JF 26/05; 27/05), nichts. Der "Nationale Gedenktag" lag fernab jedes öffentlichen und politischen Interesses.

Dies scheint auch in diesem Jahr seine Fortsetzung zu finden, und so feiert Düsseldorf am 17. Juni 2007 seinen Christopher Street Day. Die Tierversuchsgegner Aachen e.V. feiern ihre vegane Sommerparty mit "leckerem rein vegetarischem Essen", und die Pilzfreunde Südhessen Sulzbach e. V. laden zur Pilzwanderung mit anschließendem Grillen in Pfirschbach (Odenwald) - ein Sonntag wie jeder andere. Die ARD berichtet vom Parteitag der FDP, das ZDF lüftet das Geheimnis der Großen Pyramide, und auch die Hauptstadt Berlin setzt auf Tradition, wenn die Berliner Philharmoniker in der Waldbühne am 17. Juni ihre Konzertsaison beschließen.

Doch möchte die Politik, allen voran der rot-rote Senat in Berlin, nicht fernab stehen oder gar in den Ruch des Verhinderers kommen. Also kündigte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit Ende Mai an, den Platz an der Ecke Leipziger Straße Ecke Wilhelmstraße aufzuwerten, auf dem das Mahnmal des 17. Juni 1953 steht (JF 23/07). Bis zum 55. Jahrestag im nächsten Jahr sollen Informationstafeln entstehen und der Platz vor dem Bundesfinanzministerium den Namen "Platz des 17. Juni 1953" erhalten.

Den Menschen des 17. Juni die Würde zurückgeben

Ein erster Schritt? Oder doch nur beruhigende Worte vor dem nahenden Gedenktag? Oder geht es nicht doch darum, wie Egon Bahr es 2003 formulierte, den 17. Juni 1953 "als gesamtdeutsches Ereignis" zu begreifen zu und sagen: "Wir können stolz sein auf diesen Tag und das, was die Ostdeutschen gezeigt haben. Ohne ihren Mut hätte es weder den 17. Juni 1953 noch den 9. November 1989 gegeben. Der kleinere, bedrängtere Teil hat für das Ganze Geschichte geschrieben."

Warum aber wurde dann der 17. Juni überhaupt als Feiertag abgeschafft? Die einfache Antwort gab die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Marianne Birthler im Deutschlandradio Kultur: "Das war ein Fehler, aber ich habe den damals auch nicht als solchen erkannt. Ich hätte ja widersprechen können, als man darüber diskutiert hat, andere auch. Die Diskussion im Jahre 2003, als wir über den 50. Jahrestag des 17. Juni diskutiert haben, als alle Leute Filme gesehen haben und die ganze Gesellschaft sich damit auseinandergesetzt hat - wenn die schon stattgefunden hätte, glaube ich, wäre der Feiertag auch nicht abgeschafft worden. Der stand wirklich aus verschiedenen Gründen im Osten und im Westen im Schatten. Aber irgendwie gab es auch wenig lautstarken Protest, als er entsorgt wurde."

 

Stichwort: 17. Juni 1953

Schlechte Lebensbedingungen, politische Schikanen und die Erhöhung der Arbeitsnormen kulminierten am 17. Juni 1953 im Arbeiteraufstand. Er begann mit dem Streik der Arbeiter auf den Baustellen der Stalinallee, erfaßte ganz Ost-Berlin und die anderen Industrieorte der sowjetisch besetzten Zone (SBZ). Hunderttausende forderten den Rücktritt der politischen Führung, die Wiederherstellung der deutschen Einheit und freie Wahlen. Sowjetische Truppen warfen den Aufstand unter Einsatz von Panzern blutig nieder. Mindestens 125 Menschen wurden erschossen oder hingerichtet, darunter 41 Sowjetsoldaten, die den Schießbefehl verweigert hatten. Tausende wurden zu längjährigen Haftstrafen verurteilt.

 

Veranstaltungen zum 17. Juni in Berlin:

15. Juni: 9.30 Uhr Gedenkveranstaltung Arbeitskreis 17. Juni 1953. Vor dem Bundesfinanzministerium Leipziger Straße/Ecke Wilhelmstraße.

16. Juni: 18 Uhr Kranzniederlegung Vereinigung 17. Juni 1953 am Freiheitskreuz auf der Potsdamer Straße (Autobahnkreuz Zehlendorf)

17. Juni: 9 Uhr Kranzniederlegung vor dem Bundesfinanzministerium

11 Uhr. Friedhof Seestraße, Bundesregierung/Senat, anschl. (11.30 Uhr) Beisetzung Günther Mentzel, Streikführer 17.Juni.

11 Uhr Kranzniederlegung Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf von Berlin am Freiheitskreuz auf der Potsdamer Straße.

18. Juni: 10 Uhr Kranzniederlegung Steinplatz (Hardenbergstraße) Vereinigung der Opfer des Stalinismus u.a.

Foto: Begegnung in der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönausen: Eine Mitarbeiterin der Gedenkstätte betrachtet ein Foto vom 17. Juni 1953, auf dem Stahlwerker aus Hennigsdorf in die Mitte Ost-Berlins marschieren


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