© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/07 15. Juni 2007

Herder wird ausgemustert
Traditionsbruch: Ohne Not streicht eine Leipziger Schule den Namen des bedeuteten Gelehrten / Stadtparlament stimmt für Umbenennung
Klaus Peter Krause

Mit dem Humanisten Johann Gottfried von Herder mag man sich in Leipzig nicht mehr identifizieren. Jedenfalls nicht mehr an jener Leipziger Mittelschule, die seit 1929 den Namen des gebürtigen Ostpreußen trägt. Vor zwei Jahren entstand die Absicht, sie umzubenennen. Das rief Widerstand hervor. Anstoß für die Umbenennungsabsicht war die Zusammenlegung der Herder-Schule mit einer anderen Mittelschule, 54. Schule genannt, im Jahr 2005. Zu dieser Entscheidung hatten rückläufige Schülerzahlen geführt. Der Unterricht beider zusammengelegter Schulen findet weiterhin im 1898 errichteten repräsentativen Gebäude der Herder-Schule statt. Doch inzwischen ist die Umbenennung in Wiedebach-Schule beschlossen. Warum bloß?

Der neue Name bezieht sich auf Appolonia von Wiedebach (um 1470 bis 1526). Diese Frau ist zwar nicht sonderlich bekannt, aber auch nicht irgendwer; immerhin ist sie Schöpferin vieler frommer Stiftungen gewesen. Sie lebte zuletzt in Leipzig und ist dort auch gestorben. Zur Erinnerung ist ein Platz in Leipzig-Connewitz nach ihr benannt. Dort in der Nähe steht auch die Herder-Schule. Warum dann auch noch diese Schule nach ihr benennen, die zu Wiedebachs Wirken in keinem Zusammenhang steht? Bei Herder dagegen ist das der Fall. Dieser große Mann (1744 bis 1803), der auch Theologe, Philosoph, Schriftsteller und Schulreformer war, ist unter anderem das gewesen, was man heute einen Bildungspolitiker nennt. Im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach war er verantwortlich für das Schulwesen.

Warum die Schule trotzdem umbenannt werden sollte, ist schwer zu ergründen. Die Schulleiterin verwies zunächst auf das Schulaufsichtsamt, dieses auf das Schulverwaltungsamt und dieses zurück auf die Schule, denn die Anregung zur Namensänderung komme von der Schule selbst. So ist es in der Tat. Denn das Leipziger Stadtparlament hatte zwar beide Schulen zusammengelegt, aber offengelassen, wie die Schule heißen sollte. Es überließ der Schule vorzuschlagen, wie sie sich nennen wollte.

"Zu unserer Überraschung hat die Schule den Antrag gestellt, nicht mehr Herder-Schule heißen zu wollen", war aus dem Schulverwaltungsamt zu erfahren. Begründet habe sie den neuen Namen damit, als fusionierte Schule einen kompletten Neuanfang vornehmen zu wollen. Auf der Suche nach einem solchen Namen hat sie auch nach einem Bezug in ihrer örtlichen Umgebung gefahndet und ist dabei auf den Wiedebach-Platz gestoßen. Die Schulverwaltung hat dann geprüft, ob dem Namen irgend etwas Verwerfliches oder politisch Unkorrektes entgegensteht, aber nichts dergleichen gefunden und das Umbenennungsverfahren eingeleitet.

Nachfahre spricht von kultureller Schande

Die Schulleiterin erklärt die Umbenennung so: Die Herder-Schule sei geschlossen. Sie existiere nicht mehr. Der Name hänge an der Schule, nicht am Schulgebäude. Eine Schule habe doch eine gewisse Identität. Werde sie geschlossen, falle der Name weg. Doch mußte die Leiterin einräumen, der Schule habe es freigestanden, sich weiterhin Herder-Schule zu nennen. Warum hat sie es dann nicht getan? Antwort: Es gehe um eine neue Identität für die Schule, nicht um die Person Herder, beileibe nicht, schon gar nicht darum, ihn herabzusetzen. Auch andere Gründe habe es noch gegeben. Daher habe sich die Schulkonferenz für die Namensänderung entschieden. Sie selbst, die Leiterin, habe darin kein Stimmrecht. In der Schulkonferenz seien Lehrer, Eltern und Schüler der Schule paritätisch vertreten. Unter den Namensvorschlägen sei auch der von Herder gewesen, habe aber keine Mehrheit gefunden. So löst sich eine Gesellschaft auf schleichende, kaum merkliche Weise von errungenen Werten, wie sie Herder verkörpert.

Im Schulverwaltungsamt hieß es im März auf Anfrage, die politische Haltung zur Namensänderung sei derzeit "durchwachsen". Das heißt, die Umbenennung war umstritten. Tatsächlich ist der Name des Pädagogen und Schulreformers Herder für die Schule weit überzeugender als der von Wiedebach. Auch trägt ihn das Schulgebäude nun schon bald achtzig Jahre. Wie andere Bürger setzte sich daher auch ein Nachfahre Herders, der in Leipzig lebende Maximilian von Herder, gegen die Umbenennung ein: Ihr den Namen Herder zu nehmen, sei eine kulturelle Schande. Aber der zuständige Stadtbezirksrat hat den neuen Namen befürwortet und als Empfehlung an die Ratsversammlung weitergereicht.

Deren zuständiger Fachausschuß hat sich mit der Umbenennung am 22. März befaßt, aber die Abstimmung mit vier zu vier Stimmen ergab eine Patt-Situation. Die endgültige Entscheidung sollte die Ratsversammlung treffen. Bis dahin hieß die Schule noch 54. Schule/Herder-Schule. Das war ihr vorläufiger Name seit dem 1. August 2005, als diese beiden Schulen zusammengelegt wurden.

Jetzt heißt sie Appolonia-von-Wiedebach-Schule. Der Mehrheitsbeschluß für diesen neuen Namen fiel in der Ratsversammlung am 16. Mai nach kontroverser Diskussion mit den Stimmen von CDU, SPD und den Grünen. Nur Linkspartei und zwei Stadträte von FDP und DSU sprachen sich dagegen aus. Die Schulverwaltung soll nun dafür werben, daß eine andere, bislang namenlose Schule den Namen Herder annimmt.


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