© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/07 15. Juni 2007

Das zerstörte Wirtschaftswunder
Enteignungen: Mitteldeutschland leidet unter den Folgen des Festhaltens an der Bodenreform / Tagung der Allianz für den Rechtsstaat
Christian Rudolf

Was haben das Bruttosozialprodukt (BSP), in Staatsbesitz befindliche ehemalige Industriebetriebe und Bauernhöfe sowie starke Arbeitsmigration aus den neuen in die alten Bundesländer miteinander zu tun?

Seit dem Umsturz in Mitteldeutschland 1989 haben rund 1,6 Millionen Menschen Mitteldeutschland verlassen, und noch im vergangenen Jahr verzeichneten die östlichen Bundesländer einen Wanderungsverlust von 50.000 Personen. In Deutschland werden 60 Prozent des BSP von mittelständischen Betrieben erwirtschaftet, die drei Viertel aller Arbeitsplätze stellen. Die zwischen Rügen und Erzgebirge erbrachte Wirtschaftsleistung und die beruflichen Chancen für Arbeitswillige könnten weit höher sein, wenn die im Zuge der real-sozialistischen "Boden- und Industriereform" zwischen 1945 und 1960 erfolgten Konfiskationen und Zwangskollektivierungen nach der Vereinigung schnell rückgängig gemacht worden wären. Nach dem Zusammenbruch 1945 waren in der sowjetisch besetzten Ostzone zuerst die Großindustrie, später der gesamte Mittelstand entschädigungslos enteignet und verjagt worden; Hunderte von Betroffenen wurden im Zuge des großen Raubes umgebracht, über 120.000 in "Speziallagern" eingesperrt.

Bis heute sind die beschlagnahmten Immobilien nicht restituiert worden, ja, der Rechtsstaat profitiert noch immer von den Unrechtsakten. Der "Göttinger Kreis - Allianz für den Rechtsstaat" mit Beatrix Herzogin von Oldenburg als prominenter Initiatorin an der Spitze hatte aus diesem Anlaß am vergangenen Freitag in Berlin zu einem hochkarätig besetzten Vortragsabend geladen, um den Finger in der Wunde unseres Gemeinwesens zu halten.

Der international renommierte Wirtschaftswissenschaftler Ulrich Blum referierte über das "zerstörte zweite Wirtschaftswunder der Neuen Länder". Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs habe Sachsen und Thüringen das ökonomische Kraftzentrum des Reiches und vor dem Ruhrgebiet den Kern der deutschen Industrialisierung gebildet. Auch der DDR-Mittelstand habe, von der Propaganda geleugnet, ganz enorm zur Produktivität beigetragen.

Infolge der kommunistischen Enteignungen und der verweigerten Rückgabe der Vermögen ist der Osten heute zu einem "Land ohne Eigentümer" geworden. Wo kein Besitz ist, wird auch nichts vererbt, und so bewegt sich das Erbschaftsteueraufkommen der neuen Bundesländer auf niedrigstem Niveau. Die ordnungsökonomischen Fehler der Politik und das Versagen der Justiz führten zu deutlich spürbaren Wohlstandseinbußen und brachliegendem Potential.

Der Aufschwung kommt nicht an

Der regierungsamtlich beschworene Aufschwung komme in Mitteldeutschland jedenfalls nicht an: Seit zehn Jahren gibt es keine Verbesserung im Aufholprozeß gegenüber dem Westen, die Produktivitätsentwicklung zwischen Elbe und Oder "dümpelt bei 70 Prozent herum", die Unternehmensdichte sei noch immer nur halb so groß wie im alten Bundesgebiet, die Betriebe viel zu klein. "Eigentum und Unternehmertum geht alle an!" rief Blum aus und brachte ein Beispiel für die Kulturfunktion von Unternehmern aus seinem Hallenser Umfeld, wo er als Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung (IHW) wirkt. Das Theater in Halle leidet unter dem Mangel an potenten Sponsoren, Beträge von mehr als 10.000 Euro sind nicht zu bekommen. Im Stadtrat gibt es keinen einzigen selbständigen Unternehmer.

Künftig müßten viele kleine Betriebe zusammengelegt sowie die Exportfähigkeit der Güter erhöht werden. Blum schlug einen "Restitutionsbonus" zur Wirtschaftsförderung vor.

Informationen zum Göttinger Kreis im Internet: www.webkreis.org


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