© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/07 08. Juni 2007

Sächsischer Sumpf
Organisierte Kriminalität: Staatsanwälte, Richter und Politiker unter Verdacht
Paul Leonhard

Es geht um Amtsmißbrauch, Kinderprostitution, Immobiliengeschäfte, Bandenkriminalität und Geldwäsche. Und um die Verstrickungen sächsischer Politiker in die Netzwerke der Organisierten Kriminalität. So nennt das Hamburger Nachrichtenmagazin Spiegel im Zusammenhang mit rechtswidrigen Absprachen zwischen dem Rathaus und Immobilienfirmen auch den Namen des amtierenden Leipziger Oberbürgermeisters Burkhard Jung (SPD). Ebenso sind hochrangige Leipziger Mitglieder anderer Parteien inzwischen in die Schlagzeilen geraten.

Besonders brisant: Neben bekannten Politikern aus der Messestadt wird auch Sachsens Generalstaatsanwalt Jörg Schwalm genannt. Ihm wird vorgeworfen, seinerzeit die Einstellung von Ermittlungen in Zusammenhang mit dem sogenannte Paunsdorf-Center im gleichnamigen Leipziger Stadtteil verlangt zu haben. Das Verwaltungsgebäude war Anfang der neunziger Jahre von einem Bekannten des damaligen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU) errichtet und an den Freistaat zu überhöhten Preisen vermietet worden.

Die Süddeutschen Zeitung zitiert einen Aufsatz, in dem der Bonner Strafrechtler Hans-Ullrich Paeffgen Generalstaatsanwalt Schwalm vorwirft, seinerzeit Strafvereitlung im Amt betrieben zu haben. Zwar weist der Beschuldigte die Vorwürfe als "absurd" zurück, aber seinerzeit waren die strafrechtlichen Ermittlungen im Sande verlaufen, und auch ein Untersuchungsausschuß des Landtages wurde weitgehend ausgebremst.

Am Dienstag haben sich die sächsischen Abgeordneten nun auf einer Sondersitzung mit dem mutmaßlichen Netzwerk Organisierter Kriminalität in Sachsen beschäftigt, das offensichtlich in Leipzig besonders eng gestrickt ist. Die sächsischen Regionalzeitungen berichten von Hinweisen auf die Verwicklung von Justizbeamten, Polizisten und Politikern in Straftaten wie Korruption und Kinderprostitution. Zu den wenig appetitlichen Details gehört, daß führende Stadtpolitiker mehrfach tschechische Prostituierte in die Leipziger Büros geholt haben sollen.

Außerdem ist von rechtswidrigen Absprachen zwischen Mitarbeitern der Stadtverwaltung und Immobilienunternehmern die Rede. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Dresden. Die Grundlage bilden dabei Unterlagen des sächsischen Verfassungsschutzes, über die offiziell nichts bekannt ist. Offenbar hat das Amt jahrlang - von September 2003 bis Ende Mai 2006 - die Organisierte Kriminalität beobachtet, ohne darüber in seinen Jahresberichten zu informieren. Es soll sich um mehr als 15.000 Seiten handeln, auf denen von Korruption, Amtsmißbrauch und Kinderprostitution berichtet wird. Die Vorgänge spielen zwar vor allem in Leipzig, aber auch im Vogtland, in Chemnitz und in Dresden. Inzwischen hat das Justizministerium ein erstes Disziplinarverfahren eingeleitet. Betroffen ist der Chemnitzer Amtsgerichtspräsident, der früher als Oberstaatsanwalt in Leipzig tätig war.

Der Justizminister kündigt Konsequenzen an

Sachsens Justizminister Geert Mackenroth (CDU) kündigte weitere Disziplinarmaßnahmen "in Kürze" an. Die Vorgänge um den sogenannten sächsischen Korruptionsskandal seien keine Staatskrise, "aber eine ernsthafte rechtsstaatliche Bewährungskrise".

Das sächsische Innenministerium hat der Staatsanwaltschaft bisher lediglich zwei Dossiers mit weniger als hundert Seiten übergeben. Eine Kopie des ersten, 40seitigen Extrakts aus den Geheimakten erhielt auch Generalbundesanwältin Monika Harms.

Scharfe Kritik gibt es inzwischen an der von Mackenroth eingesetzten staatsanwaltlichen Ermittlungsgruppe zur Aufklärung der kriminellen Netzwerke. Im Mittelpunkt steht dabei der vom Minister als "integrer, handverlesener" Experte genannte Oberstaatsanwalt Wolfgang Schwürzer. Dieser sei in die skandalöse Telefonüberwachung eines Dresdner Journalisten verstrickt, der über eine Haussuchung bei dem unter Korruptionsverdacht stehenden Ex-Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU) berichtet hatte, erinnert André Hahn, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion und Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission. Während sich das Verfahren gegen Schommer ergebnislos dahinschleppe, verfolge die Staatsanwaltschaft lieber die Ermittler wegen angeblichen Geheimnisverrats. Eine mit Schwürzer besetzte Ermittlungsgruppe, so Hahn, würde die ohnehin vorhandenen massiven Zweifel am tatsächlichen Aufklärungswillen der Staatsregierung erhärten.

Foto: Neues Rathaus in Leipzig: Ausgangspunkt für eine Staatskrise?


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen