© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/07 01. Juni 2007

Linke G8-Kritiker: Politische Indoktrination in Subkultur verpackt
Ein großes Woodstock
Harald Fourier

Neulich in einem Kopierladen in Berlin-Friedrichshain: Swenja W. läßt sich von einem Grafiker ein englischsprachiges Plakat, einen Aufruf zum G8-Gipfel, gestalten. Schwarze Schrift auf gelbem Grund. Darin: kein Wort von der "Ausbeutung Afrikas" durch die Industrienationen oder dem "neuen Schäuble-Faschismus". Vielmehr werden europäische Medienschaffende gebeten, sich zur Dokumentation einzufinden. Tenor: großartiges Projekt, viel Action, nette Leute kennenlernen. Unterbringung wie damals bei den Pfadfindern im Zeltlager. Als Swenja mit 100 Plakaten in der Hand zur Kasse stiefelt, sagt der Ladenbetreiber: "Laß mal. Das geht schon in Ordnung."

Mischung aus Love Parade und Freiluftvernissage

Die Kreativität der Gipfelgegner kennt keine Grenzen, die Spendenbereitschaft der Sympathisantenszene offenbar auch nicht. Einerseits fackeln extremistische Chaoten um die Wette: Brandanschläge auf Berliner Polizei- und Privatfahrzeuge. In Hamburg Attacken gegen Finanzstaatssekretär Thomas Mirow und Bild-Chef Kai Diekmann, die an finstere Baader-Meinhof-Zeiten erinnern. Angeblich läuft vor dem G8-Gipfel sogar ein brutaler "Volxsportwettbewerb" (Szenejargon), in welcher Stadt die extreme Linke mehr Anschläge auf "Luxuskarossen, Bullen und Kapitalisten" hinkriegt.

Andererseits sind diese Gewaltausbrüche nur eine Seite der G8-Proteste. Es gibt auch friedliche und einfallsreiche Gipfelgegner, die mehr können als nur Plakate bemalen und Parolen skandieren. Die Linke ist hundertmal kreativer (als die Rechte), wenn es um Protest und Widerstand gegen etwas geht, das sie mit Leidenschaft bekämpft.

Die Rostocker Arbeitsgemeinschaft Move against G8 (Beweg dich gegen G8) zum Beispiel widmet sich dem "kulturellen" Rahmenprogramm für die Demonstranten vor Ort - während des Gipfeltreffens. Und das heißt vor allem Musik: Viele der Bands und Einzelkünstler, die bei den im Rahmen von Move against G8 (Spendenvolumen bislang 14.000 Euro) auftreten, singen deutsch. Juli, Die Toten Hosen und Wir sind Helden sowieso. Aber auch eher noch Unbekannte wie zum Beispiel Madsen putschen ihre jugendlichen Zuhörer mit Liedern wie "Du schreibst Geschichte" ("Denn jetzt und hier - bist du ein Teil von ihr") auf.

Sich aufputschen, das haben die Organisatoren von "Alles nur Zirkus" (www.allesnurzirkus.de) letzte Woche auch schon gemacht. In Potsdam luden Gipfelgegner ab Pfingsten eine Woche lang in ein riesiges Zirkuszelt.

Dort wurde die politische Indoktrination geschickt in linker Subkultur verpackt. So wird der Gipfelwiderstand zu einer Mischung aus Freiluftvernissage und Love Parade. Es gab Vorträge über Themen wie Datensammlung, Standortnationalismus, Antiamerikanismus oder Hartz IV. Dazwischen Kurzfilme, Auftritte von Musik- oder Theatergruppen wie den Wütenden Tomaten.

Den "kulturellen" Höhepunkt der Anti-Gipfel-Party bildet das Konzert "Deine Stimme gegen Armut" mit Herbert Grönemeyer und Bono am 7. Juni. Zehntausende Gäste werden erwartet. Zwischen den Auftritten (darunter auch Fanta Vier, Silbermond, 2Raumwohnung) laufen Kurzfilme über die Lebensbedingungen in den ärmsten P8-Ländern (P = poor, arm). Es wird vor gutmenschlichen Appellen, mehr Steuergelder in die Dritte Welt zu pumpen, nur so triefen.

Auch die Organisatoren der Großdemo ("Eine andere Welt ist möglich") konnten sich im Vorfeld über mangelndes Interesse nicht beklagen. 863 fast ausschließlich friedfertige Veranstaltungen zum Thema G8-Gipfel weist ihre Datenbank aus. Und das sind nicht nur Anreisetermine zur Demo am 2. Juni.

Rund um den Gipfel finden zahlreiche Aktivitäten bei "Gute Nacht, G8" statt, dem größten Freiluftzeltlager (15.000 Plätze) seit dem Papstbesuch 2005. Die Internetseite (www.g8-gute-nacht.de) sieht so unpolitisch aus wie Maoam-Werbung. "Familientickets" werden dort angeboten, als ginge es um eine Reise in den Heidepark Soltau.

In den Zeitgeistmedien wird jedoch weiterhin das Bild der gewalttätigen G8-Gegner dominieren, was die Süddeutsche Zeitung zu der Vermutung veranlaßt: "Durch diese hoch-selektive Berichterstattung werden Massenmedien unfreiwillig zum Handlanger von militanten Aktivisten."

Aber so sind die Gesetze der Medienwelt nun einmal. Bad news are good news. Andererseits gibt es ja auch den friedlichen Protest, der nicht selten von völlig unpolitischen Leuten mitgetragen wird, weil sie das Ganze für ein neues großes Woodstock halten oder wegen Herbert Grönemeyer kommen. Achtzig Prozent der Leute haben wahrscheinlich null Prozent Ahnung, worum es den Gipfelgegnern überhaupt geht (außer natürlich, daß es gegen den bösen Kapitalismus gerichtet ist). Sie alle lassen sich mehr oder minder von der extremen Linken instrumentalisieren. Darüber schreibt keiner was.

Foto: Gipfelgegner: Bewegen und schlafen gegen die Großen Acht


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