© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/07 25. Mai 2007

Anklägerin im Namen des Guten
Claudia Roth: Die Parteichefin der Grünen ist der Extremfall eines auf dem Vormarsch befindlichen Politikertyps
Doris Neujahr

Überall ist der vulgäre Charakter eine Erniedrigung der Freiheit. Prompt gehorcht er seinem Ausdrucksdrang. Noch bevor er weiß, was er empfindet, bekundet er Abscheu, Erstaunen oder Wohlgefallen. Vulgarität ist die Extremform der Unziemlichkeit. Nicht aus Unkenntnis, Gedankenlosigkeit oder Protest mißachtet der Rüpel die Etikette, sondern aus innerer Unfreiheit." Das schrieb kürzlich der Soziologe Wolfgang Sofsky in der Neuen Zürcher Zeitung. Wenn man hinzufügt, daß Unkenntnis, Gedankenlosigkeit und innere Unfreiheit einander nicht ausschließen, dann scheint jeder Satz auf die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth gemünzt. Sofsky sieht im Vulgären die Zerstörung des Sozialen. An der erstaunlichen Karriere der Claudia Roth läßt sich ablesen, daß es zugleich ein prägendes Prinzip der Politik ist.

Es ist bemerkenswert: Einerseits nimmt niemand diese Frau ernst, selbst im eigenen politischen Spektrum nicht. Die sehr linke Junge Welt höhnte über ihre Autobiographie "Das Politische ist privat", Roth sei "begriffslos", von "Denk- und Sprachstörungen" heimgesucht, sie ließe "ihre Gesinnung bis zur Schmerzgrenze im Wind flattern, was darauf schließen läßt, daß sie nichts anderes hat". Wohl wahr, doch schadet ihr das überhaupt nicht. Geradezu liebedienerisch kündigte der NDR ihren Auftritt in einer Sendung an: "Bei 'Zimmer frei' stellt sich Claudia Roth, die den mitunter grauen Politikalltag oft mit dem ein oder anderen individuellen Farbtupfer in Kleidung und Frisur zu bereichern weiß, vor. Und in einer solch bunten Sendung wird sich die Politikerin bestimmt von Anfang an wohlfühlen und natürlich auf viele grüne Karten hoffen."

In Kampagnen läuft sie zur Hochform auf

Ansprüche geistiger und politischer Art werden nicht gestellt, die Medien treffen sich mit der Protagonistin auf dem Claudia-Roth-Niveau und gehen hier mit ihr ein symbiotisches Verhältnis ein. Die Gedanken- und Spracharmut, von ihrer ins Hysterische abkippenden Daueremotionalisierung umrahmt, sind für ihre Medienpräsenz sogar von Vorteil. Denn selbst in politischen Talkshows geht es um keinen qualifizierten Gedankenaustausch, sondern um unterhaltsame Dramaturgie. Claudia Roth hat die in sie gesetzen Erwartungen nie enttäuscht und ist zu ihrem eigenen Markenzeichen geworden. Sogar für den FAZ-Rezensenten ihrer Autobiographie verschieben sich die Maßstäbe: Er mochte "der Courage, Privates als Politik und Politik als Privates zu leben, seinen Respekt nicht versagen".

Wer Roth auf das in die Politik verirrte Dummchen reduziert, unterschätzt sie gründlich. Sie ist fleißig, am laufenden Band sorgt sie für Agentur- und Pressemeldungen. Die sind überwiegend gehaltlos, dafür von Aggressionen getragen: Jemand soll sich entschuldigen, etwas zurücknehmen, sich distanzieren, zurücktreten. Sie ist die Anklägerin im Namen des Guten. In Kampagnen läuft sie zur Hochform auf, stets ist ihre Stimme eine der frühesten und schrillsten. Trotz anerkannter Unzuständigkeit ist sie fast immer die Siegerin. Tendenziell sowieso, oft sogar unmittelbar: Günther Oettinger ist heute ein kastrierter Kater. Gegen die Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann und Jürgen Möllemann hatte sie sogar Anzeigen wegen "Volksverhetzung" gestellt. Die wurden zwar abgewiesen, doch Hohmanns Name ist seitdem in Verruf, und Möllemann ist tot.

Wie erklärt sich ihre starke Stellung? Sie ist der Extremfall eines auf dem Vormarsch befindlichen Politikertyps. Ihn kennzeichnen die frühe politische Betätigung, das abgebrochene Studium und die Tatsache, daß er sein Geld so gut wie nie in einem bürgerlichen Beruf verdient hat. Dafür findet er von Anfang an Wege, seine politischen Launen vom Staat alimentieren zu lassen. Frau Roth trägt heute Escada und läßt sich in einem Mercedes chauffieren - nicht schlecht für eine Studentin der Theaterwissenschaften, für die nach zwei Semestern Schluß war.

"Eichhörnchen auf Ecstasy"

Unwillkürlich fällt einem das Wort von Spengler über die Organisation der Arbeitslosen durch die Arbeitsscheuen ein. Um deren politische Qualität zu kennzeichnen, ist der Begriff "Gesinnungsethiker" ungeeignet, weil dieser noch einen "ethischen" (sittlichen) Anspruch beschreibt. Bei Roth geht es um einen selbstbezogenen, instrumentellen Gesinnungsfanatismus.

Eine Vorbedingung für den Siegeszug dieses Typs war der enorme Einfluß, den linksliberale Intellektuelle auf die Ausformung des politischen Systems der Bundesrepublik nehmen konnten. Die Mittel ihrer Wirksamkeit - im weiteren Sinne sogar ihre Existenzberechtigung - waren Anklage und Kritik. Der liberale Kulturphilosoph Gerhard Szczesny hatte 1971 in dem Buch "Das sogenannte Gute" darauf verwiesen, daß im Windschatten der Intellektuellen sich enthusiastische Zwanzigjährige sammeln, "die zumindest am Anfang der dreißiger Jahre begeisterte SA-Männer und HJ-Leute gewesen wären". Anders als ihre intellektuellen Leitsterne haben sie später auf ernsthafte Arbeit verzichtet, ihre Anklage- und Kritikwut dafür potenziert.

Wer derart kompetenzfrei in die Politik gekommen ist, hat in gesitteten Debatten keine Chance. Weil die ungebildete, aber bauernschlaue Claudia Roth das ganz genau weiß, zerstört sie vorsätzlich - und keineswegs naiverweise - die Grundlagen sachlicher Auseinandersetzungen durch moralischen Alarmismus. Permanent klagt sie an, erschnüffelt und entlarvt Feinde, stellt sie an den Pranger, zeigt sie sogar an. Ihr Jagdinstinkt besitzt eine Intensität, die dem Machtinstinkt von Angela Merkel in nichts nachsteht. Sie wittert, wo sich Blut lecken läßt, dann kreischt sie zum Sammeln und stürmt nach vorn. Harald Schmidt nannte sie "Eichhörnchen auf Ecstasy". Richtig ist: Sie ist das Alphatierchen der Hetzmeute. Wenn man Roths Treiben betrachtet, kann man gar nicht anders, als Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu preisen. In der Bundesrepublik ist sie bislang nur unangenehm, in der DDR wäre sie gefährlich, im Dritten Reich womöglich lebensgefährlich gewesen.

Bei der Etablierung von Gesinnungsgesetzen ist sie mit Begeisterung dabei. Sie bestätigen und institutionalisieren ihr manichäisches Weltbild, machen es immer schwerer angreifbar. Je mehr Volksverhetzungsparagraphen, Antidiskriminierungs- und Antirassismusgesetze es gibt, um so mehr Munition steht ihr zur Verfügung, um so sicherer sind auch Escada-Mode und der Mercedes. Der Genuß, den sie bei der Demütigung ihrer auserkorenen Feinde empfindet, ist ganz allgemein ein Merkmal unserer wohlsituierten, dafür antriebs- und spannungsarmen Zeit. Man denke an den kryptischen Satz von Arnold Gehlen, wonach in Menschen, "die sich gegnerschaftsunfähig machen (...), etwas wie ein kleiner diabolischer Keim (bleibt), der die Freude an der Vernichtung des Wehrlosen bedeutet, das Thema der echten Horrorfilme". Das ist ein weiterer Grund für die Unerbittlichkeit, mit der das Roth-Milieu, das vor dem Islam zurückweicht, sich gnadenlos auf alles stürzt, was nur irgendwie als "rechts" tituliert werden kann.

Vielleicht sollte man ihre Methode einfach gegen sie wenden und Roth, wenn sie mit Nazi- und Antisemitismusvorwürfen hausieren geht, umgehend anzeigen. Warum dreht nicht ein Abgeordneter den Spieß einfach um, analysiert ihr Tun und Reden und macht dann die Szene des Bundestags zum Tribunal? Es ist gar nicht so schwer, Roths Dürftigkeit, Gemeinheit, ihren brutalen Stumpfsinn, kurzum: ihre Vulgarität, zu attackieren. Ein bißchen Mut, der gehört inzwischen allerdings dazu.


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