© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/07 18. Mai 2007

Frisch gepresst

Ostseeraum. Es war einmal eine polnische "See- und Kolonialliga". Diese keineswegs randständige Bewegung erhob in den zwanziger und dreißiger Jahren Anspruch auf deutsche, seit 1919 von den Briten und Franzosen einkassierte Kolonien. Begründung: Man sei schließlich Nachfolgestaat. Denn in Versailles sei Polen mit Posen, Westpreußen und Ost-Oberschlesien ein Teil Deutschlands zugeschanzt worden. Solcherlei Größenwahn bleibt in dem von Norbert Götz, Jörg Hackmann und Jan Hecker-Stampehl edierten Band über "Die Ordnung des Raumes" (Mentale Landkarten der Ostseeregion. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2006, gebunden, 422 Seiten, 49 Euro) zwar unerwähnt, aber vergleichbar Bemerkenswertes liefert der Aufsatz von Stefan Troebst über das polnische Brimborium zur "Vermählung mit dem Meer", die der Chauvinismus eines Roman Dmowski weitgehend erfolglos angestrebt hatte, dann aber 1945 unter dem Patronat der Sowjetarmee in Kolberg gelang und Warschau bis heute seinen Ostsee-Anteil beschert. Troebsts Beitrag zählt zu den anregendsten Aufsätzen dieses Bandes, der sich, auf der Basis des exzessiv "modischen" spatial turn, der "Wiederentdeckung des Raumes", der "Ostseeregion" vornehmlich aus nichtdeutscher Sicht widmet, wobei Polen, Schweden und Finnland dominieren.

MfS an der Uni. Während in den vergangenen fünfzehn Jahren eine Universitätsgeschichte die nächste ablöste, um - meist in Form von Dissertationen - den Fokus auf die "Verstrickungen" des Wissenschaftsapparats in den Nationalsozialismus zu richten, hat sich der Hallenser Historiker Steffen Reichert ohne Scheu vor der archivarischen Kärrnerarbeit als erster an eine Universitätsgeschichte in der zweiten deutschen Diktatur gewagt. Die spätestens seit 1953 stärker unter Kuratel stehenden Bildungsschmieden wurden dann ab 1968 einhergehend mit dem "Prager Frühling" mit ganzen Kohorten von Spitzeln überzogen, die selbst in naturwissenschaftlichen Fakultäten ängstlich jeder Form des "Abweichlertums" nachspürten - um von Opposition gar nicht zu sprechen. Mit Reicherts Studie über seine "Martin-Luther-Universität und das Ministerium für Staatssicherheit 1968-1989" entstand eine ebenso profunde wie entlarvende Totalitarismusstudie, bei deren Lektüre man allerdings den grauen Staub aus Mielkes Aktendeckeln einzuatmen glaubt (Unter Kontrolle. Mitteldeutscher Verlag, Halle/Saale 2007, 2 Bände, gebunden, 533 und 142 Seiten, 46 Euro).


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