© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/07 18. Mai 2007

"Ich hätte mich auch an den Strand legen können"
Der deutsche Ex-Botschafter in Kuba, Bernd Wulffen, plaudert aus dem diplomatischen Nähkästchen während seiner Zeit in Havanna
Paul Leonhard

Kuba benötigt "Privatinitiativen, Dezentralisierung, eigenständige Betriebe und Kooperativen, kleine und mittlere private Unternehmen", denn so könnte das Land "allmählich umgestaltet werden, könnten die Tüchtigen adäquate Arbeitsplätze finden und einen gerechten Lohn erhalten". Der Mann, von dem dieses Rezept stammt, heißt Bernd Wulffen und war von Januar 2001 bis Juni 2005 deutscher Botschafter auf Kuba. Ich selbst habe Wulffen im Dezember 2002 in Havanna kennengelernt, als die Botschaft zusammen mit einigen auf Kuba engagierten Unternehmen einen großen Wohltätigkeitsbasar im Hotel Nacional gab: Ein offener, interessierter Mann, der aber teilweise von naiver Ahnungslosigkeit war, was das tatsächliche Leben der Kubaner betrifft.

Um so interessanter jetzt die Erinnerungen Wulffens in der Hand zu halten. Unter dem Titel "Eiszeit in den Tropen" schildert der Diplomat anhand persönlicher Erfahrungen und Tagebuchaufzeichnungen seine viereinhalb Jahre währende kubanische Zeit. Es sind die Erlebnisse eines Privilegierten, der Machthierarchien und -kämpfe im kubanischen Staat ahnt und eine treffende, teilweise schon eingetretene Charakterisierung der Zeit nach Fidel Castro und der Rolle seines Bruders Raúl Castro gibt, der aber bei seinen Berichten von Reisen quer durch die Karibikinsel auch den Eindruck eines durchschnittlich unwissenden Touristen hinterläßt.

Wulffens Jahre als Botschafter auf Kuba waren eine spannende Zeit. Kurz vor seinem Amtsantritt hatte im Dezember 2000 mit Putin erstmals nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wieder ein russischer Präsident Kuba besucht. Deutschland war durch die große Zahl von Touristen, die sich an den Stränden erholten oder als Individualreisende das Land erkundeten, der wichtigste europäische Devisenbringer. Die Jahre 2001 und 2002 waren davon bestimmt, die wirtschaftlichen und hochschulpolitischen Beziehungen zwischen Deutschland und Kuba zu forcieren. Zahlreiche, teils hochrangig besetzte Delegationen kamen auf die Insel. Die kulturellen Kontakte sollten enger geknüpft und in Havanna ein Goethe-Institut eröffnet werden.

In seinem Buch schildert Wulffen wie diesem Tauwetter rasch eine Eiszeit folgte. Wie Castro äußerst sensibel auf Äußerungen deutscher Politiker reagierte, die mehr Öffnung und Demokratie forderten. Insbesondere die Hörigkeit der EU gegenüber den USA sorgte für einen Kurswandel. Interessant wird es, wenn Wulffen aus dem diplomatischen Nähkästchen plaudert. Etwa wenn es um die kubanische Absage des geplanten Besuches des damaligen Staatsministers Ludger Volmer geht. Oder um die Vorbereitungen einer Reise von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, der unbedingt mit dem charismatischen Fidel Castro zusammentreffen wollte.

Weniger erpicht war die deutsche Politik dagegen auf Begegnungen mit Castro in Deutschland. Als bekannt wurde, daß der "Máximo líder" eine Einladung zur Weltpremiere des Films "Comandante" auf der Berlinale 2003 angenommen hatte, war es Wulffens Aufgabe, ihm diesen Besuch auf diplomatischem Weg "auszureden", um die USA nicht zu brüskieren. Zur "Eiszeit in den Tropen" kam es, als sich die ständige Vertretung der USA immer unverfrorener in die inneren Angelegenheiten Kubas einmischte und die Bush-Regierung die Insel auf die Liste der "Schurkenstaaten" setzte. Auf die Verhaftung von 75 Dissidenten im März 2003 reagierten viele europäische Regierungen mit der Weisung an ihre Botschaften, zu offiziellen Empfängen auch kubanische Dissidenten einzuladen. Castro reagierte, indem er die Kontakte zu diesen Botschaften einfror. Darauf legte die Bundesrepublik auch die kulturellen Beziehungen zu Kuba auf Eis. Berlin sagte seine Teilnahme als Ehrengast während der Internationalen Buchmesse 2004 in Havanna unter Verweis auf Menschenrechtsverletzungen ab. Umsonst warnte der Botschafter, daß es besser wäre, über deutsche Bücher und Kulturveranstaltungen auf die Bevölkerung einzuwirken. Castro triumphierte: Statt der großen deutschen Verlage nahmen vor allem linksgerichtete teil.

Mit ideologischem Starrsinn sah sich Wulffen auf beiden Seite konfrontiert: "Fidel will dich nicht sehen, und Berlin will nichts von dir hören", notiert er: "Ich hätte mich auch an den Strand legen können." Geraumen Platz widmet Wulffen dem eigenen sozialen Engagement. So rühmt er sich, einem Arzt zur Ausreise in die USA verholfen zu haben. Wie aber hat sich der deutsche Botschafter für seine Landsleute eingesetzt? Hat er tatsächlich keine Ahnung, in welcher Art Mitarbeiter der Visastelle während seiner Amtszeit mit Deutschen und ihren kubanischen Ehepartnern umsprangen? Das Kapitel Familienzusammenführung wird komplett ausgeklammert. Dafür wird der Leser mit inneren Konflikten des Botschafters konfrontiert. Mehrmals juckt es diesen bei Begegnungen mit Castro, Themen wie freie Wahlen oder Wirtschaftsreformen anzusprechen. Denn mit ein wenig mehr Öffnung könnte, so Wulffen, Kuba "zu einem Schwellenland mit einer interessanten Zukunft werden".

Dabei müßte Wulffen nach seinen Kuba-Erfahrungen wissen, daß eine schnelle Reformierung der Wirtschaft eine völlige Umkremplung des Sozialsystems bedeutete, was zwangsläufig zu einer weiteren Öffnung der Schere zwischen Arm und Reich führen würde. Überdies werden auf staatlicher Ebene längst Strukturveränderungen vorgenommen, die dem Botschafter offenbar verborgen blieben. Die Dezentralisierung der Stromversorgung beispielsweise. Und die verstärkte Eigenverantwortung von Betriebsleitern, aber auch Provinzregierungen.

Bernd Wulffen: Eiszeit in den Tropen. Botschafter bei Fidel Castro. Ch. Links Verlag, Berlin 2006, gebunden, 320 Seiten, 19,90 Euro


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen