© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/07 18. Mai 2007

In der Hetzmasse
Der "Kampf gegen Rechts" macht archaische Verhaltensmuster sichtbar
Doris Neujahr

An den Pressekampagnen "gegen Rechts", wie sie zuletzt im Zusammenhang mit politisch unverdächtigen CDU-Politikern im Umfeld des konservativen Studienzentrums Weikersheim zu beobachten waren, sind neben den politischen, medienwissenschaftlichen und diskurstheoretischen auch massenpsychologische Aspekte interessant. In den Skandalisierungen, Stigmatisierungen, Demütigungen und, im äußersten Fall, Existenzvernichtungen werden archaische Verhaltensmuster sichtbar, die Elias Canetti in "Masse und Macht" als Strukturmerkmale moderner Massengesellschaften beschrieben hat. Canettis Ausgangskonstellation ist diese: Die aus tradierten Bindungen herausgefallenen, modernen Individuen sind von Entwurzelung und Einsamkeit geprägt. Sie sehnen sich nach dem Moment der Entladung, der alle Trennungen und Unterschiede niederreißt, der alle sich gleich und miteinander verbunden fühlen läßt, ihnen Sicherheit und neue Stärke verleiht. In diesem Augenblick konstituieren die Individuen sich als Masse.

Die Kampagnen machen Nichtigkeiten oder absichtliche Mißverständnisse zum Anlaß für Feindbestimmungen und geschürte Empörung. In rasendem Tempo breitet die Erregung sich aus, erfaßt Medien, Politiker, relevante Persönlichkeiten, Institutionen, Multiplikatoren. Im Extremfall aktivieren sie sogar das Medienpublikum zu Lichterketten oder einem Aufstand der Anständigen: Hunderttausende, ja Millionen liegen sich dann in den Armen, verbunden durch den gemeinsamen Haß auf das genau identifizierte Böse.

Voraussetzung für das Entstehen solcher Massen-Momente sind nach Canetti die "Massenkristalle", "kleine, rigide Gruppen von Menschen, fest abgegrenzt und von großer Beständigkeit, die dazu dienen, Massen auszulösen". Wichtiger als ihr Umfang ist ihre Kompaktheit, Einheit, Entschlossenheit, aber auch ihre strategisch günstige Plazierung. Es läßt sich gut beobachten, wie bestimmte Leitmedien, Politiker, Aktivisten ("moralische Instanzen"), Lobbygruppen sich in der Öffentlichkeit die Bälle gegenseitig zuspielen. Die mediale Dauerpräsenz des Themas erweckt schließlich den Eindruck, hier liege eine objektive Gefahr oder Dramatik vor.

Die zur Hetzmeute gewordenen Massenkristalle behalten ihre Ursprungseigenschaft bei und sammeln während der Hatz immer mehr Anhänger. Die übrigen Medien, Politiker, Organisationen, Kirchen, Aktivisten, Lehrer, Schüler, Studenten, Leserbriefschreiber usw. formieren sich zur Hetzmasse, deren Größe und Wucht am anschwellenden Medienchor und Empörungspegel ablesbar ist. Manchmal wundert man sich, in ihr auch Leute zu finden, von denen man meint, daß sie es doch besser wissen müßten.

Neben der puren Lust an der Massebildung spielen auch Furcht und Opportunismus eine Rolle. Was zum Beispiel - das Beispiel ist natürlich rein fiktiv - ist von einem als integer angenommenen Chefredakteur einer großen Zeitung zu denken, der es duldet, daß in seinem Blatt ein anerkannter Historiker vorsätzlich in den Ruch des Rechtsextremismus gebracht und damit als potentielles Ziel der Hetzmeute gekennzeichnet wird? Würde er aber dem zuständigen Mitarbeiter in den Arm fallen, träfe der Ruch der Rechtslastigkeit ihn schnell selber. Was geht innerhalb der Hetzmasse vor? Canetti: "Ein wichtiger Grund für das rapide Anwachsen der Hetzmasse ist die Gefahrlosigkeit des Unternehmens. Es ist gefahrlos, denn die Überlegenheit der Masse ist enorm."

Der Blick in die Innereien der demokratischen Öffentlichkeit im Stadium ihrer Enthemmung macht schaudern! In diesem Fall ist über die Opfer ein engmaschiges Netz aus Ritualen, Sprachverboten, Assoziationsketten (zum Beispiel: rechts = rechtsextrem = braun = Auschwitz) geworfen, die nach jahrzehntelanger Indoktrination Teil des allgemeinen Bewußtseins sind. Die Opfer haben weder Zeit noch Gelegenheit, dieses Netz aufzulösen.

Die Kampagne gegen Jürgen Möllemann, der sich 2003 vor den Häschern in den Tod flüchtete, war die bislang grausamste. Von den Politikern hatte allein der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler den Mut, Roß und Reiter zu nennen, als er Politik, Behörden und Medien vorwarf, eine "Hetzjagd" wie auf "ein Wild" veranstaltet zu haben. Sogar die Justiz habe daran Anteil genommen, die ihm mit einer Hundertschaft von Untersuchungsbeamten aufgelauert habe und dies "alles wegen einer Sache, die als Strafbefehl hätte erledigt werden können". Das Fernsehen hätten die Behörden dazu gleich noch mitgebracht, "damit alle die persönliche Zerstörung eines Mannes mit ansehen konnten".

Die Medienkonsumenten sind für Canetti die gemilderte, aber in der Distanz um so verantwortungslosere Hetzmasse, ihre verächtlichste und zugleich stabilste Form. Das gilt analog auch für die Hetzmeuten, die ihr die Ziele weisen.

Nachdem das Opfer erledigt ist, zerfällt die Hetzmasse wieder, ihre Mitglieder kehren in ihren früheren, unbefriedigten Zustand zurück. Die Erinnerung an die Glücksmomente steigert aber ihre Bereitschaft und Erwartung, das Massenerlebnis zu wiederholen. So befinden wir uns, während wir von Meinungsfreiheit und demokratischer Öffentlichkeit reden, ständig in der Latenzphase neuer Hetzmassen.


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