© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/07 11. Mai 2007

Teils Sitte, teils Mode
Politische Zeichenlehre XXII: Die Sprache der Haare
Karlheinz Weissmann

Frage: Was haben die letzten polizeilichen Anweisungen für iranische Friseure, eine mumifizierte Haarsträhne Ramses' II. und der neue Lockenansatz der Familienministerin von der Leyen gemeinsam? Antwort: Sie verweisen auf die Rolle des Haars als Symbolträger.

Ein Symbolträger, der in der Gegenwart häufig unterschätzt wird, aber seit alters von Bedeutung war, seit den Zeiten, in denen afrikanische Stämme sich optisch durch die Haartracht unterschieden, Pharaonen ihre Haare im ursprünglichen Rot färben ließen, um damit ungebrochene Jugendlichkeit zum Ausdruck zu bringen, die biblischen Nazoräer ihr Haupthaar wachsen ließen und daraus übermenschliche Kraft gewannen (es sei denn, sie wurden geschoren wie Simson) oder es als Zeichen göttlicher Auserwähltheit trugen wie Johannes der Täufer, Zeiten, in denen der Suebenknoten bei den Germanen als Tapferkeitsauszeichnung galt und die Römerinnen sich nach nordischem Vorbild blondierten. Grenzen zwischen Sitte, Mode und Markierung haben sich dabei schon sehr früh verwischt.

Die Frisur zählt zu den Körpersymbolen, wobei sie die Mitte hält zwischen den permanenten und den flüchtigen. Zu letzteren gehören vor allem Bemalungen oder vorübergehende Dekoration mit Pflanzen, Federn oder anderen Tierteilen, zu ersteren die Verstümmelungen, Schmucknarben oder Tätowierungen. Während Bemalung, Tätowierung, Narbung und Verstümmelung als Gruppenkennzeichen in Europa schon seit der Antike zu Randphänomenen wurden (die Römer betrachteten die britischen "Pikten", also picti, das heißt mit Bildern - Tätowierungen - Gezeichneten, erkennbar irritiert), erhielt sich die Bedeutung von Haar- und Bartschnitt für die politische Symbolik bis in die Gegenwart.

Das Spektrum reicht vom langen Haar der Adligen gegenüber dem Glatzkopf der Sklaven im Mittelalter über Locken von Königs- und "Rundkopf" der Parlamentspartei im englischen Bürgerkrieg, Zopf oder Zopflosigkeit im Zeitalter der Restauration, geglättetem Haar oder "Afrolook" der Schwarzen im Nordamerika des 20. Jahrhunderts bis zur Langhaarigkeit der linken Rebellen und der Kurzhaarigkeit des Establishments in der letzten Jugendrevolte.

Der italienische Regisseur und Kulturkritiker Pier Paolo Pasolini (1922-1975) hat sich darauf bezogen in einem Text seiner "Freibeuterschriften". Da heißt es unter dem Titel "Die 'Sprache' der Haare", daß die Langhaarigkeit gerade eben noch Symbol des "demokratischen Prinzips" schlechthin gewesen sei, dann Kennzeichen des Progressiven und überhaupt Ausdruck des Antikonformismus. Zu Beginn der siebziger Jahre habe sich aber ein Wandel vollzogen. Lange Haare seien Teil eines neuen Chics geworden. Das Showbusiness übernahm sie und schließlich auch die Bourgeoisie: "So drücken heute", das heißt 1975, "die langen Haare mit ihrer unartikulierten und zwanghaften Sprache nichtverbaler Zeichen und ihrer halbstarken Bildlichkeit genau das aus, was Fernsehen und Werbung ausdrücken: eine Welt, in der ein Jugendlicher ohne lange Haare absolut unvorstellbar geworden ist und für die Interessen der Herrschenden geradezu skandalös wäre."

Pasolinis Widerwille entzündete sich auch an der Wahrnehmung, daß außerhalb der westlichen Welt, in den "unterentwickelten" Regionen, dieses neue universale Muster in ungeheurem Tempo übernommen wurde und seine ursprüngliche subversive Kraft ganz und gar verloren hatte. Im persischen Isfahan, so berichtete er voller Ekel, seien ihm Langhaarige begegnet, deren Aussehen nichts anderes bedeutete als politische Travestie, Unterwerfung unter ein Konsumdiktat.

Pasolinis Kulturkritik berührt sich seltsam mit den Vorgaben der iranischen Regierung heute, die den Männern das Tragen von Irokesenschnitt verbietet oder das Zupfen der Augenbrauen, das Verwenden von Haargel oder Make-up. Es geht hier wie dort um Ernsthaftigkeit in der Betrachtung von etwas, das uns sonst nur noch als mehr oder weniger wichtige Äußerlichkeit erscheint.

Die Frisur Ursula von der Leyens jedenfalls ist für die meisten ein auf das Individuum bezogenes Phänomen, die Nachricht über die Modifikation eine Neuigkeit bloß deshalb, weil es interessant erscheint, wenn parallel zur Übernahme linker Programmpunkte durch die Unionspolitikerin der konservative Habitus "lockerer" wird.

Aber vielleicht unterschätzen wir die weiterwirkende Macht eines so mächtigen Symbols wie des Haupthaars.

Die JF-Serie "Politische Zeichenlehre" des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.


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