© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/07 11. Mai 2007

Tony Blair abgestraft
Großbritannien: Wahlerfolg für schottische Linksnationalisten / Tory-Opposition gewinnt in England und Wales
Martin Schmidt / Jörg Fischer

Die Parlamentswahlen in Schottland und Wales sowie die am 3. Mai gleichzeitig in Teilen Englands abgehaltenen Kommunalwahlen werden die politische Landschaft Großbritanniens nachhaltig verändern. Die regierende Labour-Partei wurde klar abgestraft - für den Irak-Krieg, den Parteispendenskandal sowie die Tatsache, daß Premier Tony Blair längst zum Auslaufmodell geworden ist.

In Schottland, wo Blair geboren wurde, erlebte die dort seit Jahrzehnten führende Partei ein Debakel: In einem Wahlchaos sondergleichen wurde die SLP von der Scottish National Party (SNP) überholt. Das komplizierte Wahlsystem (Direkt- und regionales Verhältniswahlrecht) und etliche Neuerungen führten zu technischen Problemen; Zehntausende Briefwahlzettel wurden für ungültig erklärt, weil sie nicht richtig ausgefüllt waren. Alex Salmond, der 53jährige SNP-Chef und designierte Erster Minister Schottlands, kündigte für den Fall der Regierungsübernahme bereits die Einsetzung einer Untersuchungskommission an.

Doch trotz allen Jubels ist der Triumph der SNP nicht perfekt, denn die Mandatsgewinne gingen zu Lasten der potentiellen Koalitionspartner. Zwar errang man mit 47 Mandaten (+20) einen Sitz mehr als Labour (-4), blieb aber weit unter der erforderlichen Mehrheit von 65 Sitze. Die schottischen Sozialisten (SSP) stürzten von 6,9 auf 0,6 Prozent ab und verloren alle Mandate. Die Grünen (SGP) haben statt 7 nur noch 2 Mandate. Daher ist die SNP auch auf die 16 Abgeordneten der Liberaldemokraten (SLD/-1) angewiesen. Die regierten in Edinburgh bislang mit der SLP. Zwar würden sie sich gern von der mit einem Verliererimage behafteten Blair-Partei lösen, doch die von der SNP für 2010 versprochene Volksabstimmung über eine Unabhängigkeit Schottlands wollen sie nicht mittragen.

Die Tories unter Oppositionsführer David Cameron sehen diese schwierige Regierungsbildung, für die bis Ende Mai Zeit bleibt, gelassen. Zwar verzeichnete man in Schottland geringe Verluste, dafür gab es bei den englischen Teilkommunalwahlen riesige Erfolge. Die Konservativen gewannen 5.243 Mandate - 898 mehr als bisher. Englandweit kamen die Konservativen auf etwa 40 Prozent, Labour auf etwa 27 Prozent und die LD auf 26 Prozent. Die Grünen kamen - trotz des rigiden Mehrheitswahlrechts - immerhin auf 62 Mandate (+17). Die verfemte British National Party (BNP) gewann 10 Sitze (+1). Die Hochburgen der BNP liegen in den Midlands, wo sie wegen ihrer Kritik an der Ausländerpolitik auch von bürgerlichen Schichten unterstützt wird. In Schottland erreichte die rechte BNP mit 1,2 Prozent immerhin doppelt so viele Stimmen wie die SSP.

Im 60sitzigen Parlament von Wales gibt es weniger Änderungen. Labour ist weiter mit 26 Sitzen (-4) die stärkste Partei. Die linksnationale Plaid Cymru (PC), die bis vor sieben Jahren noch die Unabhängigkeit von Wales forderte, steigerte sich von 12 auf 15 Mandate. Die Tories gewannen 12 (+1), die LD stagnierte bei 6 Sitzen. Weiter ist ein Unabhängiger im Parlament.

Auch wenn die SNP keine eigene Mehrheit hat, spricht doch ausgerechnet im 300. Jubiläumsjahr des "Act of Union" (des Zusammenschlusses Englands und Schottlands zum Vereinigten Königreich) manches für eine Unabhängigkeit des britischen Nordens. Schon jetzt besitzt das 1999 geschaffene Regionalparlament große Befugnisse. Ihm unterstehen das Gesundheits-, Verkehrs- und Bildungswesen, die Justiz und Polizei sowie die Wirtschaftsentwicklung, die Umwelt- und Agrarpolitik. Man verfügt über die Budgethoheit und das Recht, die Einkommensteuer zu verändern. Nur für die Außen- und Verteidigungspolitik ist London zuständig.

Öl-Milliarden sollen die Unabhängigkeit finanzieren

Laut einer Umfrage des ICM Research Institute sprechen sich 52 Prozent der fünf Millionen Einwohner Schottlands für die Eigenstaatlichkeit aus - und 59 Prozent der Engländer hätten nichts dagegen. Schottland erscheint ihnen als ökonomischer Bremsklotz, zumal das dortige Haushaltsdefizit dreimal so hoch ist wie das ganz Großbritanniens. Viele sind genervt, daß die Schotten über die britische Schiene auch bei englischen Fragen mitentscheiden dürfen, während man sich in Edinburgh hartnäckig gegen jede Einmischung zur Wehr setzt. Außerdem erhält der Durchschnittsschotte pro Jahr umgerechnet etwa 2.100 Euro mehr an Zuwendungen als der Engländer. Schottland leiste sich dank Subventionen aus London einen Wohlfahrtsstaat nach skandinavischem Vorbild.

SNP-Politiker halten dem den Hinweis auf die Öl- und Gasvorkommen entgegen. Ein unabhängiges Schottland sollte daher allein über die Nordseeschätze verfügen können. Tatsächlich fließen bislang sämtliche Ölgewinne (etwa 15 Milliarden Euro pro Jahr) nach London. Die SNP-Strategen wollen die Zukunft dagegen lieber nach dem Vorbild Norwegens sicherstellen: Die Einnahmen der wohl nur noch bis 2020 sprudelnden Energiereserven sollen in einen staatlichen Petrofonds fließen.

Schottland könnte künftig die Steuern für Firmen senken und dann, wie die erfolgreiche Republik Irland, von neuen Firmenansiedlungen profitieren, meint SNP-Wahlkampfchef Angus Robertson. Doch materielle Erwägungen seien nur zweitrangig, denn "ein Volk, das unabhängig sein will, darf man nicht nach der Wirtschaftlichkeit fragen".

Foto: Tony Blair im Wahlkampf: Nicht nur die Schotten, sondern auch eine Mehrheit der Engländer hätte nichts gegen die Abspaltung Schottlands


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