© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/07 11. Mai 2007

"Euch wählen wir erst recht!"
Am Sonntag wählt Bremen. Laut Umfragen ist ein konservativer Überraschungserfolg möglich
Moritz Schwarz

Herr Siegerist, warum ist die Wahl zur Bremer Bürgerschaft am kommenden Sonntag über die Grenzen der Stadt hinaus für Konservative interessant?

Siegerist: Sollte unserer konservativen - sagen Sie meinetwegen auch rechtskonservativen, ich habe mit dem Begriff "rechts" kein Problem - Wählerinitiative "Bremen muß leben" der Einzug gelingen, und ich zweifle nicht daran, dann wird sich die Parteienlandschaft in Deutschland verändern!

Ein großes Wort.

Siegerist: Zum ersten Mal seit dem politischen Ende der DP und des BHE, also der Deutschen Partei und des Blocks der Heimatvertriebenen und Entrechteten, in den Sechzigern und vielleicht mit Ausnahme der Republikaner in Baden-Württemberg, wird dann wieder das ganze Spektrum, von demokratisch links bis demokratisch rechts, in einem deutschen Parlament vertreten sein.

Laut Infratest Dimap sind vier Prozent der Wähler entschlossen, am Sonntag für "Bremen muß leben" zu stimmen, 13 Prozent könnten sich vorstellen "den Konservativen ihre Stimme zu geben".

Siegerist: Bekanntlich haben viele Leute Scheu, sich offen zu rechten Parteien zu bekennen, außerdem war unsere Wahlkampfmaschine zur Zeit der Umfrage noch nicht einmal zu zwanzig Prozent angelaufen. Wir rechnen daher mit einem Ergebnis von 15 Prozent, unser grundsätzliches Wählerpotential liegt sogar bei 25 bis 30 Prozent.

Und wenn Sie doch unter fünf Prozent bleiben?

Siegerist: Darüber denken wir nicht nach, denn das wird nicht der Fall sein.

Bei der letzten Bremen-Wahl 2003 sagte sich die wiedergegründete Deutsche Partei selbst satte 35 Prozent voraus - und holte 0,4.

Siegerist: 13 Prozent ist keine Selbsteinschätzung, sondern basiert auf einer Umfrage von Infratest Dimap!

Woher sollen diese Stimmen kommen?

Siegerist: Wir werden erstens viele Nichtwählerstimmen ziehen, zweitens erstaunlich viele konservativ-sozialdemokratische Wähler gewinnen.

"Bremen muß leben" ist eine bürgerlich-konservative Gruppierung, wollen Sie also nicht vor allem der CDU Stimmen abjagen?

Siegerist: Wir rechnen von dieser Seite nur mit zwei bis drei Prozent. Unser Hauptkonkurrent sind eindeutig die Linken, denn in Bremen haben viele kleine Leute, die durchaus bürgerliche Vorstellungen von einer sicheren, sauberen, florierenden Stadt haben, in der die Menschen Gemeinsinn und Lokalstolz zeigen, lange die Sozialdemokraten gewählt. Mit der heutigen Multikulti-SPD mit ihrem Hang zu den Gesellschaftsexperimenten der Grünen und radikalen Linken können sie aber nichts mehr anfangen. Schon auf unserer Kandidatenliste finden Sie konservative ehemalige Sozialdemokraten: Auf Platz zwei etwa steht eine ehemalige Genossin, die die SPD wegen deren Kurs in der Asyl- und Ausländerpolitik verlassen hat. Es ist kein Geheimnis, daß viele SPD-wählende Arbeiter viel weiter rechts stehen als die inzwischen zahlreichen linksliberalen CDU-Mitglieder.

Früher haben Sie stets die CDU unterstützt.

Siegerist: Es gab in den siebziger Jahren kaum einen CDU-Ministerpräsidenten, für den ich nicht den Wahlkampf gemacht habe - dazu kommen rund 500 CDU-Bundestags- und Landtagsabgeordnete. Aber die Union ist - spätestens seit Angela Merkel - eine sozialdemokratische Partei geworden. Politiker wie Friedrich Merz oder Jörg Schönbohm haben leider längst resigniert. Ich darf Ihnen verraten, daß wir bereits in Kontakt mit einigen konservativen CDU-Politikern stehen, die mit dem Merkel-Kurs nicht mehr einverstanden sind.

Sie wollen andeuten, bei einem Erfolg könnte es Übertritte von seiten der CDU geben?

Siegerist: Ja.

Sie sprechen von Bremer CDUlern?

Siegerist: Ich spreche von bundesweit bekannten Unionspolitikern.

Nämlich?

Siegerist: Sicher haben Sie Verständnis, daß ich dazu jetzt noch nichts sagen kann.

Wie bekannt sind diese Personen?

Siegerist: Wohlbekannte, derzeit aktive Mandatsträger aus Landtagen und aus dem Bundestag.

Schwer zu glauben. - Oder wollen Sie nur Aufmerksamkeit erregen?

Siegerist: Sie werden ja sehen.

Wann treten Sie den Beweis an?

Siegerist: Zu gegebener Zeit.

Also planen Sie bei einem Erfolg in Bremen die bundesweite Ausdehnung?

Siegerist: Wir haben stets deutlich gemacht, daß es uns nicht nur um Bremen, sondern um ganz Deutschland geht.

Die Schill-Partei ist genau daran gescheitert.

Siegerist: Ich behaupte das Gegenteil: Schill ist gescheitert, weil er sich mit unqualifizierten Leuten nur auf Hamburg konzentriert hat. Der Berliner CDU-Ex-Innensenator Heinrich Lummer war damals bereit, mit Schill zusammenzuarbeiten, und wenn es auf diese Weise gelungen wäre, von Hamburg auf Berlin überzugreifen, dann hätten wir heute schon eine veränderte Parteienlandschaft in Deutschland.

Bevor Sie den Sprung über Bremen hinaus schaffen, müßten Sie einen Erfolg erstmal sichern. Schill holte 2001 in Hamburg sensationelle 19,4 Prozent - und flog doch schon bei der nächsten Wahl mit 3,1 Prozent in hohem Bogen aus dem Parlament.

Siegerist: Schill-Partei und "Bremen muß leben" sind nicht zu vergleichen: Schill wurde von einer Medienwelle zum Erfolg getragen, hatte aber keinen Apparat, kein erfahrenes Personal, kaum finanzielle Ressourcen. Bei uns ist es umgekehrt: Zwar steht uns die Presse feindlich gegenüber, aber wir haben - und das ist entscheidend - eine solide Organisation und geordnete Finanzen, um die ich aber täglich kämpfen muß.

Wie viele andere auch scheiterte Schill daran, daß es ihm nicht gelang, Protestwähler in Stammwähler zu verwandeln. Warum sollte Ihnen das gelingen?

Siegerist: Es gibt sieben Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, wenn man auf Dauer Erfolg haben will: ein tragfähiges Programm, eine gute Führungsmannschaft, gutes Stammpersonal, gefüllte Kriegskassen, eine funktionierende Organisation und eine eigene Publikation wie unsere DZ, die Deutsche Konservative Zeitung, und den richtigen Zeitpunkt. Das alles ist bei uns gegeben. Ich bin deshalb zuversichtlich.

Müssen Ihre Wähler nicht Angst haben, daß Sie angesichts Ihrer bundespolitischen Ambitionen die Alltagsarbeit in Bremen vernachlässigen?

Siegerist: Wir haben eine Top-Mannschaft für Bremen aufgestellt, darunter viele Einheimische. Ein Teil der Leute wird sich um Bremen kümmern, ein Teil um den nächsten Schritt. Das ist eine gute Arbeitsteilung.

Sie streben eine Teilnahme an der Bundestagwahl 2010 an?

Siegerist: Ausdehnung heißt nicht, von heute auf morgen bundesweit anzutreten. Es bedeutet auch nicht zwangsläufig die Teilnahme an der nächsten Bundestagswahl. Wir werden Schritt für Schritt machen, vielleicht Landtagswahl für Landtagswahl, wobei wir in großen Flächenländern, die unsere Kräfte übersteigen, zunächst nicht antreten werden. Auf diesem Weg liegt übrigens auch die Europawahl 2009. Europawahlen sind viel einfacher erfolgreich zu bestreiten als Bundestagswahlen und bilden andererseits für einen Erfolg bei letzteren eine gute Voraussetzung.

Die nächste Etappe wäre dann die Wahl in Hamburg im Frühjahr, da die übrigen drei Landtagswahlen 2008 in Flächenstaaten - Niedersachsen, Hessen und Bayern - stattfinden. In der Hansestadt treten aber auch der ehemalige CDU-Justizsenator Roger Kusch mit seiner Formation Heimat Hamburg (JF 49/06) und der ehemalige Schill-Innensenator Dirk Nockemann mit seiner Deutschen Zentrumspartei (JF 22/06) an, letzterer unterstützt von dem Publizisten und Islam-Kritiker Udo Ulfkotte.

Siegerist: Da muß man sehen, ob man verhandelt oder ob man gegeneinander antreten muß.

Ihre Verhandlungen mit Roger Kusch sind ja bereits gescheitert.

Siegerist: Die permissive "Heimat Hamburg" und die konservative "Bremen muß leben" sind weltanschaulich einfach nicht unter einen Hut zu bekommen: Wir haben eben fundamental andere Auffassungen etwa zu den Themen Babymord im Mutterleib und Sterbehilfe.

Die Deutsche Zentrumspartei definiert sich selbst als "Partei der Mitte". Paßt das zur rechten "Bremen muß leben"?

Siegerist: Ich bin da nicht allzu zuversichtlich. Meine politische Erfahrung sagt mir sowieso: Der Stärkste setzt sich durch, die anderen folgen nach.

Wie sieht Ihre Strategie nach einem möglichen Wahlsieg aus?

Siegerist: Strategisch versteht sich "Bremen muß leben" als ein konservatives Korrektiv in einer bürgerlichen Koalition. Allerdings denken wir derzeit eher an Opposition, nicht nur weil in Bremen rein rechnerisch die CDU zu schwach ist, sondern auch, weil man in einer Koalition sicher sein muß, wesentliche Inhalte umsetzen zu können, da man sonst in der Regierung verschlissen wird.

Sie waren im Wahlkampf zahlreichen Angriffen unter der demokratischen Gürtellinie ausgesetzt.

Siegerist: Das stimmt, aber erstaunlicherweise haben sich diese Maßnahmen als kontraproduktiv erwiesen. Rückbetrachtend muß man sagen: Unsere beste Wahlkampfhilfe waren die unfairen Methoden der Etablierten, Linken und der Presse. Zunächst hat man versucht, uns zu verhetzen, mußte jedoch feststellen, daß uns das vor allem Popularität bringt. Dann hat man sich aufs Totschweigen verlegt, was aber dazu führte, daß wir, da wir unseren Wahlkampf mit erheblichem Personal- und Materialeinsatz führen, beim Bürger das letzte Wort in der Darstellung unserer Ziele und Inhalte haben. Nicht zuletzt hat uns das unfaire Verhalten der Parteien, Medien und der Stadt sehr viele Sympathien gebracht. Als SPD, Linkspartei und CDU, nicht jedoch "Bremen muß leben" im Bremer Rathaus Wahlkampfveranstaltungen durchführen durften, haben viele Bürger wie bei einem Fußballfaul reagiert: "Pfui, das war aber nicht fair!"

Sie bezichtigen die Bremer Presse, nicht berichtet, sondern Politik gemacht zu haben.

Siegerist: Das war ganz deutlich. Da gab es Absprachen linker Journalisten, geradezu gesteuert über sozialdemokratische Relais-Stellen, die regelrechte Direktiven ausgegeben haben. Es ist doch kein Zufall, daß keine einzige Zeitung unsere Anzeigen angenommen hat - während Wahlkampfanzeigen der Kommunisten ohne Bedenken gedruckt wurden. Man hat Hotelchefs entlassen, die uns Räume zur Verfügung gestellt haben, hat andere bedroht, sie gefährdeten ihre wirtschaftliche Existenz, wenn man uns zu Gast nähme.

Wie lautet also Ihr Fazit, war dieser Wahlkampf demokratisch?

Siegerist: Die EU schickt Wahlbeobachter nach Afrika oder Weißrußland - sie hätte welche nach Bremen schicken sollen! Dieser Wahlkampf hat gezeigt, daß die Demokratie bei uns nur noch in Ansätzen gewährleistet ist. Mein Fazit lautet: Das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit ist in Bremen für Konservative massiv eingeschränkt, das Recht auf Gleichbehandlung ist gar längst Makulatur! Ohne unser erhebliches personelles und finanzielles Potential, ohne die langjährige Erfahrung unseres Unterstützervereins Die Deutschen Konservativen in Sachen politische Kampagnen hätten wir das niemals durchstehen können. Konservative Normalbürger ohne diese Professionalität, die sich gemäß unseres gesellschaftlichen Selbstverständnis als demokratischer Bürgergesellschaft naiv durch Gründung ein neues Parteiprojekts politisch einbringen möchten, wissen gar nicht, was ihnen blüht, und haben - so desillusionierend es ist - bei uns keine Chance!

Immer wieder wird Ihnen vorgeworfen ein "Rechtsextremist" zu sein: Im Wahlkampf wurde Ihnen wiederholt eine Verurteilung wegen Volksverhetzung für eine 1997 getätigte Äußerung über rumänische Zigeuner vorgehalten.

Siegerist: Wissen Sie, ich habe Zigeunerkinder aus Rumänien auf eigene Kosten herausgeholt und bei uns in Deutschland operieren lassen, und ich habe viele Jahre dort ein Waisenhaus für Zigeunerkinder finanziert. Als ich dann in Hamburg gesehen habe, wie diese armen Kinder zum Betteln mißbraucht werden, ist mir die Sicherung durchgebrannt und ich habe recht drastische Worte über die Verantwortlichen verloren, ebenso wie über das Zigeuner-Betteln in Deutschland insgesamt. Ich bin mit dieser Verurteilung immer offensiv umgegangen, und wenn ich den Bremer Bürgern im Wahlkampf erklärt habe, was tatsächlich dahintersteckt, habe ich stets Sympathie geerntet und den Ansporn: "Euch wählen wir jetzt erst recht!"

 

Joachim Siegerist ist Spitzenkandidat von "Bremen muß leben" und Vorsitzender des Vereins Die Deutschen Konservativen in Hamburg. Der ehemalige Journalist, Reporter der Bild-Zeitung, Chefreporter der Hörzu, wirbt seit Jahren für die Etablierung einer konservativen Bürgerlobby. Dazu hat er verschiedene politische, publizistische und bürgerschaftliche Projekte gegründet. Geboren wurde er 1947 in Neukirchen / Nordfriesland.

"Bremen muß leben": Die konservative Wählerinitiative wurde im Januar 2007 als politischer Landesverband des Vereins Die Deutschen Konservativen gegründet.

Kontakt und Informationen: An der Finkenau 111, 28239 Bremen, Telefon: 04 21 / 986 06 28, im Internet: www.bremen-muss-leben.de 

 

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