© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/07 04. Mai 2007

Hilflos gegenüber der Weltkriegsgefahr
Während der Kuba-Krise, eines der gefährlichsten Momente des Kalten Krieges, mußte sich die Uno auf die Zuschauerrolle beschränken
Paul Leonhard

Welchen Einfluß konnten die 1945 als Friedensinstrument gegründeten Vereinten Nationen in ihrer Geschichte geltend machen? In seinem Buch "Die Kubakrise - Uno ohne Chance" konzentriert sich Daniele Ganser auf einen der gefährlichsten Momente des Kalten Krieges.

Mitte Oktober 1962 hatten die USA entdeckt, daß auf der karibischen Insel sowjetische Atomraketen stationiert und weitere auf dem Weg nach Kuba waren. Diese Waffen bedrohten nicht nur US-Territorium, sondern zerstörten auch das ausgewogene militärische Gleichgewicht. Ohne Rücksprache mit der Uno oder den europäischen Verbündeten ordnete US-Präsident John F. Kennedy eine Blockade des Seeweges an - eine Entscheidung, die beinahe zum nuklearen Schlagabtausch zwischen den beiden Supermächten geführt hätte. Erst im letzten Augenblick entschied sich der sowjetische Gegenspieler Nikita Chruschtschow, die Blockade nicht zu durchbrechen.

An den Sicherheitsrat wanden sich die USA erst nach dem Blockadebeschluß. Da die Realpolitik bereits gehandelt hatte, sah sich die Uno gezwungen, diese Aktion zu verteidigen. Weder Kuba noch die Sowjetunion hätten jemals den Sicherheitsrat so effektiv für ihre Interessen genutzt, wie es die USA taten, schreibt Ganser. Die gegensätzlichen Interessen - einerseits Abzug der Raketen und andererseits die Aufhebung der Blockade - hemmten zudem den Sicherheitsrat. Die Uno könne nur so effektiv wirken, wie es ihre Mitglieder zulassen, folgert Ganser. Der Sicherheitsrat vertrete das, was seine mächtigsten Mitglieder wünschen. Eine zu frühe Einberufung des Sicherheitsrates hätte für die USA die Gefahr gehabt, daß eine Resolution verabschiedet wird, die alle Atomwaffen-Stützpunkte auf ausländischem Territorium verbietet. Daran waren die USA, die atomare Raketen in Italien, Großbritannien und in der Türkei stationiert hatten, nicht interessiert. Außerdem hätte der Sicherheitsrat, so Ganser, die USA niemals autorisiert, Luftangriffe oder eine Seeblockade durchzuführen, da beides Kriegsaktivitäten gegenüber dem souveränen Kuba waren.

Ganser vergleicht in seinen Forschungen auch die Aktionen der verdeckten Kriegführung mit den Debatten der Diplomaten in der Uno. Und er beweist, daß es eine kubanische Raketenkrise niemals gegeben hätte, wenn die USA nicht seit der Machtübernahme Fidel Castros 1959 permanent Kuba attackiert und gleichzeitig die Vereinten Nationen sabotiert hätten. So verhinderten die USA mehrfach, daß Klagen Kubas vor dem Sicherheitsrat verhandelt wurden. Die bisherige Gesamtdarstellung der Rolle der USA während der Kubakrise sei weitaus positiver, als es den Tatsachen entspricht, schreibt Ganser. Während Chruschtschow und Castro nach einem Appell von Uno-Generalsekretär U Thant Kompromißbereitschaft signalisieren, tat Kennedy nichts zur Entschärfung der Situation - ja, er ließ sogar insgeheim die Sabotagehandlungen gegenüber Kuba intensivieren. Die USA hätten in allen drei Phasen des Konfliktes - dem Auftakt, der eigentlichen Raketenkrise und bei den Nachwirkungen - ihre verdeckte Kriegführung gegen Kuba fortgesetzt und die Vereinten Nationen blockiert.

Ganser räumt auch mit der weitverbreiteten Ansicht auf, die USA hätten für den Abzug der Sowjet-Raketen einem Angriff auf Kuba abgeschworen. Seit 1992 zugängliche Dokumente beweisen sogar, daß Regierungsbeamte die Raketenkrise als Chance sahen, Castro zu stürzen. Ein Nicht-Invasionsversprechen vor dem UN-Sicherheitsrat, so Ganser, hätte ein Signal für einen Neuanfang sein können. Die Ineffizienz der Uno während der Kubakrise liege nicht in ihrem System begründet, sondern sei dem individuellen Versagen ihrer Mitglieder geschuldet. Die USA hätten sich nie um die Charta der Vereinten Nationen geschert, sondern stets nach ihren kühl kalkulierten geostrategischen Interessen gehandelt. Als neuere Beispiele führt Ganser das bewaffnete Eingreifen Washingtons im Sudan 1998, in Jugoslawien 1999, in Afghanistan 2001 und im Irak 2003 an. Alles Einsätze ohne UN-Mandat und unter bewußter Täuschung der Weltöffentlichkeit.

Die 1945 zur Gewaltbannung aus internationalen Beziehungen gegründete Uno könne der ihr zugedachten Rolle nur nachkommen, wenn sich alle Nationen fair verhalten, konstatiert Ganser. Solange Geheimdienste mit Billigung der jeweiligen Regierung verdeckte Operationen ausführen oder Spezialeinheiten des Militärs ohne Kriegserklärung unbemerkt in fremden Ländern operieren, sind der Uno in fast allen Fällen die Hände gebunden.

Daniele Ganser: Die Kubakrise - Uno ohne Chance. Verdeckte Kriegsführung und das Scheitern der Weltgemeinschaft 1959-1962. Edition Zeitgeschichte Band 31. Kai Homilius Verlag, Berlin 2007, gebunden, 250 Seiten, 19,90 Euro

Foto: US-Aufklärungsflugzeug überfliegt das US-Kriegsschiff USS-Barry (vorne) und den sowjetischen Frachter Anosow, Golf von Mexiko 1962: Nie um die Charta der Vereinten Nationen geschert


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