© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/07 04. Mai 2007

"Besetzung des Irak hat die Muslime radikalisiert"
Interview: Der indische Schriftsteller Mobashar Jawed Akbar über die Aussichtslosigkeit der US-Kriege im Irak und in Afghanistan
Erhard Haubold

Was denkt der "Araber auf der Straße" angesichts des US-Desasters im Irak und der Rückkehr der Taliban in Afghanistan?

Akbar: Ein gutes Indiz ist immer der Dattel-Markt in Kairo. Die teuersten Datteln dort heißen heute Nasrallah. Der Hisbollah-Chef hat Osama bin Laden nach hinten gedrängt. Auf den zweiten Platz kommt der iranische Präsident Mahmud Ahmadi-Nedschad. Das Schlußlicht, die billigste, kleinste Hutzel, heißt natürlich George W. Bush. Vor ihm liegen noch Tony Blair und noch davor der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi, der für sie die arabische Welt "ausverkauft" hat.

In Ihrem kurz vor dem Irak-Krieg erschienenen Buch "The Shades of Swords" schreiben Sie, daß Bush die Schiiten in die Lage versetzen wird, zum ersten Mal in mehr als 1.300 Jahren ihr Heimatland zu regieren. Iran und Irak werden in Zukunft die "islamische Reaktion auf jede eingebildete oder tatsächliche politische oder wirtschaftliche Hegemonie des Westens formulieren. Der Kampf um das Gold am Euphrat ist noch nicht vorüber."

Akbar: Als in Bagdad Saddams Statue vom Sockel gerissen wurde und Bush auf diesem Flugzeugträger das "Mission accomplished" verkündete, habe ich gesagt, daß Saddam zwar erledigt ist, der Krieg aber gerade erst begonnen hat. Viel zu lange haben sich die Amerikaner in dem Glauben an ihre überlegene Technologie gesonnt. Aber asymmetrische Kriege gegen Schattenarmeen - und das sind die Konflikte der Zukunft - können sie damit nicht gewinnen. Die handgemachte Bombe schlägt die moderne Armee. Die Enkel jener Araber, die 1967 ihre Sandalen vor den Toren Jerusalems haben stehen lassen, spielen heute mit Computern. Im letzten Libanon-Krieg haben die Hisbollah-Boys mehrmals die israelischen Geheimcodes geknackt.

Vergleiche mit dem Vietnamkrieg ...

Akbar: ... hinken. Heute wie damals aber gilt, daß auf der einen Seite junge Männer kämpfen, die erlittenes Unrecht den Tod nicht fürchten läßt. Hier fanatische Überzeugung, dort junge Soldaten, Söhne armer Leute aus Amerika oder England, die auf Befehl handeln und keine Ahnung haben, warum sie in Mossul oder Helmand sterben sollen. Noch mehr als für den Westen gilt "My home is my castle" für den Araber. GIs, die nachts die Tür eintreten, Frauen molestieren und den Männern Kapuzen überstülpen - das wird lange nicht vergessen. Schauen Sie sich im Fernsehen die Gesichter der kleinen Iraker an, die US-Konvois mit Steinen bewerfen. "Haut ab, laßt mein Land in Ruhe", sagen die. Und was die Amerikaner auch nicht verstehen: Der einzige legitime Krieg in der muslimischen Welt ist der gegen eine Besatzungsmacht.

Für den gefeuerten US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld war es entscheidend im "Krieg gegen den Terror", mehr Dschihadisten zu fangen oder zu töten, als neue auf die Straße kommen.

Akbar: Jede Ungerechtigkeit gebiert hundert neue Kämpfer. Die Menschen im Irak und in Afghanistan sehen sich als alte Gesellschaften und haben einen mächtigen Stolz. Das ist ein hervorragender Nährboden für Selbstmordattentäter. Bush hat die Zahl jener Muslime vervielfacht, die an den Dschihad glauben. Die werden erst aufhören mit dem Kämpfen, wenn ihre Länder frei sind von der US-Herrschaft. Die Besatzung des Irak hat viele dem Fundamentalismus abgeneigte Muslime radikalisiert.

Nach Schätzungen der irakischen Regierung sind 150.000 Zivilisten seit dem Einmarsch vor drei Jahren umgekommen. Das britische Medizin-Journal "Lancet" spricht von 650.000 Menschen, die ohne den Krieg noch am Leben wären.

Akbar: Einige Imame behaupten, daß in den letzten 20 Jahren mehr als eine Million Muslime Opfer amerikanischer Aktionen geworden seien. Andererseits: Viele Amerikaner wissen, daß eine Nation, die foltert und anderweitig die Menschenrechte verletzt, auch die eigene Seele, die eigene Kultur beschädigt. Großmächte werden von innen, nicht von außen zerstört. Wir in Asien haben nichts gegen Amerika als einzige Großmacht. Was wir nicht wollen, ist eine Pentagon-Supermacht.

Manche behaupten, die Gewalt im Irak sei nicht gegen Amerika gerichtet, sondern ein Problem zwischen Sunniten und Schiiten.

Akbar: Ähnliches haben uns Indern auch die britischen Kolonialherren erzählt. Wann immer es Krach gab, suchten sie die Ursache in Spannungen zwischen Hindus und Muslimen. Nein, solange die Amerikaner als Besatzer im Irak sind, sind sie das Problem. Nur Syrer und Iraner sind daran interessiert, daß sie bleiben. Wäre Irak nämlich Anfang 2003 so problemlos gefallen, wie Bush & Co. das vorausgesagt hatten, wäre Iran längst bombardiert worden.

Was sollen die Amerikaner jetzt tun?

Akbar: Sie können nicht morgen davonlaufen, dann entsteht nämlich ein Vakuum. Der Frieden würde am besten durch eine Art Nachbarschaftswache sichergestellt, wie sie der iranische Ex-Präsident Chatami vor dem Irak-Krieg vorgeschlagen hat: eine Versammlung aller Nachbarn, plus Ägypten und UN-Sicherheitsrat. Aber die Amerikaner wollten davon nichts wissen. Das große Problem sind die Kurden, denen man weisgemacht hat, daß sie die Unabhängigkeit haben könnten. Erstmals in der Geschichte sind die Türkei, Syrien und Iran in einer Allianz mit dem Ziel, die Kurden zu erledigen. Gefördert von den USA.

Für die US-Superprojekte "Regime change" und "Nation-building" sollte Afghanistan ein Modell werden. Fünf Jahre nach dem Sieg kehren die Taliban gestärkt zurück.

Akbar: Afghanistan ist heute da, wo es unter der sowjetischen Besatzung vor zwanzig Jahren war, einschließlich der schönen Bilder von unverschleierten Mädchen, die zum ersten Mal eine Schule besuchen dürfen. Von 40 möglichen Fehlern haben die Amerikaner mindestens 35 gemacht, kulminierend in der fortgesetzten Opium-Produktion, die inzwischen über 90 Prozent der weltweiten Rohopiumproduktion ausmacht oder "25 Prozent meines Bruttoinlandsprodukts", wie Präsident Hamid Karzai neulich in Delhi erzählte. Damit verdient die Drogen-Mafia Milliarden von Dollar und zerstört die Jugend nicht nur in Pakistan, sondern auch in Berlin oder in London. Aber der Westen hat bisher nicht einen großen Opium-Transport aus Afghanistan aufhalten lassen.

Afghanistan war ein "gerechter Krieg" ...

Akbar: ... ja, wir hatten eingesehen, daß sie das haben müssen nach dem schrecklichen Überfall auf New York am 11. September 2001. Aber dann haben sie viel Zeit vertan mit der Jagd auf Aufständische ("Enduring Freedom"), ohne Osama bin Laden zu finden. Und sehr schnell das Interesse verloren, als Irak ins kriegerische Fadenkreuz rückte. Ich habe neulich an einer "Journalisten-Reise" teilgenommen. Frühstück hatten wir mit dem größten Warlord aller Zeiten in Herat, zum Mittagessen trafen wir den schlimmsten Vergewaltiger in Masar-i-Scharif. "Nation-building" ist kein "fast food", eine neue Weltordnung kann man nicht mit Gewalt erzwingen.

Die Taliban machen inzwischen ein Drittel des Landes unsicher.

Akbar: Die Zeit ist auf ihrer Seite, überdies haben sie einen Rückzugsraum in Pakistan. Vor fünf Jahren waren sie am Ende, nicht weil sie die Regierung in Kabul, sondern weil sie die Unterstützung der Bevölkerung verloren hatten. Heute ist es so, daß die Leute den Staat nicht wahrnehmen und das Leben unter den Koranschülern eigentlich besser war: Es gab keine Entwicklung, aber auch keine Korruption und keine Gewalt von Warlords. Die Zukunft Afghanistans spiegelt sich im Gesicht Karzais - vor drei Jahren hat der viel fröhlicher dreingesehen.

Wo ist Osama bin Laden?

Akbar: Das müssen Sie George Bush fragen. Wann immer Osama den Westen mit seinen Botschaften erreichen will, schafft er das - über Kuriere, die seine Videos an die arabische TV-Station Al-Dschasira weiterleiten. Und den Hunderten von Agenten von CIA und FBI in Pakistan und Afghanistan mit ihren phantastischen Spionageflugzeugen soll es nicht gelingen, den Absender ausfindig zu machen? Vielleicht ist es so, daß mit Bin Laden als Gefangenen in Guantánamo der Furcht-Faktor verschwände, mit dem in Amerika bislang Wahlen gewonnen wurden.

 

Mobashar Jawed Akbar hat die Zeitungen "The Telegraph" und "The Asian Age" gegründet. In seinem neuen Buch ("Blood Brothers. A Family Saga") schildert der 1951 in Bengalen Geborene autobiographisch das Leben und Überleben (s)einer muslimischen Familie im überwiegend hinduistischen Indien. 2002 erschien "The Shade of Swords. Jihad and the Conflict between Islam and Christianity".

 

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