© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/07 04. Mai 2007

Um die Seele der Nation
von Martin Schmidt

Dieser Tage beweist der estnische Staat, wie ernst es ihm mit der Absage an die Behauptung von der "Befreiung" des Landes durch die Sowjetarmee im Jahre 1940 bzw. 1945 ist. Trotz massiver Ausschreitungen empörter Russen wurde in Reval (Tallinn) ein innerstädtisches sowjetisches Siegesdenkmal abgebaut. Der Denkmalssturz erfolgte aufgrund eines am 15. Februar getroffenen Parlamentsbeschlusses über das Verbot der Zurschaustellung von Monumenten, die die "sowjetische Besatzung verherrlichen".

Gegen den Widerstand eines Teils der ortsansässigen Russen wurde die Bronzestatue in einer Nacht-und-Nebel-Aktion an einen geheimen Ort abtransportiert. Die sterblichen Überreste der auf dem Areal begrabenen Rotarmisten sollen nun auf einem Soldatenfriedhof am Rande der Stadt beigesetzt werden. Erneut behauptete sich das offizielle Estland damit gegen die sowjetnostalgischen oder großrussischen Ansprüche jener Bevölkerungsgruppe, die die wohl schwerwiegendste Erblast aus der jahrzehntelangen Besatzung darstellt. Denn in dem nur 1,35 Millionen Einwohner zählenden Land leben neben einer winzigen alteingesessenen russischen Minderheit noch immer knapp 500.000 Russen und russischsprachige Personen mit verschiedenem ethnischen Hintergrund. Da es bei der Denkmalsentfernung um den eigenen Unabhängigkeitswillen und damit um die "Seele der Nation" geht, scheut das kleine Estland auch diesmal nicht den Konflikt mit dem großen Nachbarn Rußland.


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