© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/07 27. April 2007

Vereint für immer oder Scheidung in Raten
Vor dreihundert Jahren wurde die englisch-schottische Union beschlossen und damit Großbrittanien gegründet
Heinz-Joachim Müllenbrock

Am 1. Mai 1707 trat der Vertrag über die Union Englands mit Schottland in Kraft, der das Vereinigte Königreich von Großbritannien aus der Taufe hob. Aus der Personalunion von 1603 mit der Vereinigung der beiden Kronen war eine Realunion mit der Einrichtung eines gemeinsamen Parlaments in London geworden. Der erste Artikel des Vertrages bestimmte mit pathetischem Gestus die Vereinigung der beiden Länder für immer und setzte mit dem Hinweis auf die Verbindung von Andreas-Kreuz und Georgs-Kreuz zu der künftigen Nationalflagge noch einen symbolpolitischen Akzent.

Das Vertragswerk hingegen war von nüchternem Realitätssinn beiderseits geprägt. Die ersten vier Artikel enthielten die wesentlichen Bestimmungen. Sie legten die immerwährende Vereinigung, die Geltung der protestantischen Thronfolge auch für Schottland, die Schaffung eines gemeinsamen Parlaments im Sinne der von den Engländern verlangten incorporating union (integrierenden Union) und die freie Handelsbetätigung für alle Untertanen des Vereinigten Königreiches fest. Daß fünfzehn der insgesamt fünfundzwanzig Vertragsartikel ökonomischer Natur waren, zeigt die große Bedeutung wirtschaftlicher Gesichtspunkte. Zu ihnen gehörte auch die Vereinbarung von Ausgleichszahlungen (das sogenannte Äquivalent) an Schottland, primär wegen dessen künftiger Beteiligung an der Abtragung der Nationalschuld, mit der England seine Kriege gegen Frankreich finanzierte.

Eine Vernunftehe unter dem Zwang der Umstände

Die Gewichts- und Interessenverteilung der beiden nominell gleichberechtigten Vertragspartner spiegelt sich in den maßgeblichen ersten vier Artikeln korrekt wider. Während die wirtschaftlich mächtigen und im Spanischen Erbfolgekrieg siegreichen Engländer sich nach innen konsolidieren und nach außen die Gefahrenquelle beseitigen wollten, die sich im Norden der Insel durch drohende schottisch-französische Bündnisse jakobitischer Machart stets auftun konnte, mußten sich die Schotten für den Verlust ihrer freilich immer recht prekären nationalen Unabhängigkeit mit dem vielversprechenden, aber seine Wirkung erst im späteren 18. Jahrhundert entfaltenden Trostpflaster der Teilhabe am ökonomischen Potential des britischen Empire zufriedengeben. Allerdings beinhaltete das Vertragswerk auch eine Bestandsgarantie für die im nationalen Empfinden verwurzelte presbyterianische Kirche Schottlands, das schottische Rechtssystem und das schottische Bildungswesen.

Der Unionsvertrag war alles andere als das Ergebnis von Freundschaft oder auch nur wechselseitiger Wertschätzung. Das Gegenteil war der Fall. Die Union Englands mit Schottland stellte eine unter dem Zwang der Umstände geschlossene Vernunftehe zwischen zwei traditionell verfeindeten Ländern dar. Daß die Union ein Stück robuster neuzeitlicher Realpolitik verkörperte, geht aus den unerquicklichen Begleitumständen hervor, unter denen sie angebahnt wurde. Nachdem der schottische Act of Security (1703-04) die Engländer mit der Drohung konfrontiert hatte, die Personalunion aufzulösen und die schottische Krone einem anderen als dem englischen Staatsoberhaupt anzutragen, nahmen die Engländer den Fehdehandschuh mit dem scharfen Ultimatum des Alien Act (1705) auf, der vorsah, alle Schotten als Ausländer zu behandeln und die Ausfuhr schottischer Güter nach England und Irland zu unterbinden, was die ohnehin schwächelnde schottische Wirtschaft unerträglich belastet hätte. Wie heikel die englische Regierung die Situation in Schottland einschätzte, erhellt daraus, daß der Minister Robert Harley 1706 den Autor Daniel Defoe als Geheimagenten dorthin entsandte, um für die Union - insbesondere publizistisch - zu werben.

Die unterschiedliche Zustimmung der beiden ungleichen Parteien zu dem Vertrag kam bei seinem Inkrafttreten deutlich zum Ausdruck. Während in England allgemeine Genugtuung über sein Zustandekommen herrschte, war die Stimmung in Schottland zumindest in den breiten Volksschichten durch tiefe Niedergeschlagenheit gekennzeichnet. Der an mehreren Orten aufflammende Aufruhr artikulierte die Empörung darüber, daß die schottischen Unterhändler sich unter das englische Joch gebeugt hatten. Den gegensätzlichen Empfindlichkeiten entsprach es, daß die vorangegangene Ratifizierung des Vertrages im englischen Parlament schließlich glatt über die Bühne ging, im schottischen Parlament, an das eine Vielzahl von negativen Eingaben gerichtet wurde, aber erst nach zähem Ringen erfolgte, bei dem finanzielle Bestechung (damals im politischen Jargon euphemistisch management genannt) eine erhebliche Rolle spielte. Der schon von den Zeitgenossen (George Lockhart of Carnwath) erhobene, später von dem Dichter Robert Burns einprägsam formulierte und aus dem kollektiven Gedächtnis der Schotten wohl nie gänzlich getilgte Vorwurf der Bestechung schottischer Entscheidungsträger durch die englische Regierung greift zweifellos als alleinige Erklärung für ein eher komplexes Motivationsgeflecht zu kurz, doch selbst der um Objektivität bemühte Sir Walter Scott hat in "Tales of a Grandfather" die von den englischen Ausgleichszahlungen profitierenden schottischen Unterhändler nicht von pekuniärem Eigennutz freisprechen können.

Nach der Niederschlagung der jakobitischen Rebellionen von 1715 und 1745 suchten sich die Schotten in der Union heimisch zu fühlen. Selbst die intellektuell brillante Elite der schottischen Aufklärer verschrieb sich nun dem offenbar der progressiven Tendenz der Geschichte entsprechenden Konzept der Anglo-Britishness. Die whiggistisch inspirierte, auf die Fortschrittsideologie eingeschworene und bis ins 20. Jahrhundert (G. M. Trevelyan) nachwirkende englische Geschichtsschreibung der viktorianischen Epoche wertete die Union als endgültige Befreiung Schottlands aus feudaler Rückständigkeit - Umerziehung in wissenschaftlichem Gewand.

Die aktive und lukrative Rolle vieler Schotten, besonders der oberen und mittleren Klassen, bei der Gestaltung des zweiten Britischen Empire ließ seit der Mitte des 19. Jahrhunderts sogar einen "Unionist Nationalism" (Graeme Morton) aufkommen, der Teil schottischen Selbstverständnisses wurde. Die finanzielle, aber auch ideologische Teilhaberschaft Schottlands am Empire bildete über den Zweiten Weltkrieg hinaus ein wichtiges Bindeglied englisch-schottischer Zusammengehörigkeit. Erst mit dem Niedergang des Empire und der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage Schottlands wurden seit den 1960er Jahren wieder ernsthafte Zweifel an der Zweckmäßigkeit der Union laut. Inzwischen hat die in den siebziger Jahren angebahnte Politik der Devolution, das heißt der Übertragung administrativer Befugnisse (bis auf Außen-, Sicherheits- und Währungspolitik) an regionale Körperschaften mit der 1999 erfolgten Wiederherstellung des schottischen Parlaments in Edinburgh das politische Klima merklich verändert. Geschichte läßt sich nun einmal nicht - ebensowenig wie Geschichtsschreibung - für immer festlegen. Nachdem es lange so geschienen hatte, als habe die Union die Turbulenzen ihrer Entstehung auf Dauer hinter sich gelassen, ist sie und mit ihr der Vertrag von 1707 gegenwärtig wieder zu einem lebhaft diskutierten öffentlichen Anliegen geworden.

Seit der Rückkehr des Diskurses über schottische Identität wird von nationalbewußten Historikern (P. W. J. Riley, William Ferguson, P. H. Scott) das Emotionen schürende Thema eines nicht zuletzt durch Bestechung zuwege gebrachten politischen Coups wiederaufgegriffen. Die dadurch ausgelöste Sympathielenkung kommt sicherlich der erst jetzt stärkeren Widerhall findenden Scottish National Party (SNP) zugute, die die feindliche Übernahme von damals wettmachen möchte und, anders als die bislang führende Labour Party und auch die Liberalen, sogar für einen unabhängigen schottischen Staat unter europäischem Dach eintritt.

Was auf ewig gedacht war, könnte in Zukunft vergehen

Die gewandelte politische Konstellation bietet auch für Symbolpolitik, jedenfalls volkstümlicher Art, wieder Platz. In einem Land, in dem, wie repräsentative Umfragen belegen, Torjäger sich der gleichen nationalen Wertschätzung erfreuen wie Robert the Bruce, der Sieger der Schlacht von Bannockburn 1314, in dem das Fußballfeld schon lange als Ersatz für das Schlachtfeld dient, kann auch der Sport identitätsbildend wirken und geschichtspolitische Akzente eigener Art setzen. Die bei Länderspielen von patriotischen, doch keineswegs militanten Zuschauern gepflegten und von antienglischen Schlachtrufen begleiteten Flaggendemonstrationen darf man freilich nicht als ernsthaftes Aufbegehren gegen eine spröde politische Wirklichkeit mißverstehen - ein emotionales Bekenntnis sind sie allemal.

Wie sich die kulturell immer selbstgewisseren Schotten letztlich gegenüber der Union verhalten werden, ist ungewiß. Ökonomische Belange werden wie schon 1707 eine maßgebliche Rolle spielen - übrigens auch bei den gegenüber der Union inzwischen skeptischeren, nicht unerhebliche Subventionen leistenden Engländern. Das dreihundertjährige Jubiläum der Union ist jedenfalls alles andere als ein Jubelfest, und was auf ewig gedacht war, könnte in Zukunft der Vergänglichkeit alles geschichtlich Bedingten Tribut zollen. Vielleicht bietet sich eine von den Schotten bereits 1707 bevorzugte föderative Verbindung als Kompromißlösung an. Bis zur Erlangung völliger Unabhängigkeit wäre es jedenfalls noch ein langer Weg. Auszuschließen ist sie nicht.

 

Prof. Dr. Heinz-Joachim Müllenbrock lehrte Anglistik an der Georg-August-Universität in Göttingen.

Fotos: Mel Gibson als schottischer Freiheitskämpfer William Wallace (1270-1305) in "Braveheart": Allemal ein emotionales Bekenntnis; Großbritanien seit 1707: Der Act of Union von 1707 (dt. Vereinigungsgesetz) schuf die gesetzliche Grundlage für die Vereinigung der Königreiche England und Schottland. Das Gesetz trat nach Ratifizierung in beiden Parlamenten am 1. Mai 1707 in Kraft, die dann durch das britische Parlament ersetzt wurden.


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