© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/07 27. April 2007

Untergegangenes Abendland am Pregel
Eine kulturhistorische Ortsbesichtigung des Schlosses Friedrichstein, ehemals Sitz des Dönhoff-Geschlechts
Kai Schneider

Über vierzig Jahre nach dem Erscheinen der opulenten kulturhistorischen Rekonstruktionen, die uns Christine von Mertens und Carl Grommelt über Schlobitten (1962) sowie Carl von Lorck über Finckenstein (1966) schenkten - beide heute antiquarische Rarissima - , liegt mit einem Sammelwerk über Friedrichstein eine Trilogie der großen, spätbarocken Adelspaläste Ostpreußens vor, die zur Erschließung eines bedeutenden Segments der von bundesrepublikanischer Seite nicht eben fleißig beackerten Landesgeschichte der östlichsten Provinz des Deutschen Reiches wesentlich beiträgt.

Für den Band hat der inzwischen weltberühmte, auf den Pfaden Furtwänglers und Celibidaches wandelnde, heute in München arbeitende Dirigent Christian Thielemann, der aus seinem Preußentum nie ein Hehl gemacht hat, geduldig über Jahre hinweg per Kleinanzeige im Ostpreußenblatt Zeitzeugen und Material gesammelt. Hier tritt er nur bescheiden als Mitherausgeber in Erscheinung, während die Hauptlast der Darstellung auf den Schultern des Frankfurter Kunsthistorikers Kilian Heck ruht.

Heck bietet, nachdem Hans-Jürgen Bömelburg (Nordost-Institut Lüneburg) den Aufstieg des Dönhoff-Geschlechts im größeren frühneuzeitlichen Rahmen skizziert hat, zunächst einen präzisen genealogischen Abriß der Besitzer von Mitte des 17. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Die für Süddeutsche Zeitung und Focus tätig gewesene Nicola Gräfin Dönhoff widmet sich dagegen jenen zeithistorisch besonders interessanten letzten 25 Jahren, die bislang primär durch die auflagestarken Erinnerungen ihrer Tante ("Namen, die keiner mehr nennt", 1962 und "Kindheit in Ostpreußen", 1988), der Zeit-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff, in unserem Gedächtnis eingeschrieben sind.

Ihre Nichte widersteht dabei leider sowenig wie Heck der Versuchung, en passant die von Marion Dönhoff in die Welt gesetzte Legende von ihrer Zugehörigkeit zum "Widerstand" gegen Adolf Hitler zu kolportieren. Ungeachtet des von der "schauerlichen Gräfin" (Fritz J. Raddatz) mit zunehmendem Abstand von den Ereignissen immer höher eingeschätzten eigenen Anteils und ihrer immer inniger werdenden Verbundenheit mit den Stauffenberg, Moltke et al., ungeachtet auch, daß ihre Hofbiographen Haug von Kuenheim und Alice Schwarzer diese Stilisierungen fleißig nachgebetet haben, ist ausnahmsweise einmal ihrem einstigen Feuilletonchef Raddatz zu folgen, der ihr zu Recht von diesem "Widerstand" rein gar nichts "abgekauft" hat. Wie uns Frank Schirrmacher in der jüngsten Skandalisierung der Filbinger-Biographie belehrt, dürfe für die NS-Gegnerschaft der Unterschied zwischen innerer Haltung und tatsächlicher Handlung eben nicht verwischt werden. Daß Heck in einem Prunkwerk, das allein mit Unterstützung des gräflichen Familienarchivs entstehen konnte, sich nicht so weit vorwagen durfte wie Raddatz, muß eine Kritik seines weichgezeichneten Dönhoff-Porträts natürlich in Rechnung stellen, nicht zu reden von der Nichte, die zwangsläufig pro domo spricht.

Den besten Zugang zur Geschichte des unweit Königsberg gelegenen Adelsitzes gewinnt, wer mit der Lektüre des Beitrags von Heinrich Lange über "Friedrichstein nach 1945" einsetzt, der erstmals auch einen Zeitzeugenbericht des letzten Schloßherrn Dietrich Graf Dönhoff über die letzten Friedrichsteiner Tage und Stunden im Januar 1945 publiziert. Lange, als nimmermüder Spurensucher im nördlichen Ostpreußen seit der Öffnung des einstigen sowjetischen Sperrgebietes 1991 unterwegs, trägt zusammen, was sich hier noch aus der Erde kratzen läßt. Denn der imposante Bau ist schon in der Nacht zum 27. Januar 1945 von Soldaten der "ruhmreichen Sowjetarmee" gesprengt worden. Geblieben sind nur Teile der Inneneinrichtung, die Dönhoffs zuvor nach Westen evakuiert hatten, sowie etwas Haus- und Gartenschmuck, den Lange im Hof der Kaliningrader Universität ausfindig machte. Von den Wirtschaftsgebäuden sind kaum die Fundamente auszumachen, im nahen Kirchdorf Löwenhagen dominieren Ruinenreste. Wer den Untergang des Abendlandes für eine Redensart hält: In Friedrichstein, wie Langes Ortsbesichtigung zeigt, hat er wirklich stattgefunden.

Was dort am Pregel in trostlos versteppte Natur zurückverwandelt wurde, führen die architektur- und kulturgeschichtlichen Studien Hecks ("Die Architektur von Friedrichstein im deutschen und europäischen Kontext", "Zu den Friedrichsteiner Kunstsammlungen") und Ursula Gräfin zu Dohna ("Der Garten") vor Augen. Auf unüberwindliche Probleme stoßen Hecks akribische Rekonstruktionsversuche jedoch bei der Innenarchitektur, da vor 1945 versäumt wurde, Raumaufteilung und Ausstattung vollständig zu dokumentieren. Mit den von ihm beigegebenen Aufnahmen der Säle, Prunk- und Arbeitsräume scheinen daher alle Möglichkeiten der Vergegenwärtigung erschöpft.

Ob dies auch für den Alltag des großen Gutsbetriebs gilt, den Lange und Heck mit nur wenigen Abbildungen einfangen, will nicht recht einleuchten, da, merkwürdig genug, Fotoalben 1945 sehr oft zum eisernen Bestand des Fluchtgepäcks zählten. Aber vielleicht kamen Christian Thielemanns Versuche, per Inserat den dörflich-agrarischen Alltag Friedrichsteins wenigstens in der Bilderwelt zu konservieren, schon zu spät. Konnten sich die Herausgeber zum Zeitpunkt der Drucklegung, im Herbst 2006, doch nur noch bei zwei alten Damen bedanken, die sie als die "letzten lebenden Schloßbewohnerinnen" ansprechen.

Kilian Heck, Christian Thielemann (Hrsg.): Friedrichstein. Das Schloß der Grafen Dönhoff in Ostpreußen. Deutscher Kunstverlag, München/Berlin 2007, gebunden, 320 Seiten, Abbildungen, 68 Euro

Fotos: Eis vor einer Leere, heute erinnert nichts mehr an das ostpreußische Schloß: Steppe an der Pregel; Luftbild von Friedrichstein, etwa 1939: Kleinod des ostpreußischen Adels


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