© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/07 27. April 2007

Antiker Text vor aktueller Kulisse
Konsumkritik und Todesmystik: Pasolinis Drehbuch über den Apostel Paulus in deutscher Übersetzung
Harald Harzheim

Als der Regisseur Pier Paolo Pasolini 1975 eines gewaltsamen Todes starb (JF 44/05), schien das nur konsequent. Zeigte doch sein kurz zuvor fertiggestellter Film "Salò oder Die 120 Tage von Sodom" (1975) eine Resignation gegenüber konsumistischem Zwang und neokapitalistischer Okkupation von Tradition und Körper, die sich bis zum Lebensekel steigerte und jede Idee eines Auswegs verwarf. Was hätte dem noch folgen können?

Nun hinterließ Pasolini aber eine Reihe von Projekten im Planungsstadium, darunter auch zwei Filme. Beider Drehbücher transportierten biblische Themen: die Komödie "Porno-teo-kolossal" über zwei Neopolitaner, die einem Kometen nach Sodom folgen, und "Der heilige Paulus". Letzteres hatte Pasolini bereits 1968 verfaßt, fand aber keinen Produzenten. Zu groß schien das finanzielle Risiko. Jetzt liegt das Skript in deutscher Übersetzung und sachkundig kommentiert in Buchform vor.

War das "Erste Evangelium Matthäus" (1964) eine zeitlose Bebilderung des Originaltextes, so sollte der Film über Pasolinis Namensvetter in der Gegenwart spielen. Person und Botschaft des Paulus zielten gänzlich auf das 20. Jahrhundert. Die Handlung beginnt in Paris während der Besatzung durch die Nationalsozialisten. Die Jünger Christi werden als Partisanen und Widerstandskämpfer eingeführt, während Paulus, ein Kollaborateur, sich an der Deportation von Juden und anderen NS-Verbrechen beteiligt. Bei einer solchen Aktion erfährt er seine Bekehrung. Fortan reist er durch das Europa der Nachkriegszeit, später auch nach New York, um seine Interpretation des Evangeliums zu verkünden, bis man ihn schließlich - in Anspielung auf den Mord an Martin Luther King - aus dem Hinterhalt erschießt.

Die Kontrastierung von antikem Text und zeitgenössischer Kulisse funktioniert natürlich nur bedingt. Oft genug werden dadurch schiefe Analogien gezogen und Assoziationen freigesetzt, die politisch als doppeldeutig bis unsensibel zu bezeichnen sind.

Pasolinis Verhältnis zu Paulus ist zwiespältig: Einerseits bewundert er dessen spirituelle Kritik an den Mächtigen, andererseits zeigt er ihn als engstirnigen, fanatischen Kirchengründer. So läßt das Drehbuch offen, ob der Aufruf zur Heidenmission wirklich von Gott kommt. Die Kritik des Regisseurs an der katholischen Kirche, wie dessen paulinisch gehaltene Spätessays zeigen, bezieht sich weniger auf deren Verbrechen in vergangenen Jahrhunderten als auf ihr Schweigen gegenüber den Verwüstungen des modernen Kapitalismus. Dennoch gab er sie als spirituellen Hoffnungsträger nie völlig auf: ein Aspekt, der in der hiesigen Pasolini-Rezeption, die sich darin gefällt, ihn auf den kommunistischen Freibeuter zu reduzieren, gerne abgeschwächt oder komplett unterschlagen wird.

Pasolini war nicht nur kommunistischer Freibeuter

Pasolinis Paulus-Darstellung ist ein Verriß des - für ihn faschistoiden - Konsumismus wie des orthodoxen Marxismus, die beide eine anthropologische Reduktion vornehmen. Die Kraft des Menschen kommt für ihn aus der Tradition, aus der Vergangenheit. In einer Szene hat Paulus eine Vision, in der eine Allegorie des "Deutschen" sich langsam in ein Holocaustopfer verwandelt und über den "Ersatz ideeller Interessen der deutschen Klassik" durch materielles Streben klagt. Hier schneidet sich Pasolinis Geschichtsinterpretation mit der seines Zeitgenossen Hans Jürgen Syberberg, der den Faschismus als Destruktion und Verdrängung der Erbschaft des 19. Jahrhunderts begreift.

Auch Pasolinis eigene Todesmystik findet ihren Platz. Das Bild vom Samenkorn, das sterben muß, um Frucht zu tragen, spiegelt den Schöpfungsmythos des Regisseurs, der im Tod des Künstlers mündet. Und wieder die Vorwegnahme des eigenen Todes: Das Bild vom zusammengeschlagenen, in den staubigen Roms liegenden Paulus erinnert nur zu sehr an die späteren Fotos der Leiche Pasolinis. Diese gnostische Todesmystik war Pasolinis letzte Form des Widerstands. Eine melancholische Ekstase, die in seinem späten Entschluß, den Paulus-Film im ewigen Regen spielen zu lassen, eine stimmungsvolle Visualisierung erfahren hätte.

Pier Paolo Pasolini: Der heilige Paulus, hrsg. von Reinhold Zwick und Dagmar Reichardt, Schüren Verlag, Marburg 2007, broschiert, 192 Seiten, 19,90 Euro


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